"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc

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Hitlerjugend-Generation dagegen standen 1945 am Beginn ihrer Berufs- und Familienlaufbahn; sie mußten sich also nicht in bereits Bestehendes einfügen. Die Angehörigen der Hitlerjugend-Generation (ca. die Jahrgänge 1922-1930), die Kindheit und Jugend im „Dritten Reich" erlebt haben, sind in unvergleichlicher Weise durch die staatlichen Erziehungsinstanzen wie Schule und NS-Jugendorganisation einem einheitlichen Sozialisationsmilieu ausgesetzt gewesen. Diese von der NS-Propaganda als „Garanten der Zukunft" bezeichneten Kinder und Jugendlichen wurden wohl noch am ehesten zu den Menschen sozialisiert, die sich die nationalsozialistischen Ideologen erhofften. Analysen von Lebensgeschichten von Angehörigen der Hitlerjugend-Generation (Rosenthal 1986; 1987b) legen die Annahme nahe, daß die Männer der HJ-Generation zugleich am ehesten dem nationalsozialistischen Ideal des politischen Soldaten entsprachen, der bis zum letzten für den Sieg des Nationalsozialimus kämpfte. Es ist anzunehmen, daß für diese Generation die Zerschlagung des „Dritten Reiches" enttäuschender war als für die älteren Zeitgenossen und demzufolge auch zu tiefergehenden Desillusionierungs- und Aufarbeitungsprozessen führte. Die Kriegsjahre des Zweiten Weltkrieges hatten für die HJ-Generation eine vergleichbare biographische Bedeutung wie die des Ersten Weltkrieges für die Jugend des wilhelminischen Kaiserreiches. Die männlichen Angehörigen beider Generationen erlebten ihren Eintritt ins Erwachsenenalter meist zeitgleich im Zusammenhang mit dem Statuswechsel zum Soldaten; ihre Ausbildungsund Berufskarrieren wurden durch den Einzug zum Militär unterbrochen. Mit den deutschen Niederlagen zerbrachen für die Angehörigen beider Generationen Illusionen und Hoffnungen. Das geflügelte Wort der Hitlerjugend- Generation: „Wir wurden um unsere Jugend betrogen" gilt ebenso für diejenigen, die im Ersten Weltkrieg Jugendliche waren; sie trauern jeweils um den Verlust einer unbeschwerten Jugend. Doch die Erlebnishintergründe, die politische Sozialisation der Jugend des wilhelminischen Kaiserreiches und des Nazi-Deutschlands ebenso wie die konkreten Bedingungen des Stellungskriegs von 1914-1918 und des Bewegungskrieges von 1939-1945 sowie die jeweilige Nachkriegssituation waren sehr unterschiedlich, so daß sich diese Generationen dennoch voneinander unterscheiden. Die wilhelminische Jugendgeneration war die Elterngeneration der Hitlerjungen und BDM-Mädchen; es war die Generation, von der sich die Hitlerjugendlichen entsprechend der NS-Propaganda, derzufolge diese immer noch an den Kaiser glaubte, abgrenzen sollten. Die NS-Pädagogen schmeichelten dem Selbstwertgefühl der Jugendlichen, indem sie ihnen vermittelten, daß die Gesellschaft aufgrund der überholten Orientierung der Elterngeneration beim Aufbau eines neuen Deutschlands maßgeblich auf die Jugend angewiesen sei. Der Generationskonflikt zwischen Eltern und Kindern wurde von der NS- Propaganda bzw. deren Erziehungsinstanzen also geschickt genützt, um die Jugend dem Einfluß der Eltern zu entziehen. Nichtsdestoweniger gab es auch 20

