"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc

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Gabriele Rosenthal ά2 Die Auswertung Hermeneutische Rekonstruktion erzählter Lebensgeschichten Globalanalyse, theoretische Stichprobe und kontrastiver Vergleich Alle Interviews werden auf der Grundlage der Gesprächsnotizen, die jeweils nach den Interviews angefertigt werden, und einem Überblick über die biographischen Daten einer Globalanalyse unterzogen. Diese erste Analyse führt zu einer vorläufigen Typisierung der Biographinnen (z.B. im Hinblick auf ihre Einstellung zum Soldatsein). Dem Konzept der theoretischen Stichprobe nach Glaser und Strauss (1967: 45-78) folgend, werden — basierend auf dieser Vorauswertung — Interviews zur Fallanalyse ausgewählt Da bei hermeneutischen Verfahren der Anspruch auf Repräsentativst nicht erhoben werden kann, ist es mithin nicht Ziel, die Häufigkeit eines Typus in bestimmten Populationen festzustellen. Vielmehr soll rekonstruiert werden, welche Möglichkeiten innerhalb einer Gesellschan, eines Milieus oder einer Institution bestehen, auf ein soziales Geschehen zu „antworten". Daher interessieren hier — ganz im Gegensatz zu Kriterien der Repräsentativität — auch die selten auftretenden Fälle. Diese können theoretisch besonders interessant sein und geben auch weiteren Aufschluß über das, was sie nicht sind, nämlich das häufig Auftretende, „Normale". Weiterhin können sie als Hinweise auf einen sich anbahnenden sozialen Wandel gelten. Die Auswahl bei der theoretischen Stichprobe orientiert sich also am theoretisch interessanten Fall mit dem Ziel, beim kontrastiven Vergleich distinkte Typen zu ermitteln. Der kontrastive Vergleich der einzelnen Fallanalysen stellt zwar einen weiteren Analyseschritt nach Abschluß der Einzelfallanalyse dar, doch er findet immer auch schon parallel zu den einzelnen Fallanalysen statt. Um zu bestimmen, was ein Fall ist, muß ich gleichzeitig wissen, was er nicht ist und dabei schweben mir andere — ob imaginierte oder real vorhandene — Möglichkeiten vor. Hat man wie wir den Vorteil, in einer Forscherinnengruppe zu arbeiten, in der jede/r Mitarbeiterin Fallanalysen durchfuhrt, werden in den gemeinsamen Diskussionen ständig die einzelnen Fälle miteinander kontrastiert. Wieviele Interviews sollen nun ausgewertet werden? Dies ist eine häufig gestellte Frage, zu der fast ebenso häufig fragwürdige Anworten gegeben werden, wie: mindestens 6 oder 12. Der Angabe einer Menge — womöglich noch mit dem Argument einer geraden Anzahl oder dgl. — kann nur die Vorstellung einer numerischen und nicht theoretischen Verallgemeinerung zugrundeliegen: Nur das, was häufig auftritt, gilt als verallgemeinerbar. Die Anzahl der 246

zu analysierenden Fälle läßt sich bei einer Studie mit dem Ziel einer theoretischen Verallgemeinerung, die prinzipiell bei jedem einzelnen Fall möglich ist, erst nach Abschluß der Analyse bestimmen, und zwar dann, wenn kein neuer Typus mehr rekonstruiert werden kann und eine theoretische „Sättigung** eintritt, also keine neuen Phänomene mehr auffindbar sind. Die Annahme dieses Sättigungszustandes ist aber nur idealtypisch; man kann sich ihm nur annähern. Ganz gestillt kann der Hunger nie werden, da sich im Laufe der Zeit nicht nur die Phänomene verändern, sondern auch der Zugang zu ihnen. Außerdem stehen die meisten von uns unter forschungspragmatischen Zwängen. Wir haben häufig nicht genug Zeit, Mittel und vielleicht auch Geduld, um immer weiter an einem Projekt zu forschen. Transkription Die zur weiteren Fallauswertung ausgewählten Interviews werden entsprechend ihrer hörbaren Gestalt ohne Rücksicht auf die Regeln der Schriftsprache wortwörtlich und ohne Auslassungen transkribiert (vgl. Transkriptionsregeln im Anhang). Die Transkription des gesamten Interviews ist zwar eine zeit- und kostenaufwendige Angelegenheit, doch um vorab definieren zu können, was und was nicht transkribiert wird, bedürfte es bereits einer abgeschlossenen Falianalyse, zu der eine Transkription ja gerade benötigt wird. Vor der Analyse ist nicht entscheidbar, was für die Fallinterpretation von Bedeutung ist und was nicht. Nehmen wir das hermeneutische Grundprinzip ernst, die Bedeutungen einzelner Dokumente aus dem Sinnzusammenhang des gesamten Textes zu rekonstruieren anstatt Textsegmenten irgendwelche von außen herangetragene Kategorien überzustülpen, so ermöglicht auch erst eine vollständige Textanalyse Aussagen über die Zugehörigkeit von Sequenzen zu bestimmten Themen. Was die Themen sind, und welche Sequenzen sich auf sie beziehen, glaubt der/die hermeneutische Interpretin also nicht vor, sondern erst nach der Analyse zu wissen. Vorab kann er/sie z.B. nicht darüber entscheiden, ob die Beschreibung eines Gartens fur den /die Erzählerin zum Thema Kriegserleben gehört oder nicht. Doch weshalb wird der Aufwand, alle Pausen, Abbruche, „hms** und dgl. zu notieren, betrieben? Die theoretische Begründung, daß die parasprachlichen Phänomene, die wir — nebenbei bemerkt — auch in unserer Alltagskommunikation immer unreflektiert als wesentliche ΙηίεφΓ6αηΐοη5ηί1&η benützen, für die Rekonstruktion der Konnotationen des Gesprochenen notwendig sind, mag den Zweiflerlnnen vielleicht nicht einleuchten. Wer sich jedoch einmal auf die Feinanalyse von Textstellen eingelassen hat, weiß, welch enorme Rolle z.B. die Länge einer Pause fur die Bedeutungsrekonstruktion einer Aussage haben kann. 247

