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"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc

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Der Zweite Weltkrieg begann, als Erika Schild gerade verheiratet war und<br />

ihr Leben s<strong>ich</strong> hätte konsolidieren sollen. In den nächsten Jahren wirkte s<strong>ich</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Krieg</strong> nachhaltig auf ihre Lebensführung aus: Die Familie wurde ausgebombt,<br />

mußte ihren Wohnort verlassen und <strong>mit</strong> <strong>der</strong> ständigen Lebensbedrohung<br />

leben. In dieser Situation, als Mutter zweier Kin<strong>der</strong>, von denen eines behin<strong>der</strong>t<br />

war und <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en Fürsorge seiner Mutter bedurfte, wurde Erika<br />

Schilds gesamte Kraft von <strong>der</strong> Aufrechterhaltung <strong>der</strong> Alltagsroutinen absorbiert.<br />

Zum Nachdenken blieb wenig Zeit. Insofern ist die Verengung ihrer<br />

Perspektive auf die <strong>der</strong> unpolitischen Hausfrau und Mutter naheliegend: ihr<br />

damaliges Erleben <strong>der</strong> <strong>Krieg</strong>sjahre war durch diese Rolle bestimmt.<br />

Das Interview legt uns nahe, Erika Schild habe s<strong>ich</strong> damals <strong>mit</strong> den ideologischen<br />

Zielen und Idealen des Nationalsozialismus n<strong>ich</strong>t identifiziert und<br />

fühlte s<strong>ich</strong> deshalb bis heute n<strong>ich</strong>t in die politischen Umstände ihres Lebens<br />

verstrickt. Doch sollten wir uns n<strong>ich</strong>t all<strong>zu</strong> bereitwillig <strong>mit</strong> dieser Interpretation<br />

<strong>zu</strong>frieden geben. Warum, so könnte man fragen, muß sie das Bild <strong>der</strong> unpolitischen<br />

Hausfrau und Mutter, <strong>der</strong>en Horizont s<strong>ich</strong> in Ehe und Familie erschöpfte,<br />

dann so strapazieren? Hat diese Perspektive n<strong>ich</strong>t noch eine tiefergehende<br />

Bedeutung für Erika Schilds Auseinan<strong>der</strong>set<strong>zu</strong>ng <strong>mit</strong> <strong>der</strong> nationalsozialistischen<br />

Vergangenheit? Wir meinen, daß Frau Schild dieses Bild ihrer<br />

selbst benötigt, um s<strong>ich</strong> <strong>der</strong> weiteren Reflexion ihrer Vergangenheit <strong>zu</strong> entziehen.<br />

Mit dem Selbstbild <strong>der</strong> unpolitischen Hausfrau und Mutter konnte und<br />

kann sie s<strong>ich</strong> selbst beruhigen. Wer unpolitisch war, lautet die dahinterliegende<br />

Argumentation, trägt für die Verbrechen keine Verantwortung. Ihre Erinnerungen<br />

an den nationalsozialistischen Terror gegenüber <strong>der</strong> jüdischen Bevölkerung,<br />

den sie als Angestellte eines jüdischen Geschäfts und als Frau eines<br />

Spediteurs, <strong>der</strong> wohl <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Arisierung jüdischen Besitzes <strong>zu</strong> tun <strong>hatte</strong>,<br />

selbst erlebt hat, bedrücken sie deshalb kaum. Sie beruhigt s<strong>ich</strong> <strong>mit</strong> dem<br />

Schein-Entlastungsargument <strong>der</strong> Auswan<strong>der</strong>ungsmögl<strong>ich</strong>keit.<br />

Mit dieser Reparaturstrategie, die wir „Entpolitisierung" nennen, soll die<br />

NS-Vergangenheit wie<strong>der</strong> normalisiert werden. Das Ungewöhnl<strong>ich</strong>e an Frau<br />

Schilds Rekonstruktion ihrer Lebensgesch<strong>ich</strong>te ist die Durchgängigkeit, <strong>mit</strong><br />

<strong>der</strong> sie diese Strategie einsetzt, eine Mögl<strong>ich</strong>keit, die s<strong>ich</strong> wegen des Geschlechtsrollenverständnisses<br />

eher Frauen als Männern anbietet. Frau Schild<br />

macht s<strong>ich</strong> selbst die Stereotypen <strong>der</strong> unwissenden, naiven Frau ohne gesellschaftspolitischen<br />

Horizont <strong>zu</strong> eigen — eine „Beschränktheit", die ein Mann<br />

wohl kaum <strong>zu</strong> seiner Entlastung anführen würde. Diese sozial anerkannte<br />

„Beschränktheit" auf Kin<strong>der</strong> und Herd ist für sie ein „Schild", das sie von <strong>der</strong><br />

Reflexion ihrer Vergangenheit entlastet und sie vor <strong>der</strong> For<strong>der</strong>ung nach Legitimation<br />

und bohrenden Fragen nach <strong>der</strong> eigenen politischen Haftung schützt.<br />

Dieses „Schild", um diese Metapher noch weiter <strong>zu</strong> bemühen, hat auch durch<br />

den Prozeß ihrer Politisierung nach 1945 kaum Risse bekommen; ihr neu erwachendes<br />

Interesse fur Politik klammert entscheidende Aspekte des sogenannten<br />

Dritten Re<strong>ich</strong>es aus. Auch ihre Umwelt wird ihr n<strong>ich</strong>t auferlegt ha-<br />

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