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"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc

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(26/31). Sie <strong>hatte</strong> die Anspannung und die Angst während <strong>der</strong> Bombenangriffe<br />

n<strong>ich</strong>t verarbeitet. Diese Gefühle führten in einem Augenblick <strong>zu</strong>m Nerven<strong>zu</strong>sammenbruch,<br />

in dem keine akute Gefahr <strong>mehr</strong> drohte und keine un<strong>mit</strong>telbare<br />

Notwendigkeit bzw. Mögl<strong>ich</strong>keit <strong>mehr</strong> bestand, in <strong>der</strong> Rolle <strong>der</strong> Zupackenden<br />

und Aktiven Halt <strong>zu</strong> finden.<br />

Wegen <strong>der</strong> großen Entfernung zwischen Weimar und dem Arbeitsplatz des<br />

Mannes zog die Familie im Mai 1944, als s<strong>ich</strong> die deutsche Nie<strong>der</strong>lage schon<br />

abze<strong>ich</strong>nete, in eine Kleinstadt in <strong>der</strong> Nähe von Dessau. Da Wohnungen in jener<br />

Zeit schwer <strong>zu</strong> finden waren, mieteten sie einen Laden. An die Umstände,<br />

unter denen sie dort lebten, erinnert s<strong>ich</strong> Frau Schild <strong>mit</strong> Abscheu:<br />

„wir wohnten in einem ganz entsetzl<strong>ich</strong>en Haus es war so das Unterste eigentl<strong>ich</strong> so sozial n<strong>ich</strong><br />

so also schreckl<strong>ich</strong> voller Ratten, Mäusen, Läusen und all so was, schreckl<strong>ich</strong>e Sprache spr<strong>ich</strong>t<br />

man da auch das is halb berlinerisch und halb sächsisch also es is fürchterl<strong>ich</strong>" (9/23)<br />

Man gewinnt den Eindruck, daß die Orientierung an äußerl<strong>ich</strong>er Normalität<br />

das Korsett war, <strong>mit</strong> dem es Erika Schild gelang, die Bedrohung und den<br />

Schrecken des <strong>Krieg</strong>es im Alltag <strong>zu</strong> bewältigen. Gegen die Gefahr eines sozialen<br />

Abstieges o<strong>der</strong> dessen äußere Anze<strong>ich</strong>en konnte sie s<strong>ich</strong> wehren, ihre<br />

ganze Tüchtigkeit einsetzen, um dem entgegen<strong>zu</strong>wirken, während sie <strong>der</strong> Bedrohung<br />

durch den <strong>Krieg</strong> weitgehend hilflos ausgeliefert war. Läuse, so meint<br />

sie, seien für sie <strong>der</strong> „tiefste Punkt 44<br />

gewesen:<br />

„das war so schreckl<strong>ich</strong> für m<strong>ich</strong> das war <strong>der</strong>— tiefste Punkt den <strong>ich</strong> moralisch da erre<strong>ich</strong>te —<br />

also das war ganz schreckl<strong>ich</strong> Läuse — des — war gab es ja auch eigentl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong> ... ganz eigentüml<strong>ich</strong><br />

das hat m<strong>ich</strong> tief getroffen" (42/17)<br />

Auf die Nachr<strong>ich</strong>t, daß auch ihre Tochter Elisabeth Läuse bekommen <strong>hatte</strong>,<br />

reagierte sie vergle<strong>ich</strong>sweise heftig. Rückblickend ist offenbar Erika Schild<br />

selbst über diese Heftigkeit überrascht, denn sie meint: „ganz eigentüml<strong>ich</strong> das<br />

hat m<strong>ich</strong> tief getroffen 44 . Diese Reaktion wird vor dem Hintergrund verständl<strong>ich</strong>,<br />

daß Läuse <strong>zu</strong> haben für Erika Schild bedeutete, s<strong>ich</strong> körperl<strong>ich</strong> <strong>zu</strong> vernachlässigen<br />

und Gefahr <strong>zu</strong> laufen, in die Asozialität ab<strong>zu</strong>gleiten und s<strong>ich</strong> selbst auf<strong>zu</strong>geben.<br />

Solange es ihr jedoch gelang, eine Alltagsnormalität aufrecht<strong>zu</strong>erhalten,<br />

fühlte sie s<strong>ich</strong> in <strong>der</strong> Lage, den mör<strong>der</strong>ischen Lebensumständen <strong>zu</strong> trotzen.<br />

<strong>Als</strong> das <strong>Krieg</strong>sende und die Nie<strong>der</strong>lage n<strong>ich</strong>t <strong>mehr</strong> auf<strong>zu</strong>halten waren, sollte<br />

auch in ihrer Stadt <strong>der</strong> von Goebbels propagierte End<strong>kam</strong>pf in all seiner Sinnlosigkeit<br />

geführt werden. Egon Schild wurde <strong>zu</strong>m Volkssturm eingezogen.<br />

Frau Schild erinnert s<strong>ich</strong>, daß ihr Mann zweimal an Übungen teilnahm, bei<br />

denen er den Umgang <strong>mit</strong> Waffen lernen sollte. Sie konnte jedoch dieses letzte<br />

Aufgebot n<strong>ich</strong>t ernst nehmen:<br />

„das war das allerletzte Aufgebot und da <strong>kam</strong> er ((ihr Mann)) eines Sonntag morgens da vorbei<br />

und <strong>ich</strong> stand am Fenster und <strong>ich</strong> mußte so fürchterl<strong>ich</strong> lachen und mein Mann auch — über diese<br />

Jammerfiguren wenn die da vielle<strong>ich</strong>t den <strong>Krieg</strong> noch <strong>mit</strong> än<strong>der</strong>n wolln des=war=so=blödsinnig"<br />

(47/28)<br />

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