"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc
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Nach Frau Schilds Ans<strong>ich</strong>t waren diese ersten Berührungen <strong>mit</strong> <strong>der</strong> großen<br />
Politik ein Anstoß, „wach" <strong>zu</strong> werden und aus dem Hausfrauendasein heraus<strong>zu</strong>treten.<br />
Den eigentl<strong>ich</strong>en Wendepunkt, <strong>der</strong> ihr <strong>zu</strong> einem verän<strong>der</strong>ten politischen<br />
Bewußtsein verholfen habe, sieht sie jedoch in ihrer Beschäftigung als<br />
Sekretärin am Bergbau-Museum in Bochum von 1967 an.<br />
In <strong>der</strong> Zwischenzeit <strong>hatte</strong> Erika Schild 1953, <strong>mit</strong> 37 Jahren, ihr drittes Kind,<br />
eine Tochter, <strong>zu</strong>r Welt gebracht. Vier Jahre später, 1957, nahm sie eine Stelle<br />
als Sekretärin in einem Industriebetrieb an. Dort blieb sie zehn Jahre.<br />
Seit 1966 arbeitete sie als Sekretätin am Bergbau-Museum in Bochum, wo<br />
sie <strong>mit</strong> jungen, sozialdemokratischen Historikern in Berührung <strong>kam</strong> und u.a.<br />
für ein Projekt <strong>zu</strong>r Gesch<strong>ich</strong>te des Wi<strong>der</strong>stands gegen den Nationalsozialismus<br />
im Ruhrgebiet tätig war. Ihre Berufstätigkeit an diesem Museum stellt für<br />
sie einen Wendepunkt in ihrem politischen Engagement dar:<br />
„eigentl<strong>ich</strong> erst durch das Museum daß <strong>ich</strong> so (2) wach geworden bin, is ja klar die Themen lagen<br />
aufm Tisch n<strong>ich</strong> und <strong>ich</strong> mußte m<strong>ich</strong> da<strong>mit</strong> beschäftigen tats=auch=gern=und =<br />
da=gingen=mir=irgend wie=erst=die=Augen=auf' (59/35)<br />
Es war die politisch aktive Zeit <strong>der</strong> Studentenbewegung, in <strong>der</strong> auch eine<br />
kritische Beschäftigung <strong>mit</strong> dem Nationalsozialismus gefor<strong>der</strong>t wurde. Frau<br />
Schild meint, dadurch <strong>zu</strong>r Auseinan<strong>der</strong>set<strong>zu</strong>ng ermuntert worden <strong>zu</strong> sein —<br />
die Themen hätten, wie sie sagt, „auf dem Tisch" gelegen. Zu den Themen,<br />
auf die sie „hingestupst" worden sei, habe auch das „Dritte Re<strong>ich</strong>" und insbeson<strong>der</strong>e<br />
<strong>der</strong> sozialdemokratische Wi<strong>der</strong>stand gehört.<br />
Man könnte nun erwarten, daß Frau Schild im Interview auch inhaltl<strong>ich</strong> <strong>zu</strong><br />
ihrer Politisierung Stellung nimmt, daß sie uns ihre Reflexion des Nationalsozialismus<br />
und ihre heutige Haltung verdeutl<strong>ich</strong>t. Doch dies bleibt aus. Dagegen<br />
ist sie bemüht, von s<strong>ich</strong> das Bild <strong>der</strong> unpolitischen Hausfrau und Mutter<br />
<strong>zu</strong> ze<strong>ich</strong>nen. Es ist diese Perspektive, die die Auswahl und den Darstellungsmodus<br />
<strong>der</strong> erzählten Gesch<strong>ich</strong>ten steuert. Frau Schild entpolitisiert da<strong>mit</strong> ihre<br />
Vergangenheit: Sie war keine aktive Nationalsozialistin und fühlt s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t in<br />
den Nationalsozialismus verstrickt. Der <strong>Krieg</strong> ist n<strong>ich</strong>t die Folge nationalsozialistischer<br />
Politik, son<strong>der</strong>n br<strong>ich</strong>t wie ein Naturereignis in ihren Alltag ein.<br />
Sie gehört dem großen Kollektiv <strong>der</strong> duldenden Mitläuferinnen an. Dennoch<br />
kann s<strong>ich</strong> auch Frau Schild dem Gefühl <strong>der</strong> Mitverantwortung n<strong>ich</strong>t völlig entziehen.<br />
Dies wird deutl<strong>ich</strong>, als <strong>der</strong> nationalsozialistische Völkermord noch<br />
einmal thematisch wird. In diesem Fall wird dieses Thema von einer <strong>der</strong> beiden<br />
Interviewerinnen angesprochen, nachdem Frau Schild zwar schon an früheren<br />
Stellen über jüdische Mitbürger geredet, s<strong>ich</strong> einer Auseinan<strong>der</strong>set<strong>zu</strong>ng<br />
<strong>mit</strong> dem nationalsozialistischen Massenmord aber weitgehend durch den Hinweis<br />
auf die Emigrationsmögl<strong>ich</strong>keit entzogen hat. Nun gefragt, wann sie<br />
denn von den Verbrechen des Nationalsozialismus erfahren habe, antwortet<br />
sie, während <strong>der</strong> zwölfjährigen nationalsozialistischen Herrschaft n<strong>ich</strong>ts da-<br />
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