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"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc

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Die Erzählung läßt ahnen, wie sie als Kind das Ereignis erlebt haben mag:<br />

„Schreckl<strong>ich</strong>e 44<br />

randalierende Männer stifteten Unruhe und mußten durch die<br />

SA <strong>zu</strong>r Ordnung gezwungen werden. Ohne die damaligen politischen Hintergründe<br />

<strong>zu</strong> reflektieren, bringt Frau Heidt diese Gruppen in einen assoziativen<br />

Zusammenhang <strong>mit</strong> heutigen politischen Gruppen, die ebenfalls Wände <strong>mit</strong><br />

Parolen beschreiben, also auch „Unordnung 44<br />

stiften. Dies ist eine für das kollektive<br />

deutsche Gedächtnis n<strong>ich</strong>t untypische Darstellung <strong>der</strong> politischen Situation<br />

vor 1933, die auch Legitimationsfunktion für die Zustimmung <strong>zu</strong>r<br />

Machtübernahme hat.<br />

Auch den Fackel<strong>zu</strong>g am Abend <strong>der</strong> sog. Machtergreifung hat Anneliese<br />

Heidt in lebhafter Erinnerung. Da an diesem Tag ihre Mutter starb, hat dieses<br />

Datum in ihrem Leben eine beson<strong>der</strong>e Bedeutung. Aus Verzweiflung über den<br />

Tod seiner Frau habe ihr Vater, um s<strong>ich</strong> ab<strong>zu</strong>lenken, <strong>mit</strong> seiner Tochter an dieser<br />

Veranstaltung teilgenommen. An <strong>der</strong> Hand ihres Vaters wurde die knapp<br />

Sechsjährige durch die Menschenansammlungen gezogen:<br />

„mein Vater war so furchtbar verzweifelt innerhalb von drei Tagen es war ganz schreckl<strong>ich</strong>,<br />

und, um s<strong>ich</strong> ab<strong>zu</strong>lenken is er näml<strong>ich</strong> <strong>mit</strong> mir da, <strong>zu</strong> diesem Fackel<strong>zu</strong>g gegangen (1) und <strong>hatte</strong><br />

daher natürl<strong>ich</strong> (1) keine (1) Gedanken mir irgendwelche Erklärungen ab<strong>zu</strong>geben son<strong>der</strong>n er<br />

schlürte m<strong>ich</strong> nur so an ner Hand da <strong>mit</strong> und <strong>ich</strong> hab mir das selber so angeguckt n<strong>ich</strong>, <strong>ich</strong> hab<br />

das ja noch n<strong>ich</strong> so ganz begriffen we<strong>der</strong>, we<strong>der</strong> den Tod meiner Mutter begriffen noch, noch dieses<br />

was da auf <strong>der</strong> Straße passierte begriffen n<strong>ich</strong> 44 (69/29)<br />

In ihrer Erzählung stehen <strong>der</strong> Fackel<strong>zu</strong>g und vor allem die Rechtfertigung<br />

für die Teilnahme ihres Vaters, n<strong>ich</strong>t aber <strong>der</strong> Tod <strong>der</strong> Mutter, im Vor<strong>der</strong>grund.<br />

Vermutl<strong>ich</strong> konnte Anneliese <strong>zu</strong>m damaligen Zeitpunkt den Verlust<br />

<strong>der</strong> Mutter emotional noch n<strong>ich</strong>t erfassen.<br />

Noch 1933 verließ Anneliese gemeinsam <strong>mit</strong> Vater und Bru<strong>der</strong> Berlin; die<br />

Familie zog <strong>zu</strong>nächst nach Hannover, 1937 nach Bremen. In Bremen ging ihr<br />

\foter nach kurzer Zeit eine neue Ehe ein. Anneliese, die <strong>zu</strong> diesem Zeitpunkt<br />

zehn o<strong>der</strong> elf Jahre alt war, sperrte s<strong>ich</strong> gegen diese neue Verbindung:<br />

B: „(5) mhm da war <strong>ich</strong> ganz schön giftig (9)<br />

I: weil Sie so an Ihrer Mutter hängen<br />

Β: (1) nö: <strong>ich</strong>, wollte ja n<strong>ich</strong> so ne fremde Frau bei uns haben ((lacht)) <strong>ich</strong> bitte Sie in dem Alter<br />

n<strong>ich</strong>, kommt man in die Pubertät da, is man erst von Grund auf, gegen alles n<strong>ich</strong><br />

I: mhm<br />

B: von Natur aus, und die, war auch so autoritär ganz schreckl<strong>ich</strong> ((lacht)) 44 (70/22)<br />

Den neuerl<strong>ich</strong>en Heiratsplänen des Vaters, so erinnert s<strong>ich</strong> Frau Heidt<br />

heute, setzte sie einigen Wi<strong>der</strong>stand entgegen. Doch diesen Wi<strong>der</strong>stand fuhrt<br />

Frau Heidt n<strong>ich</strong>t, wie die Interviewerin meint, auf eine enge Bindung an die<br />

leibl<strong>ich</strong>e Mutter <strong>zu</strong>rück. Viel<strong>mehr</strong> wollte sie keine „fremde Frau 44<br />

im Hause<br />

dulden und, so könnte man ergänzen, den Vater für s<strong>ich</strong> behalten. Heute<br />

scheint Frau Heidt ihre damalige Eifersucht peinl<strong>ich</strong> <strong>zu</strong> sein, denn sie bemüht<br />

s<strong>ich</strong>, diese als typisches Pubertätsverhalten <strong>zu</strong> normalisieren.<br />

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