"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc
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Obwohl ihr Vater in <strong>der</strong> oben beschriebenen Situation eher besorgt reagierte<br />
und meinte, „du redest d<strong>ich</strong> noch einmal ins KZ 44 , hätten beide — wie Frau<br />
Borke betont — n<strong>ich</strong>t an die Informationen über KZs glauben können:<br />
12: „aber wie <strong>kam</strong> das denn daß dieser Ausdruck entstanden is äh du kommst noch mal ins KZ<br />
B: wenn einer irgendwie <strong>zu</strong> ahm <strong>zu</strong> offen seine Meinung sachte<br />
12: ja aber ahm<br />
B: aber keiner nein nein an die KZs wir hams n<strong>ich</strong> jeglaubt, wir hams n<strong>ich</strong> jeglaubt<br />
12: aber trotzdem wurde dieser Satz dann<br />
B: <strong>der</strong> ja <strong>der</strong> Satz war da .... es sickerte mal wie wie soll <strong>ich</strong> Ihnen sagen es sickerte mal durch<br />
aber man hats n<strong>ich</strong> jeglaubt .. n<strong>ich</strong> praktisch haben Se es n<strong>ich</strong> jesehn und Sie haben es n<strong>ich</strong><br />
jeglaubt .. das war einfach son Ausdruck nech" (71 /21)<br />
Betrachtet man die weiteren Ausführungen, so wird deutl<strong>ich</strong>, daß Frau<br />
Borke „es" durchaus gesehen hat und ihr „n<strong>ich</strong>t glauben 44<br />
viel<strong>mehr</strong> eine<br />
Wahrnehmungsabwehr bedeutete:<br />
„Sie habens n<strong>ich</strong> jeglaubt (1) <strong>ich</strong> bin dann einmal in Berlin jewesen (2) und auf <strong>der</strong> Rückfahrt<br />
<strong>ich</strong> weiß n<strong>ich</strong> ob das ein Konzentrationslager war .... und da sah <strong>ich</strong> Jestalten laufen war ja Sommer,<br />
die <strong>hatte</strong>n nur ne Badehose an und da hab <strong>ich</strong> mir jedacht das sind doch keine Menschen,<br />
so mager kann doch kein Mensch sein .. von solche kleine Hütten ... da hab <strong>ich</strong> meinem Vater<br />
das wohl <strong>zu</strong> Hause erzählt da hab=<strong>ich</strong>=jesacht das kann doch gar n<strong>ich</strong> wahr sein, da sachte noch<br />
mein Vater du hast d<strong>ich</strong> wohl versehn (1) sowas kann es gar n<strong>ich</strong> geben n<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong> (4) äh Konzentrationslager<br />
da sacht er nur du wirst noch ins Kazette" (69 / 5)<br />
Prägnanter, als Frau Borke es hier macht, läßt s<strong>ich</strong> ihre Wahrnehmungsabwehr<br />
wohl n<strong>ich</strong>t auf den Punkt bringen. Interpretiert man die Äußerung des<br />
Vaters, so wird deutl<strong>ich</strong>, daß die Familie zwar von Konzentrationslagern gewußt<br />
hat, jedoch n<strong>ich</strong>t darüber sprechen wollte. Das zeigt s<strong>ich</strong> auch an folgen<strong>der</strong><br />
Begebenheit, die s<strong>ich</strong> später in Posen ereignete:<br />
„wir haben <strong>ich</strong> hab eine Bekannte einmal in Posen jetroffen, äh die sachte mir (1) <strong>mit</strong> meiner<br />
Schwester <strong>zu</strong>sammen (1) und die mir sachte wir haben heute in unser () einen Polen jekr<strong>ich</strong>t <strong>der</strong><br />
war r<strong>ich</strong>t<strong>ich</strong> jekreuzigt (3) un da harn wir jesacht das is n<strong>ich</strong> wahr und da hat sie jesacht ja es is<br />
wahr .. un nachher harn wir jesacht <strong>zu</strong> ihr die spinnt harn wir nur gesacht, und dann hat sie uns<br />
jesacht jeht doch abends mal auf den Bahnhof und seht euch dort die Züge an, die gehn (3) und,<br />
wir sind n<strong>ich</strong> jegangen nachts nech es (1) Sie mußten am nächsten lach <strong>zu</strong>r Arbeit und Sie habens<br />
n<strong>ich</strong> jeglaubt" (68/20)<br />
Frau Borke war also durchaus in Situationen gekommen, in denen sie <strong>mit</strong><br />
den Verbrechen des NS un<strong>mit</strong>telbar bzw. <strong>mit</strong>telbar konfrontiert war. Dennoch<br />
wollte sie s<strong>ich</strong> offens<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong> weiter keine Gedanken darüber machen und von<br />
den faschistischen Greueltaten n<strong>ich</strong>ts wissen. Sie entschuldigt ihre Handlungsweise,<br />
den Informationen n<strong>ich</strong>t nachgegangen <strong>zu</strong> sein, <strong>mit</strong> dem scheinbar<br />
objektiven Zwang, daß sie <strong>zu</strong>r Arbeit mußte und deswegen nachts n<strong>ich</strong>t<br />
<strong>mehr</strong> auf den Bahnhof gehen wollte. Da<strong>mit</strong> konnte sie ihr Gewissen beruhigen,<br />
die Greueltaten aus ihrer Wahrnehmung ausblenden und s<strong>ich</strong> darauf berufen,<br />
n<strong>ich</strong>ts gesehen <strong>zu</strong> haben. Auf diese Weise scheint es ihr gelungen <strong>zu</strong><br />
sein, die unangenehme Realität <strong>zu</strong> leugnen.<br />
Auch in an<strong>der</strong>er Hins<strong>ich</strong>t zeigt s<strong>ich</strong>, daß Frau Borke da<strong>zu</strong> neigt, bedrohl<strong>ich</strong>e<br />
Realitätsaspekte <strong>zu</strong> leugnen. Deutl<strong>ich</strong> wird das an ihrer Erzählung über<br />
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