"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc

von gewußt zu haben. Die Formel „wir haben von nichts gewußt" ist von der
bundesrepublikanischen Bevölkerung immer wieder zu hören. Man kann sich
jedoch fragen, worauf sich diese Unwissenheit bezieht. Frau Schild wußte jedenfalls
verhältnismäßig viel, hat sie doch die Bedrängnis der jüdischen Bevölkerung
schon vor Kriegsbeginn hautnah erlebt. Während der Zeit bei Verwandten
in Weimar hat sie in unmittelbarer Nähe des Konzentrationslagers
Buchenwald gelebt. Im Interview hebt sie hervor, daß sie jedoch erst durch die
Nürnberger Prozesse „davon" erfahren habe. Doch wovon ist die Rede? Mit
„davon" meint Erika Schild vermutlich die Zahl der Ermordeten und die Vorgehensweise
der Mörder, die Vernichtung durch Vergasung.
Von den Abtransporten der jüdischen Bevölkerung und dem ihr drohenden
Unheil hat sie jedenfalls in gewisser Weise Kenntnis gehabt. Beispielsweise
erzählt sie — allerdings unter dem Motto, „davon nichts gewußt zu haben" —
von einer Situation, in der ihr Mann auf dem Heimweg von seinem Arbeitsplatz
zufallig in einen Transport jüdischer Bürger geraten war:
B: „und da war der Zug voll von Juden die in die Ostsee auf die Hermann Guslow hieß die glaub
ich gebracht wurden und da alle ä ä umgebracht worden sind, er hat des nicht gewußtalso=er=stieg=in
den Zug wie immer (1) er sachte er kam dann nach Hause da w — da war
so erledigt also, und das war dann aber schon, fast Kriechsende nicht da hat
I: hm
B: man dann wahrscheinlich diese letzten äh — Juden ja woher sind die denn gekommen von
Magdeburg (1) ich weiß nich ob da en KZ war, die=hat=man=dann aber auch schrecklich,
umgebra- hernach wurde das so erzählt daß die —" (51 /25)
Unklar ist, warum ihr Mann nach seinem Erlebnis „so erledigt" war, wenn
er damals von nichts gewußt hat. Klar ist nur, daß er vor dem erschrak, was
er da sah — und dies mag mehr gewesen sein, als er bisher gewußt hatte. Frau
Schild verbirgt nicht, daß sie von Konzentrationslagern wußte. Dieses Wissen
ist für sie aber nicht sehr bedrückend, da sie sich als jemand darstellt, die damals
naiv und unpolitisch der NS-Propaganda vertraute. In diesem Zusammenhang
erinnert sie sich an den antibritischen Propagandafilm „Ohm Krüger",
in dem dargestellt wurde, daß die Engländer während des Burenkrieges
die Konzentrationslager „erfunden" hätten. Auch erzählt sie über eine Vergeltungsaktion
der Deutschen, die sie entsprechend der NS-Propaganda damals
nicht weiter hinterfragt habe:
B: „wir wurden ja gefuttert zum Beispiel ich=weiß=nich ob Ihnen das en Begriff noch is Lidice
I: hmm
Β: Lidice is en Dorf in Polen gewesen und da harn se ich glaube jedes — zweiten oder so erschossen
und Kinder — WIR, wir die Deutschen erschossen nich ((holt Luft)) weil die Deutschen
da irgendwie, heimtückische oder sowas umgelecht wurden so wurd es erzählt nich und da
harn wir dann auch jeden zweiten und auch Kinder Lidices (1)
erschossen=ich=weiß=aber=auch gar nicht daß man sich da nich mehr Gedanken drüber
gemacht werdn, WARSCHAU das Ghetto das wußten wir doch gar nicht" (51 /11)
Zwar bekennt Frau Schild, diese Aktion damals nicht hinterfragt zu haben,
doch wird im Zitat deutlich, daß sie sich bis heute noch nicht genauer mit dem
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