weltanschauliche Übereinstimmungen zwischen Angehörigen beider Generationen. Es gab Veteranen des Ersten Weltkrieges, die ihre Hoffnungen auf die Jugend des „Dritten Reiches" setzten. Es waren diejenigen, die sich trotz ihrer Fronterlebnisse nicht zu Pazifisten entwickelt hatten, die den Krieg vielmehr verherrlichten und die auf die Wiedererlangung deutscher Vorherrschaft in Europa hofften. Sie teilten mit den nationalsozialistisch gesinnten Jugendlichen des „Dritten Reiches", die die Frontsoldaten des Ersten Krieges bewunderten, die Identifikation mit der NS-Kriegspolitik und die Hoffnung auf die Expansion des deutschen Herrschaftsbereiches. Soweit die kurze Charakterisierung dieser drei Generationen, deren Angehörige den Zweiten Weltkrieg entsprechend ihrer jeweiligen Vergangenheit aus recht unterschiedlicher Perspektive erlebt haben. Welche biographische Bedeutung der Zweite Weltkrieg für den einzelnen hatte, ob z.B. eine Frau ihre Kinder allein erziehen mußte, ob sie als Straßenbahnschaffnerin dienstverpflichtet wurde, ob ein Mann eingezogen wurde und damit an seiner Berufslaufbahn gehindert wurde, bestimmte zunächst das chronologische Alter, das Geburtsdatum. Doch neben diesen aus dem Lebensalter resultierenden unterschiedlichen Lebensbedingungen während des Krieges war die biographische Bedeutung dieses Krieges, die Art und Weise wie der Einzelne den Krieg erlebte, welche Haltung er gegenüber diesem Krieg einnahm, ob er begeistert für die Ideale des Nationalsozialismus kämpfte oder Pazifist war, welche Ängste und Hoffnungen er mit diesem Krieg verband, auch abhängig von seiner Generationszugehörigkeit. 1.4 Vergangenheitsbewältigung in erzählten Lebensgeschichten Komprimiert lassen sich die bisherigen Überlegungen wie folgt zusammenfassen: Das Erleben des Zweiten Weltkrieges war von den konkreten Auswirkungen dieses Krieges auf den unmittelbaren Alltag der Zeitzeugen und der biographischen Bedeutung dieses Krieges fur ihr bereits gelebtes und zukünftiges Leben abhängig. Inwiefern determiniert nun das damalige Kriegserleben das heutige Leben mit dieser Vergangenheit, d.h. die Art und Weise der Bewältigung der Kriegsund NS-Vergangenheit? Dies ist die zentrale Frage der vorliegenden Studie. Es wird zu fragen sein, über welche unterschiedlichen Strategien Zeitzeugen verfügen, um mit ihren Kriegserlebnissen leben zu können, und wie sie mit dem unlösbaren Zusammenhang von Krieg und Nationalsozialismus umgehen. Handelt es sich für sie überhaupt um zwei Themen, oder sind Krieg und Nationalsozialismus Bestandteile eines Themas? Um diesen Fragen nachzugehen, wollen wir jedoch nicht — wie in der Einstellungs- und Umfrageforschung üblich — von der jeweiligen Biographie 21

<strong>Hitler</strong>jugend-Generation dagegen standen 1945 am Beginn ihrer Berufs- und<br />

Familienlaufbahn; sie mußten s<strong>ich</strong> also n<strong>ich</strong>t in bereits Bestehendes einfügen.<br />

Die Angehörigen <strong>der</strong> <strong>Hitler</strong>jugend-Generation (ca. die Jahrgänge<br />

1922-1930), die Kindheit und Jugend im „Dritten Re<strong>ich</strong>" erlebt haben, sind<br />

in unvergle<strong>ich</strong>l<strong>ich</strong>er Weise durch die staatl<strong>ich</strong>en Erziehungsinstanzen wie<br />

Schule und NS-Jugendorganisation einem einheitl<strong>ich</strong>en Sozialisationsmilieu<br />

ausgesetzt gewesen. Diese von <strong>der</strong> NS-Propaganda als „Garanten <strong>der</strong> Zukunft"<br />

beze<strong>ich</strong>neten Kin<strong>der</strong> und Jugendl<strong>ich</strong>en wurden wohl noch am ehesten<br />

<strong>zu</strong> den Menschen sozialisiert, die s<strong>ich</strong> die nationalsozialistischen Ideologen<br />

erhofften. Analysen von Lebensgesch<strong>ich</strong>ten von Angehörigen <strong>der</strong><br />

