"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc
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auswe<strong>ich</strong>en <strong>zu</strong> können, doch sie befreit ihn letztl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t von Schuldgefühlen,<br />
Alpträumen und hilflosen Aggressionen. Seine Argumente <strong>zu</strong>r Schuldabweisung<br />
an Jugoslawen und sadistische SS-Männer o<strong>der</strong> jene <strong>zu</strong>r Schuldmin<strong>der</strong>ung<br />
aufgrund seiner eigenen Machtlosigkeit und seiner Unkenntnis über die<br />
Judenerschießungen in Polen nehmen ihm seine Schuldgefühle n<strong>ich</strong>t, er wird<br />
viel<strong>mehr</strong> von ihnen in seinen Träumen weiter verfolgt.<br />
Herr Acka als weiterer Zeuge <strong>der</strong> NS-Verbrechen wendet die biographische<br />
Strategie <strong>der</strong> Verd<strong>ich</strong>tung des „Dritten Re<strong>ich</strong>es" auf die <strong>Krieg</strong>sjahre an und<br />
kann s<strong>ich</strong> so<strong>mit</strong> Fragen nach seinen parteipolitischen Aktivitäten vor dem<br />
<strong>Krieg</strong>seinsatz entziehen. Mit <strong>der</strong> Ausblendung <strong>der</strong> vormilitärischen Zeit steht<br />
er jedoch vor dem Dilemma, daß die Zeit, über die er viel erzählt, die ihn belastendem<br />
Zeit ist. Während Herr Langenbach noch heute hilflos unter seiner<br />
Verstrickung in die Verbrechen leidet und Gefühle <strong>der</strong> Trauer und <strong>der</strong> Wut <strong>zu</strong>läßt,<br />
wirkt Herr Acka bei diesem Themenbere<strong>ich</strong> eher emotionslos. Auch hat<br />
er im Unterschied <strong>zu</strong> Herrn Langenbach ein ausgefeilteres Repertoire an<br />
Rechtfertigungen entwickelt bzw. übernommen. Vor allem eine Reparatur, die<br />
aus seiner Strategie <strong>der</strong> Verd<strong>ich</strong>tung auf die unpolitischen <strong>Krieg</strong>sjahre resultiert,<br />
hilft ihm, die NS-Verbrechen <strong>zu</strong> normalisieren: Er subsumiert sie unter<br />
das <strong>Krieg</strong>sgeschehen. Des weiteren entlastet er s<strong>ich</strong> <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Sympathie von<br />
Verfolgten, <strong>der</strong> Sühne durch die <strong>Krieg</strong>sverbrecherprozesse in Nürnberg und<br />
<strong>mit</strong> <strong>der</strong> Schuld<strong>zu</strong>weisung an die jüdische Bevölkerung selbst. Doch auch er<br />
leidet unter seiner Zeugenschaft o<strong>der</strong> Mitverstrickung, auch er will wie Herr<br />
Langenbach über diese Erlebnisse sprechen können, um s<strong>ich</strong> von ihnen <strong>zu</strong> befreien.<br />
Diese beiden Männer, die direkt <strong>mit</strong> dem Massenmord konfrontiert<br />
waren, können also diese problematische Zeit n<strong>ich</strong>t so einfach ausblenden wie<br />
die Zeitzeugen, die nur die Vorze<strong>ich</strong>en des Massenmords gesehen haben.<br />
Konnte man schon damals „wegsehen", wenn jüdische Nachbarn abgeholt<br />
wurden o<strong>der</strong> die SA <strong>der</strong>en Geschäfte und Wohnungen demolierte und jüdische<br />
Bürger prügelte, so kann man heute erst recht diese Erinnerungen verleugnen<br />
und n<strong>ich</strong>t darüber erzählen. Doch Zeugen <strong>der</strong> Massenerschießungen wie Herr<br />
Acka und Herr Langenbach konnten wohl schon damals kaum <strong>mit</strong> Wahrnehmungsabwehr<br />
reagieren, noch weniger können sie s<strong>ich</strong> heute, wollen sie n<strong>ich</strong>t<br />
das Gefühl <strong>der</strong> Aufr<strong>ich</strong>tigkeit vor s<strong>ich</strong> selbst verlieren, <strong>mit</strong> dem Argument<br />
„wir haben von n<strong>ich</strong>ts gewußt" entlasten. Sie haben das Grauen direkt vor Augen<br />
gehabt, und deshalb werden sie vom Leid <strong>der</strong> Opfer und von den Taten <strong>der</strong><br />
Täter weit <strong>mehr</strong> verfolgt als an<strong>der</strong>e, n<strong>ich</strong>t so un<strong>mit</strong>telbar Konfrontierte.<br />
Leiden die Soldaten <strong>der</strong> Etappe, die weit eher Zeugen <strong>der</strong> Verbrechen gegen<br />
die Menschl<strong>ich</strong>keit wurden als die Soldaten <strong>der</strong> fechtenden Truppe, zwar weniger<br />
unter selbst erlittenen traumatischen <strong>Krieg</strong>serlebnissen, so werden sie<br />
dagegen von Szenen des Schreckens, des bestialischen Ermordens von Menschen<br />
und da<strong>mit</strong> von stärkeren Scham- und Schuldgefühlen verfolgt als die<br />
Frontsoldaten und die von schweren Bombenangriffen betroffene Zivilbevölkerung.<br />
Es mag vielle<strong>ich</strong>t abenteuerl<strong>ich</strong> klingen, doch kann man n<strong>ich</strong>t die<br />
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