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"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc

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n<strong>ich</strong>ts <strong>mehr</strong> <strong>mit</strong> dem NS <strong>zu</strong> tun <strong>hatte</strong>. Für die dazwischen liegende Zeit — also<br />

vom 14.-17. Lebensjahr — versucht sie, ihren Aktivismus als JM-Führerin aus<strong>zu</strong>blenden.<br />

Die Zeit im JM wie <strong>der</strong> spatere <strong>Krieg</strong>seinsatz ist für sie n<strong>ich</strong>t legitimationsbedürftig,<br />

und daher kann sie darüber auch erzählen. Auch hier zeigt<br />

s<strong>ich</strong> wie bei an<strong>der</strong>en Lebensgesch<strong>ich</strong>ten, daß Auslassungen in <strong>der</strong> Erzählung<br />

n<strong>ich</strong>t nur Ze<strong>ich</strong>en für biographisch irrelevante Phasen und Bere<strong>ich</strong>e sind, son<strong>der</strong>n<br />

insbeson<strong>der</strong>e auch Ze<strong>ich</strong>en für aus <strong>der</strong> Selbstwahrnehmung <strong>der</strong> Biographen<br />

belastende Zeiten — und dies sind die Zeiten, in denen man eher selbst<br />

motiviert ohne äußeren Zwang im Sinne des NS handelte.<br />

Frau Heidt kann ihre Faszination für die Jungmädel bis <strong>zu</strong>m 14. Lebensjahr<br />

eingestehen. Sie normalisiert sie, indem sie den JM ebenso wie ihr Elternhaus<br />

als unpolitisch charakterisiert. Ihre Strategie, die <strong>ich</strong> als die explizite Entpolitisierung<br />

des eigenen Sozialisations milieus beze<strong>ich</strong>nen möchte, ist eine für die<br />

Frauen <strong>der</strong> HJ-Generation typische (vgl. Rosenthal u.a. 1986).<br />

Im Unterschied <strong>zu</strong> Frau Heidt sind die Biographien <strong>der</strong> ehemaligen HJ-ler<br />

ansonsten meist weit <strong>mehr</strong> vom politischen System des NS durchdrungen als<br />

die Biographien von Angehörigen an<strong>der</strong>er Generationen; die NS-<br />

Vergangenheit wird hier n<strong>ich</strong>t so durchgängig entpolitisiert. Da es den NS-<br />

Pädagogen gelang, einer Vielzahl von Jugendl<strong>ich</strong>en die Gewißheit <strong>zu</strong> ver<strong>mit</strong>teln,<br />

sie seien aktiv am Aufbau des neuen Re<strong>ich</strong>es beteiligt, sie seien die Garanten<br />

<strong>der</strong> Zukunft, fallt es ihnen heute, wollen sie vor s<strong>ich</strong> selbst n<strong>ich</strong>t das<br />

Gefühl <strong>der</strong> Aufr<strong>ich</strong>tigkeit verlieren, n<strong>ich</strong>t so le<strong>ich</strong>t, ihre Vergangenheit vollständig<br />

<strong>zu</strong> entpolitisieren. Ihr vorherrschendes Rechtfertigungsmuster ist ein<br />

an<strong>der</strong>es: Sie waren <strong>zu</strong> jung, um <strong>zu</strong> begreifen. Sie können ihre damalige Begeisterung<br />

offen eingestehen, weil sie s<strong>ich</strong> aufgrund ihres Alters frei von Verantwortung<br />

fühlen und darin durch die von den Alliierten erlassene Jugendamnestie<br />

bestärkt werden. Wenn in dieser Generation entpolitisiert wird, dann sind<br />

es vor allem die Frauen, die wie Frau Heidt meinen, <strong>der</strong> JM o<strong>der</strong> <strong>der</strong> BDM<br />

sei unpolitisch gewesen. Da<strong>mit</strong> tradieren sie die im „Dritten Re<strong>ich</strong>" propagierte<br />

Vorstellung <strong>der</strong> unpolitischen Erziehung <strong>der</strong> Mädchen im Unterschied<br />

<strong>zu</strong> <strong>der</strong> politischen <strong>der</strong> Jungen.<br />

Frau Schild nun, Angehörige <strong>der</strong> Weimarer Jugendgeneration, gelingt es,<br />

ihr gesamtes Leben bis 1945 <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Verwendung des Stereotyps einer Frau<br />

ohne politischen Horizont <strong>zu</strong> entpolitisieren. Diese Entpolitisierung korrespondiert<br />

einerseits <strong>mit</strong> ihrem damaligen Erleben, hat in ihrer Überbetonung<br />

aber an<strong>der</strong>erseits auch aus <strong>der</strong> Gegenwartsperspektive eine Funktion. Frau<br />

Schild kann da<strong>mit</strong> weiterhin die Unwissende gegenüber den Tätigkeiten ihres<br />

Mannes „bleiben", dessen Uk-Stellung vermutl<strong>ich</strong> im Zusammenhang <strong>mit</strong> einer<br />

n<strong>ich</strong>t all<strong>zu</strong> NS-femen Tätigkeit stand und <strong>der</strong> in den Zwangsverkauf jüdischen<br />

Eigentums verstrickt war. Frau Schild war jedenfalls in den 30er Jahren,<br />

ver<strong>mit</strong>telt über ihren Ehemann und dessen Freund, <strong>mit</strong> <strong>der</strong> NS-Verfolgungspolitik<br />

konfrontiert. Da sie n<strong>ich</strong>t behaupten kann, von n<strong>ich</strong>ts gewußt <strong>zu</strong><br />

haben, zieht sie es vor, s<strong>ich</strong> als naive und unpolitische Frau dar<strong>zu</strong>stellen und<br />

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