Gabriele<br />

Rosenthal<br />

ά2 Die Auswertung<br />

Hermeneutische Rekonstruktion erzählter Lebensgesch<strong>ich</strong>ten<br />

Globalanalyse, theoretische St<strong>ich</strong>probe und kontrastiver Vergle<strong>ich</strong><br />

Alle Interviews werden auf <strong>der</strong> Grundlage <strong>der</strong> Gesprächsnotizen, die jeweils<br />

nach den Interviews angefertigt werden, und einem Überblick über die<br />

biographischen Daten einer Globalanalyse unterzogen. Diese erste Analyse<br />

führt <strong>zu</strong> einer vorläufigen Typisierung <strong>der</strong> Biographinnen (z.B. im Hinblick<br />

auf ihre Einstellung <strong>zu</strong>m Soldatsein).<br />

Dem Konzept <strong>der</strong> theoretischen St<strong>ich</strong>probe nach Glaser und Strauss (1967:<br />

45-78) folgend, werden — basierend auf dieser Vorauswertung — Interviews<br />

<strong>zu</strong>r Fallanalyse ausgewählt Da bei hermeneutischen Verfahren <strong>der</strong> Anspruch<br />

auf Repräsentativst n<strong>ich</strong>t erhoben werden kann, ist es <strong>mit</strong>hin n<strong>ich</strong>t<br />

Ziel, die Häufigkeit eines Typus in bestimmten Populationen fest<strong>zu</strong>stellen.<br />

Viel<strong>mehr</strong> soll rekonstruiert werden, welche Mögl<strong>ich</strong>keiten innerhalb einer<br />

Gesellschan, eines Milieus o<strong>der</strong> einer Institution bestehen, auf ein soziales<br />

Geschehen <strong>zu</strong> „antworten". Daher interessieren hier — ganz im Gegensatz <strong>zu</strong><br />

Kriterien <strong>der</strong> Repräsentativität — auch die selten auftretenden Fälle. Diese<br />

können theoretisch beson<strong>der</strong>s interessant sein und geben auch weiteren Aufschluß<br />

über das, was sie n<strong>ich</strong>t sind, näml<strong>ich</strong> das häufig Auftretende, „Normale".<br />

Weiterhin können sie als Hinweise auf einen s<strong>ich</strong> anbahnenden sozialen<br />

Wandel gelten.<br />

Die Auswahl bei <strong>der</strong> theoretischen St<strong>ich</strong>probe orientiert s<strong>ich</strong> also am theoretisch<br />

interessanten Fall <strong>mit</strong> dem Ziel, beim kontrastiven Vergle<strong>ich</strong> distinkte<br />

Typen <strong>zu</strong> er<strong>mit</strong>teln. Der kontrastive Vergle<strong>ich</strong> <strong>der</strong> einzelnen Fallanalysen<br />

stellt zwar einen weiteren Analyseschritt nach Abschluß <strong>der</strong> Einzelfallanalyse<br />

dar, doch er findet immer auch schon parallel <strong>zu</strong> den einzelnen Fallanalysen<br />

statt. Um <strong>zu</strong> bestimmen, was ein Fall ist, muß <strong>ich</strong> gle<strong>ich</strong>zeitig wissen, was er<br />

n<strong>ich</strong>t ist und dabei schweben mir an<strong>der</strong>e — ob imaginierte o<strong>der</strong> real vorhandene<br />

— Mögl<strong>ich</strong>keiten vor. Hat man wie wir den Vorteil, in einer Forscherinnengruppe<br />

<strong>zu</strong> arbeiten, in <strong>der</strong> jede/r Mitarbeiterin Fallanalysen durchfuhrt,<br />

werden in den gemeinsamen Diskussionen ständig die einzelnen Fälle <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong><br />

kontrastiert.<br />

Wieviele Interviews sollen nun ausgewertet werden? Dies ist eine häufig gestellte<br />

Frage, <strong>zu</strong> <strong>der</strong> fast ebenso häufig fragwürdige Anworten gegeben werden,<br />

wie: mindestens 6 o<strong>der</strong> 12. Der Angabe einer Menge — womögl<strong>ich</strong> noch<br />

<strong>mit</strong> dem Argument einer geraden Anzahl o<strong>der</strong> dgl. — kann nur die Vorstellung<br />

einer numerischen und n<strong>ich</strong>t theoretischen Verallgemeinerung <strong>zu</strong>grundeliegen:<br />

Nur das, was häufig auftritt, gilt als verallgemeinerbar. Die Anzahl <strong>der</strong><br />

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