"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc
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„diese Straßenkämpfe da lagen doch diese Le<strong>ich</strong>en auf einmal auf <strong>der</strong> Straße (1) wir warn, so<br />
verroht das weiß <strong>ich</strong> da ging <strong>ich</strong> <strong>mit</strong> meinem Vetter da war son ahm ne Anlage das nannte man<br />
son Katzenbuckel (1) und da lach hier ein Bolschewik und dann en bißchen weiter en zweiter erst<br />
sprangen wir über den einen dann sprangen wir über den zweiten und dann harn wir gesacht können<br />
wir über zwei auch springen kommt wir schieben sie <strong>zu</strong>sammen (2) nech, so verroht warn<br />
se=es=warn es warn keine Menschen für uns diese Bolschewiken" (K8/634)<br />
Die „Bolschewiken" waren von ihr und ihren Spiel<strong>kam</strong>eraden quasi entmenschl<strong>ich</strong>t<br />
worden. Christl<strong>ich</strong>e Werte wie Nächstenliebe o<strong>der</strong> Mitmenschl<strong>ich</strong>keit<br />
konnte sie ihnen gegenüber n<strong>ich</strong>t empfinden, waren sie doch eine Bedrohung<br />
des Vaters und da<strong>mit</strong> auch <strong>der</strong> ganzen Familie. Das Feindbild vom<br />
„Russen", das s<strong>ich</strong> später erhalten und verstärkt hat, <strong>hatte</strong> Frau Borke also bereits<br />
in ihrer frühesten Kindheit ausgebildet. Insgesamt dürften die Erfahrungen<br />
während <strong>der</strong> revolutionären Phase und konkret die Inhaftierungen des Vaters<br />
da<strong>zu</strong> beigetragen haben, daß s<strong>ich</strong> die Familie um so stärker <strong>zu</strong>sammenschloß.<br />
So sei <strong>der</strong> Tag <strong>der</strong> Entlassung des Vaters aus dem Gefängnis, einen Tag<br />
nachdem am 22.5.1919 Riga von <strong>der</strong> Volksdeutschen baltischen Landeswehr<br />
besetzt worden war, <strong>zu</strong> einem Familienfeiertag geworden. Ihr Vater habe<br />
„furchtbares Jlück jehabt daß und wir auch nech eben daß er noch lebte und<br />
dieser dreiundzwanz<strong>ich</strong>ste Mai das is für m<strong>ich</strong> immer ein beson<strong>der</strong>er Tach jewesen"<br />
(13/37).<br />
Ein Onkel und ein Vetter Frau Borkes hingegen, die <strong>zu</strong>r gle<strong>ich</strong>en Zeit wie<br />
ihr Vater im Gefängnis gesessen <strong>hatte</strong>n, wurden erschossen. Empörend war<br />
und ist für Frau Borke, daß die Familie von <strong>der</strong>en Tod erst sehr spät erfuhr und<br />
man ihr <strong>zu</strong>dem noch das Essen, auf das sie selbst verz<strong>ich</strong>tete, abgenommen<br />
<strong>hatte</strong>:<br />
„<strong>ich</strong> seh uns noch da an diesem ganz großen Eßtisch sitzen und Linsen und Mäusedreck sortieren<br />
und wir wußten daß wir n<strong>ich</strong>t eine einzige Linse davon kriejen daß=daß das alles ins Jefangnis<br />
wird und das wurde auch ins Jefangnis jebracht <strong>zu</strong> meinem Onkel und <strong>zu</strong> meinem Vetter die schon<br />
längst erschossen waren und daß wir diese Namen das stand erst Wochen später in <strong>der</strong> Roten<br />
Fahne" (13/18)<br />
Bald nachdem <strong>der</strong> Vater aus <strong>der</strong> Haft entlassen worden war, übersiedelte Familie<br />
Borke nach Berlin, weil <strong>der</strong> Vater weiterhin gefährdet war: „als er aus<br />
em Gefängnis <strong>kam</strong> da is ihm nahegelegt worden daß er also das Baltikum verlassen<br />
soll, weil das alles viel <strong>zu</strong> gefährdet war"(16/21). Der Vater übernahm<br />
in Berlin eine Pfarrei. Nach einem halben Jahr ging er <strong>zu</strong>nächst ohne seine Familie<br />
nach Riga <strong>zu</strong>rück. <strong>Als</strong> Lettland dann nach einem weiteren halben Jahr<br />
eigenständige Republik <strong>mit</strong> parlamentarisch-demokratischer Staatsform<br />
wurde, holte er seine Familie nach. „<strong>Als</strong> <strong>der</strong> Friede geschlossen war", sei er<br />
wie<strong>der</strong> als Pastor beschäftigt worden und habe später auch ein höheres Kirchenamt<br />
übernehmen können.<br />
Zusammenfassend läßt s<strong>ich</strong> festhalten, daß Frau Borke bereits in ihrer<br />
Kindheit ein tiefgehendes Feindbild <strong>der</strong> „Russen" und „Bolschewiken" entwickelt<br />
<strong>hatte</strong>, das ihrer Meinung nach auch in ihrem weiteren Leben aus-<br />
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