"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc

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„im Kricje darf also nich irjendwie Gegenströmung sein im gleichen Volk, wenn man nich zusammenhält, dann kann man keinen Kriech gewinnen was nach dem Krieg kommt, setzt Hitler ab soviel ihr wollt" (55/29) Aus dieser Perspektive betrachtet sie auch das Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944. Abgesehen davon, daß ihrer Meinung nach ein Deutscher ohnehin nicht zu einem Attentat fähig ist, sei die „Uneinigkeit des deutschen Volkes 44 ein bedeutender Fehler gewesen, der von den Verantwortlichen in seinem Ausmaß nicht bedacht worden sei: „in Posen waren wir sehr zufrieden, daß ihm nichts passiert war (2) äh: nich aus Liebe zu Hitler (1) sondern weil auf einen Deutschen neun Polen noch kamen .... haben in der Wehrmacht große Truppentransporte stattgefunden ahm das is leider alles (1) äh von den Herren nicht richtich durchdacht worden" (54/9) Wenn das Attentat erfolgreich verlaufen wäre, hätte anschließend zwischen Polen und Deutschen ein „wahnsinniges Blutbad 44 stattgefunden. Aus diesem Grunde sei ihrer Meinung nach diese Aktion von vornherein abzulehnen gewesen, da sicherlich auch Racheakte der Polen zu befurchten gewesen seien. Das Jahr 1944 war fur Frau Borke mit schmerzvollen Erfahrungen verbunden, da ihr jüngerer Bruder Fritz „für Großdeutschland 44 gefallen war. Fritz, der in der HJ organisiert war, hatte sich freiwillig an die Front in der UdSSR begeben. Für ihn, wie für die meisten baltischen Deutschen, sei eine freiwillige Meldung selbstverständlich gewesen. Dort sei er aber schon bald durch eine Mine verwundet worden, woraufhin ihm beide Beine amputiert werden mußten. „Gott sei Dank is er gestorben 44 , meint sie, denn „ein Mann ohne Beine, das war doch kein Mann gewesen 44 . Im Juli 1944 fiel ein „guter Bekannter 44 von ihr, der — wie sie nach seinem Tod erfahren habe — Heiratsabsichten gehabt habe. Im nachhinein meint sie, daß sie einen Heiratsantrag von ihm angenommen hätte. Im Herbst des gleichen Jahres erhielt sie eine weitere schlimme Nachricht. Seit September 1944 galt ihr Vetter als vermißt, und noch heute weiß sie nicht, was mit ihm geschehen ist. Er sei ihr wie ein Bruder gewesen, denn sie seien in Riga zusammen aufgewachsen und hätten auch ihre Jugendzeit gemeinsam verbracht. Frau Borke meint, daß sie diese Zeit als sehr schmerzvoll erlebt und damals zum ersten Mal gedacht habe, „es ist zu Ende": „ja das war auch ne schlimme Zeit das war auch schlimm .... ja, das war ziemlich bitter war das aber da hatt ich wohl das Gefühl es ist zu Ende nich und nach der Flucht sowieso (1) da hatten Sie sowieso nichts nech und (2)" (78/23) 2.2.6 Flucht und Kriegsende: Der psychische Zusammenbruch Als Familie Borke erfahren hatte, daß ihre Familienangehörigen an der Front gefallen waren oder als vermißt galten, und es vor allem hieß, „der Ansturm auf Posen hat begonnen**, bereitete sie relativ schnell ihre Flucht vor. 72