<strong>Hitler</strong>jugend-Generation (Rosenthal 1986; 1987b) legen die Annahme nahe,<br />

daß die Männer <strong>der</strong> HJ-Generation <strong>zu</strong>gle<strong>ich</strong> am ehesten dem nationalsozialistischen<br />

Ideal des politischen Soldaten entsprachen, <strong>der</strong> bis <strong>zu</strong>m letzten für<br />

den Sieg des Nationalsozialimus kämpfte. Es ist an<strong>zu</strong>nehmen, daß für diese<br />

Generation die Zerschlagung des „Dritten Re<strong>ich</strong>es" enttäuschen<strong>der</strong> war als<br />

für die älteren Zeitgenossen und dem<strong>zu</strong>folge auch <strong>zu</strong> tiefergehenden<br />

Desillusionierungs- und Aufarbeitungsprozessen führte.<br />

Die <strong>Krieg</strong>sjahre des Zweiten Weltkrieges <strong>hatte</strong>n für die HJ-Generation eine<br />

vergle<strong>ich</strong>bare biographische Bedeutung wie die des Ersten Weltkrieges für die<br />

Jugend des wilhelminischen Kaiserre<strong>ich</strong>es. Die männl<strong>ich</strong>en Angehörigen bei<strong>der</strong><br />

Generationen erlebten ihren Eintritt ins Erwachsenenalter meist zeitgle<strong>ich</strong><br />

im Zusammenhang <strong>mit</strong> dem Statuswechsel <strong>zu</strong>m Soldaten; ihre Ausbildungsund<br />

Berufskarrieren wurden durch den Ein<strong>zu</strong>g <strong>zu</strong>m Militär unterbrochen. Mit<br />

den deutschen Nie<strong>der</strong>lagen zerbrachen für die Angehörigen bei<strong>der</strong> Generationen<br />

Illusionen und Hoffnungen. Das geflügelte Wort <strong>der</strong> <strong>Hitler</strong>jugend-<br />

Generation: „Wir wurden um unsere Jugend betrogen" gilt ebenso für diejenigen,<br />

die im Ersten Weltkrieg Jugendl<strong>ich</strong>e waren; sie trauern jeweils um den<br />

Verlust einer unbeschwerten Jugend. Doch die Erlebnishintergründe, die politische<br />

Sozialisation <strong>der</strong> Jugend des wilhelminischen Kaiserre<strong>ich</strong>es und des<br />

Nazi-Deutschlands ebenso wie die konkreten Bedingungen des Stellungskriegs<br />

von 1914-1918 und des Bewegungskrieges von 1939-1945 sowie die jeweilige<br />

Nachkriegssituation waren sehr unterschiedl<strong>ich</strong>, so daß s<strong>ich</strong> diese Generationen<br />

dennoch voneinan<strong>der</strong> unterscheiden.<br />

Die wilhelminische Jugendgeneration war die Elterngeneration <strong>der</strong> <strong>Hitler</strong>jungen<br />

und BDM-Mädchen; es war die Generation, von <strong>der</strong> s<strong>ich</strong> die <strong>Hitler</strong>jugendl<strong>ich</strong>en<br />

entsprechend <strong>der</strong> NS-Propaganda, <strong>der</strong><strong>zu</strong>folge diese immer noch<br />

an den Kaiser glaubte, abgrenzen sollten. Die NS-Pädagogen schme<strong>ich</strong>elten<br />

dem Selbstwertgefühl <strong>der</strong> Jugendl<strong>ich</strong>en, indem sie ihnen ver<strong>mit</strong>telten, daß die<br />

Gesellschaft aufgrund <strong>der</strong> überholten Orientierung <strong>der</strong> Elterngeneration beim<br />

Aufbau eines neuen Deutschlands maßgebl<strong>ich</strong> auf die Jugend angewiesen sei.<br />

Der Generationskonflikt zwischen Eltern und Kin<strong>der</strong>n wurde von <strong>der</strong> NS-<br />

Propaganda bzw. <strong>der</strong>en Erziehungsinstanzen also geschickt genützt, um die<br />

Jugend dem Einfluß <strong>der</strong> Eltern <strong>zu</strong> entziehen. N<strong>ich</strong>tsdestoweniger gab es auch<br />

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