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"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc

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Der Volkssturm war in Frau Schilds Augen n<strong>ich</strong>t nur das letzte, son<strong>der</strong>n das<br />

„í///é>rletzte kt<br />

Aufgebot. In dieser Steigerung klingt Geringschät<strong>zu</strong>ng an, <strong>mit</strong><br />

<strong>der</strong> sie die „Jammerfiguren", „Kin<strong>der</strong> und Krüppel und alte Männer" hinter<br />

ihrer Gardine stehend betrachtete. Diese Menschen waren bei realistischer<br />

Betrachtung n<strong>ich</strong>t <strong>mehr</strong> in <strong>der</strong> Lage, das Blatt <strong>zu</strong> wenden und Deutschland<br />

noch <strong>zu</strong>m Sieg <strong>zu</strong> verhelfen. Ihr Lachen könnte also das Lachen <strong>der</strong>jenigen<br />

sein, die das Ende des sogenannten Dritten Re<strong>ich</strong>es herbeisehnte und nun sein<br />

letztes Zucken <strong>mit</strong> Häme und Genugtuung verfolgte. Doch hat s<strong>ich</strong> Erika<br />

Schild in dem gesamten Interview bisher n<strong>ich</strong>t als politisch engagiert <strong>zu</strong> erkennen<br />

gegeben. Hier scheint es viel<strong>mehr</strong> das Lachen <strong>der</strong> Verzweiflung über<br />

die n<strong>ich</strong>t <strong>mehr</strong> ab<strong>zu</strong>wendende Nie<strong>der</strong>lage <strong>der</strong> Deutschen gewesen <strong>zu</strong> sein<br />

sein, über die sie s<strong>ich</strong> anges<strong>ich</strong>ts des „allerletzten" Aufgebotes n<strong>ich</strong>t <strong>mehr</strong> <strong>zu</strong><br />

täuschen vermochte. Darin deutet s<strong>ich</strong> eine Haltung an, die s<strong>ich</strong> in vielen Interviews<br />

wie<strong>der</strong>findet: Zwar identifizierte s<strong>ich</strong> Frau Schild n<strong>ich</strong>t unbedingt<br />

<strong>mit</strong> <strong>der</strong> Politik des NS-Regimes vor dem Zweiten Weltkrieg, doch <strong>der</strong> <strong>Krieg</strong><br />

selbst wurde dann gewissermaßen „nationalisiert". Der nationalsozialistische<br />

Eroberungsfeld<strong>zu</strong>g wurde <strong>zu</strong> einem <strong>Krieg</strong> <strong>der</strong> Deutschen. Dieses Deutungsmuster<br />

findet s<strong>ich</strong> vor allem im „Mythos des unpolitischen Soldaten**, ein Begriff,<br />

<strong>der</strong> von Gabriele Rosenthal (1987 a) geprägt und für das Kollektiv <strong>der</strong><br />

Wehrmachtsangehörigen beschrieben worden ist. Die Entpolitisierung des<br />

Zweiten Weltkrieges erlaubt aber auch <strong>der</strong> Zivilbevölkerung, die Identifikation<br />

<strong>mit</strong> dem <strong>Krieg</strong>sziel eines deutschen Sieges bekennen <strong>zu</strong> können, ohne<br />

s<strong>ich</strong> da<strong>mit</strong> in dem Geständnis, s<strong>ich</strong> <strong>mit</strong> <strong>der</strong> nationalsozialistischen Politik<br />

identifiziert <strong>zu</strong> haben, <strong>zu</strong> verfangen.<br />

Doch kommen wir <strong>zu</strong>nächst <strong>zu</strong>r Rekonstruktion <strong>der</strong> Erlebnisse von Frau<br />

Schild <strong>zu</strong>rück. Egon Schild wurde also noch <strong>zu</strong>m Volkssturm eingezogen,<br />

doch <strong>kam</strong> dieses „allerletzte Aufgebot** n<strong>ich</strong>t <strong>mehr</strong> <strong>zu</strong>m Einsatz, es fand keine<br />

Feindberührung <strong>mehr</strong> statt. Ein riesiger Flüchtlingsstrom ergoß s<strong>ich</strong> über das<br />

Land; die Elbwiesen waren „übersät** <strong>mit</strong> flüchtenden Menschen, „soweit<br />

man nur gucken konnte**.<br />

Im April 1945 rückte die Front näher, und feindl<strong>ich</strong>e Geschosse brachen in<br />

die Frühlingsidylle ein, die anges<strong>ich</strong>ts <strong>der</strong> drohenden Situation um so intensiver<br />

erlebt wurde:<br />

„und dann saßen wir am letzten Tag in unserem Haus es war also ein wun<strong>der</strong>schöner Frühlingstach<br />

.. und in dem Garten stand ein Mandelbäumchen und das blühte, das blühte so wun<strong>der</strong>schön<br />

und so vielversprechend und so — so lebendig, und die Sonne schien und wir saßen noch einmal<br />

so r<strong>ich</strong>tig vertraut ... und wir saßen da in <strong>der</strong> Sonne vor diesem Mandelbäumchen und dachten<br />

— also des Leben geht wirkl<strong>ich</strong> weiter und <strong>mit</strong> einem Mal <strong>kam</strong>en da Granaten angeflogen"<br />

(35/37)<br />

Vor <strong>der</strong> näher rückenden Front floh die Familie gemeinsam <strong>mit</strong> Freunden<br />

in R<strong>ich</strong>tung Westen. Um ihre Kin<strong>der</strong> — aber wohl auch s<strong>ich</strong> selbst — ab<strong>zu</strong>lenken,<br />

erzählte Frau Schild Gesch<strong>ich</strong>ten o<strong>der</strong> rezitierte Ged<strong>ich</strong>te. Diese Situa-<br />

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