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"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc

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nen in Beruf und Familie s<strong>ich</strong> etablieren, überspringen. Über die s<strong>ich</strong> anschließende<br />

<strong>Krieg</strong>szeit, in <strong>der</strong> die biographischen Routinen unterbrochen<br />

wurden, können sie dann wie<strong>der</strong> ausführl<strong>ich</strong> erzählen.<br />

Betrachten wir noch einmal, wie Frau Borke diese Verd<strong>ich</strong>tung vornimmt.<br />

Sie versucht die Zeit zwischen 1918 und 1939, in <strong>der</strong> sie politisch fur das<br />

„Deutschtum 44<br />

aktiv war, aus ihrer Lebensgesch<strong>ich</strong>te aus<strong>zu</strong>blenden. Die Lebenszeit<br />

ab 1939 steht für sie im Sinn<strong>zu</strong>sammenhang des Leidens unter den<br />

<strong>Krieg</strong>sauswirkungen, <strong>der</strong> Vertreibung und <strong>der</strong> mangelnden Akzeptanz im<br />

Re<strong>ich</strong>sgebiet. M.a.W., während jene Lebenszeit legitimationsbedürftig ist, in<br />

<strong>der</strong> ihr politisches Engagement selbst gewählt und motiviert war, d.h. autonom<br />

konstituiert war, und deshalb ausgeblendet wird, kann die Phase des Erfeldens,<br />

in <strong>der</strong> sie s<strong>ich</strong> von den äußeren Verhältnissen hauptsächl<strong>ich</strong> „getrieben<br />

44<br />

fühlte, wie<strong>der</strong> erzählt werden 9 . Für ein heteronom produziertes Leben<br />

fühlt man s<strong>ich</strong> weniger <strong>zu</strong>r Verantwortung gezogen als für ein autonom konstituiertes.<br />

Dies bedeutet auch, daß man s<strong>ich</strong> für das <strong>Krieg</strong>sgeschehen n<strong>ich</strong>t so<br />

verantwortl<strong>ich</strong>, s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t so verstrickt fühlte, weil im <strong>Krieg</strong> das eigene Leiden<br />

vielfach im Vor<strong>der</strong>grund stand — und dies unabhängig davon, ob man s<strong>ich</strong> als<br />

Soldat an <strong>der</strong> Front dem <strong>Krieg</strong>sverlauf weniger handelnd als passiv ausgeliefert<br />

fühlte o<strong>der</strong> als Zivilistin s<strong>ich</strong> nur noch auf das <strong>Krieg</strong>sgeschehen reagierend<br />

wahrnahm. M.a.W., die eher als Zeit des Erfeldens erlebten <strong>Krieg</strong>sjahre<br />

— im Unterschied <strong>zu</strong> den als Zeit aktiver Handlungsplanung erlebten Vorkriegsjahren<br />

— spielen eine zentrale Rolle im Umgang <strong>der</strong> deutschen Bevölkerung<br />

<strong>mit</strong> <strong>der</strong> Frage nach <strong>der</strong> politischen Haftung für den NS. In Frau Borkes<br />

Fall könnte man einwenden, diese Frau stelle s<strong>ich</strong> selbst die Frage nach <strong>der</strong><br />

politischen Haftung <strong>der</strong> Deutschen n<strong>ich</strong>t, viel<strong>mehr</strong> werde diese Frage von den<br />

Interpretinnen — entgegen ihrer Tradition — von außen an das Material herangetragen.<br />

Doch auch Frau Borke wird, wie alle an<strong>der</strong>en Biographen dieser<br />

Studie, von dieser Frage, ob nun explizit gesteilt o<strong>der</strong> n<strong>ich</strong>t, gequält, denn<br />

auch <strong>der</strong> Versuch, ihr aus<strong>zu</strong>we<strong>ich</strong>en, ist ein Ze<strong>ich</strong>en für ihr Vorhandensein.<br />

Im Zusammenhang des Leugnens je<strong>der</strong> eigenen Mitwirkung am Geschehen<br />

jener Zeit, führen die Volkskundler Franziska Becker und Utz Jeggle (1989:<br />

12) aus:<br />

„...daß <strong>zu</strong>gle<strong>ich</strong> die zynische Unerbittl<strong>ich</strong>keit, <strong>mit</strong> <strong>der</strong> je<strong>der</strong> Anteil am Geschehen geleugnet<br />

wird, auch ein Ze<strong>ich</strong>en für die in <strong>der</strong> Verleugnung, allerdings nur da, anerkannten Schwere <strong>der</strong><br />

Schuld ist, daß <strong>der</strong> Zynismus ähnl<strong>ich</strong> wie die Lüge, das genau festhält, was er bestreitet, die Gültigkeit<br />

<strong>der</strong> Wahrheit auch über das eigene Handeln — paradox formuliert, <strong>ich</strong> gebe die 1st <strong>zu</strong>, indem<br />

<strong>ich</strong> sie bestreite."<br />

Kommen wir <strong>zu</strong>r Strategie <strong>der</strong> Verd<strong>ich</strong>tung des NS auf die <strong>Krieg</strong>sjahre <strong>zu</strong>rück.<br />

Auch Frau Heidt, Angehörige <strong>der</strong> HJ-Generation, läßt s<strong>ich</strong> als Repräsentantin<br />

dieser Strategie betrachten. Sie verd<strong>ich</strong>tet ihr Engagement im „Dritten<br />

Re<strong>ich</strong>" auf die für sie „harmlose 44<br />

JM-Zeit bis <strong>zu</strong>m 14. Lebensjahr, als die<br />

Mitgliedschaft im JM offiziell beendet war, und auf die letzten <strong>Krieg</strong>smonate,<br />

in denen sie als Rotkreuzschwester an <strong>der</strong> Front war und nach ihrer Definition<br />

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