Zusammen mit ihrem Vater, ihrer Schwester und einer fünfjährigen Nichte verließ Frau Borke Ende Januar 1945 Posen mit dem Zug. Frau Borke erinnert sich noch an die unzähligen Verwundeten, die sie damals sah. Auch eine Begegnung mit ungefähr 14- bis 16-jährigen Hitlerjungen, die trotz aussichtsloser Lage an der Ostfront gegen die Rote Armee kämpfen wollten, kann Frau Borke nicht vergessen: „also mit einer Begeisterung sind die ((Hitlerjungen)) da in den Tod reinjefahm in einem voll ich leeren Zuch (2) aber Sie konnten die nich aufhalten .... ich konnte nur schreien und rufen kommt mit uns (3) also dies Bild seh ich auch noch immer diese vier Jungs, das sind so Bilder die Sie nich loswerden diese, Stadt in der Auflösung (2) und diese Jungs" (66/10) Als der Zug ankam, in den sie einsteigen wollten, entstand ein hektisches Gedrängel. Dabei wurde ihre fünfjährige Nichte unter den stehenden Zug gedrängt. Frau Borke schrie daraufhin laut und konnte sie glücklicherweise wieder hervorziehen, ohne daß ihr dadurch etwas geschah. Als sie dann endlich zusammen in den Zug einsteigen wollten, wurde ihr Vater daran gehindert. Verschiedene Frauen versuchten ihn aufzuhalten, weil sie der Meinung waren, daß alle Männer in Posen bleiben sollten. Sie reagierte in dieser Situation energisch und entgegnete den Frauen, „dieser alte Mann kann in Posen auch nichts mehr machen". Als sie sich dann in den Zug gedrängt hatten, habe sie jedoch kaum etwas empfinden können: „und dann saßen wir nun glücklich drin es war, ich weiß nich man hatte keine Jefuhle mehr (1) Sie hatten auch weder in diesen sechzehn Stunden Sie harn es war eisig kalt Sie harn nich jefrorn Sie hatten keinen Hunger Sie hatten keinen Durst wir hatten ja nichts zu essen nich" (66/17) Ob ihr damals bereits bewußt wurde, daß der Krieg verloren und das Ziel eines „Großdeutschen Reiches", auf das sie gehofft hatte, gescheitert war, erfahren wir an dieser Stelle nicht. Die Tragweite ihrer Flucht konnte sie damals in dieser Situation wohl kaum erfassen. Frau Borke erzählt uns, daß sie damals auf eine ihr typische Weise reagiert habe: „ich bin in solchen Momenten eiskalt ich bin ahm nachher immer aufjerecht... ja da Jon sei Dank is mir diese Gabe also meine Schwester war ja auch auf em, auf der Flucht, die war in einem Heulen und (1) ich war äh völlich völlich kalt nich .. das kommt hinter mir, her," (59/1) Ihre Reaktion sei dann später eingetreten, als sie nach der Flucht in einer Kleinstadt in der Nähe von Konstanz wohnten, wo auch einer ihrer Onkel lebte. Frau Borke erzählt von einer tiefgehenden Krise, in die sie geraten sei. Ausgelöst worden sei sie in dem Moment, als die Heimkehrer nach Hause kamen und ihr bewußt geworden sei, daß keiner mehr zu ihnen kommen werde. Sie sei regelrecht „durchgedreht" und „hysterisch" geworden, hätte sogar ihren Vater, mit dem sie nie gestritten hatte, angeschrien. Frau Borke muß sich in einem Zustand völliger Verzweiflung und einem psychischen Zusammenbruch nahe befunden haben, was sich ihren folgenden Äußerungen entnehmen läßt: 73

„im Kricje darf also n<strong>ich</strong> irjendwie Gegenströmung sein im gle<strong>ich</strong>en Volk, wenn man n<strong>ich</strong> <strong>zu</strong>sammenhält,<br />

dann kann man keinen Kriech gewinnen was nach dem <strong>Krieg</strong> kommt, setzt <strong>Hitler</strong><br />

ab soviel ihr wollt" (55/29)<br />

Aus dieser Perspektive betrachtet sie auch das Attentat auf <strong>Hitler</strong> vom 20.<br />

Juli 1944. Abgesehen davon, daß ihrer Meinung nach ein Deutscher ohnehin<br />

n<strong>ich</strong>t <strong>zu</strong> einem Attentat fähig ist, sei die „Uneinigkeit des deutschen Volkes 44<br />

ein bedeuten<strong>der</strong> Fehler gewesen, <strong>der</strong> von den Verantwortl<strong>ich</strong>en in seinem Ausmaß<br />

n<strong>ich</strong>t bedacht worden sei:<br />

„in Posen waren wir sehr <strong>zu</strong>frieden, daß ihm n<strong>ich</strong>ts passiert war (2) äh: n<strong>ich</strong> aus Liebe <strong>zu</strong> <strong>Hitler</strong><br />

