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"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc

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ken gewesen: „wenn <strong>ich</strong> irgendwas n<strong>ich</strong>t wollte dann konnten se s<strong>ich</strong> auf en<br />

Kopf stellen". Sie habe in solchen Momenten ihren Eltern erklärt, sie habe<br />

„eine Gouvernante und das erlaubt meine Gouvernante n<strong>ich</strong>t 44 . Die Gouvernante,<br />

die nur in ihrer kindl<strong>ich</strong>en Phantasie existierte, habe im Badezimmer<br />

oben auf dem Wasserkessel gelebt und „Fräulein Luft 44<br />

geheißen. Ihr Vater<br />

„sachte, wenn Fräulein Luft n<strong>ich</strong>t erlaubt <strong>hatte</strong>, dann war die Welt <strong>zu</strong> Ende 44 ,<br />

aber „sie haben m<strong>ich</strong> <strong>mit</strong> Fräulein Luft leben lassen 44<br />

(K7/120).<br />

Mit dieser vorläufigen Charakterisierung ihres Elternhauses sei <strong>zu</strong>gle<strong>ich</strong><br />

auch die in <strong>der</strong> weiteren Lebensgesch<strong>ich</strong>te immer bedeuten<strong>der</strong> werdende<br />

Orientierung am Vater angedeutet. Diese wird verständl<strong>ich</strong>, wenn man Ursula<br />

Borkes Kindheitserfahrungen betrachtet.<br />

Frau Borke erzählt, daß ihre Kindheit maßgebl<strong>ich</strong> durch die Ereignisse<br />

während des Ersten Weltkrieges geprägt gewesen sei. Befragt nach ihren persönl<strong>ich</strong>en<br />

<strong>Krieg</strong>serfahrungen, beginnt sie ihre lebensgesch<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong>e Erzählung<br />

wie folgt:<br />

„und habe als Fünfjährige schon ahm den ganzen Ersten Weltkriech <strong>mit</strong>erlebt" (3/9)<br />

Auffallend und erklärungsbedürftig ist an ihrer einleitenden Äußerung, daß<br />

sie im Jahr 1917 im Alter von fünf Jahren den von 1914 bis 1918 andauernden<br />

ganzen Ersten Weltkrieg <strong>mit</strong>erlebt haben will.<br />

Zunächst ist davon aus<strong>zu</strong>gehen, daß Frau Borke den Interviewerinnen offens<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong><br />

verdeutl<strong>ich</strong>en will, bereits als Kind unvergeßl<strong>ich</strong>e und einschneidende<br />

<strong>Krieg</strong>serfahrungen gemacht <strong>zu</strong> haben. Diese werden offenbar <strong>mit</strong> dem<br />

Jahr 1917 sowie durch ihre beson<strong>der</strong>e Bedeutung insgesamt <strong>mit</strong> dem Ersten<br />

Weltkrieg verbunden. 1917 war das Jahr <strong>der</strong> Oktoberrevolution in Rußland,<br />

die auch in Lettland <strong>zu</strong> starken Kämpfen führte. Frau Borke bezieht s<strong>ich</strong> also<br />

zeitl<strong>ich</strong> auf die Phase, in <strong>der</strong> Riga von <strong>der</strong> Revolution betroffen und von <strong>der</strong><br />

Revolutionsarmee eingenommen worden war, bis die deutsche kaiserl<strong>ich</strong>e Armee<br />

1918 die Stadt besetzte. Ihre Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg sind<br />

also an die Erfahrungen <strong>mit</strong> <strong>der</strong> revolutionären Phase und sowjetischen Besat<strong>zu</strong>ng<br />

Rigas verbunden. Ihre folgende Äußerung bestätigt uns diese Annahme:<br />

„mein Vater war also Pastor das <strong>hatte</strong> <strong>ich</strong> ja schon gesagt und <strong>ich</strong> <strong>hatte</strong> als Fünfjährige <strong>mit</strong>erlebt<br />

acht Haussuchungen und drei Verhaftungen von meinem Vater" (3 /11)<br />

Die <strong>der</strong> deutsch-baltischen Obersch<strong>ich</strong>t angehörende Familie Borke war<br />

also konkret von <strong>der</strong> revolutionären Umwäl<strong>zu</strong>ng Rußlands bedroht. Die Tatsache,<br />

daß Frau Borke den Beruf des Vaters wie<strong>der</strong>holt angibt und ihn hier im<br />

Zusammenhang <strong>mit</strong> Hausdurchsuchungen und Verhaftungen erwähnt, legt die<br />

Interpretation nahe, daß <strong>der</strong> Vater — vor dem Hintergrund <strong>der</strong> Durchset<strong>zu</strong>ng<br />

<strong>der</strong> marxistisch-leninistischen Weltanschauung — als Vertreter des protestantischen<br />

Glaubens politisch verfolgt wurde. Ob ihr Vater allein durch seinen<br />

Beruf bzw. seine Position gefährdet war o<strong>der</strong> ob er darüber hinaus auch politisch<br />

aktiv war und s<strong>ich</strong> gegen die marxistisch-leninistische Politik engagierte,<br />

läßt Frau Borke offen.<br />

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