(1) son<strong>der</strong>n weil auf einen Deutschen neun Polen noch <strong>kam</strong>en .... haben in <strong>der</strong> Wehrmacht große<br />

Truppentransporte stattgefunden ahm das is lei<strong>der</strong> alles (1) äh von den Herren n<strong>ich</strong>t r<strong>ich</strong>t<strong>ich</strong><br />

durchdacht worden" (54/9)<br />

Wenn das Attentat erfolgre<strong>ich</strong> verlaufen wäre, hätte anschließend zwischen<br />

Polen und Deutschen ein „wahnsinniges Blutbad 44<br />

stattgefunden. Aus diesem<br />

Grunde sei ihrer Meinung nach diese Aktion von vornherein ab<strong>zu</strong>lehnen gewesen,<br />

da s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> auch Racheakte <strong>der</strong> Polen <strong>zu</strong> befurchten gewesen seien.<br />

Das Jahr 1944 war fur Frau Borke <strong>mit</strong> schmerzvollen Erfahrungen verbunden,<br />

da ihr jüngerer Bru<strong>der</strong> Fritz „für Großdeutschland 44<br />

gefallen war. Fritz,<br />

<strong>der</strong> in <strong>der</strong> HJ organisiert war, <strong>hatte</strong> s<strong>ich</strong> freiwillig an die Front in <strong>der</strong> UdSSR<br />

begeben. Für ihn, wie für die meisten baltischen Deutschen, sei eine freiwillige<br />

Meldung selbstverständl<strong>ich</strong> gewesen. Dort sei er aber schon bald durch<br />

eine Mine verwundet worden, woraufhin ihm beide Beine amputiert werden<br />

mußten. „Gott sei Dank is er gestorben 44 , meint sie, denn „ein Mann ohne<br />

Beine, das war doch kein Mann gewesen 44 .<br />

Im Juli 1944 fiel ein „guter Bekannter 44<br />

von ihr, <strong>der</strong> — wie sie nach seinem<br />

Tod erfahren habe — Heiratsabs<strong>ich</strong>ten gehabt habe. Im nachhinein meint sie,<br />

daß sie einen Heiratsantrag von ihm angenommen hätte.<br />

Im Herbst des gle<strong>ich</strong>en Jahres erhielt sie eine weitere schlimme Nachr<strong>ich</strong>t.<br />

Seit September 1944 galt ihr Vetter als vermißt, und noch heute weiß sie n<strong>ich</strong>t,<br />

was <strong>mit</strong> ihm geschehen ist. Er sei ihr wie ein Bru<strong>der</strong> gewesen, denn sie seien<br />

in Riga <strong>zu</strong>sammen aufgewachsen und hätten auch ihre Jugendzeit gemeinsam<br />

verbracht.<br />

Frau Borke meint, daß sie diese Zeit als sehr schmerzvoll erlebt und damals<br />

<strong>zu</strong>m ersten Mal gedacht habe, „es ist <strong>zu</strong> Ende":<br />

„ja das war auch ne schlimme Zeit das war auch schlimm .... ja, das war zieml<strong>ich</strong> bitter war<br />

das aber da hatt <strong>ich</strong> wohl das Gefühl es ist <strong>zu</strong> Ende n<strong>ich</strong> und nach <strong>der</strong> Flucht sowieso (1) da <strong>hatte</strong>n<br />

Sie sowieso n<strong>ich</strong>ts nech und (2)" (78/23)<br />

2.2.6 Flucht und <strong>Krieg</strong>sende: Der psychische Zusammenbruch<br />

<strong>Als</strong> Familie Borke erfahren <strong>hatte</strong>, daß ihre Familienangehörigen an <strong>der</strong><br />

Front gefallen waren o<strong>der</strong> als vermißt galten, und es vor allem hieß, „<strong>der</strong> Ansturm<br />

auf Posen hat begonnen**, bereitete sie relativ schnell ihre Flucht vor.<br />

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