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"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc

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dig gewordene Vergangenheit wie<strong>der</strong> <strong>zu</strong> „reparieren". Zunächst eine kurze<br />

Anmerkung <strong>zu</strong>r Unterscheidung zwischen biographischen Strategien und<br />

Entlastungsargumentationen: Biographische Strategien konstituieren im Unterschied<br />

<strong>zu</strong> Entlastungsargumentationen — wie z.B. Argumente <strong>zu</strong>r Schuldabweisung<br />

und Schuldmin<strong>der</strong>ung — die Erzählung <strong>der</strong> Lebensgesch<strong>ich</strong>te. Es<br />

handelt s<strong>ich</strong> bei ihnen n<strong>ich</strong>t, wie bei den Entlastungsargumentationen, nur um<br />

Einstellungen, die den Alltagshandelnden in <strong>der</strong> öffentl<strong>ich</strong>en Diskussion angeboten<br />

werden und von ihnen übernommen werden können, son<strong>der</strong>n um Strategien,<br />

die die Selektion <strong>der</strong> <strong>zu</strong> erinnernden und <strong>zu</strong> erzählenden Erlebnisse<br />

steuern und meist „hinter dem Rücken" <strong>der</strong> Biographen ihre Rekonstruktion<br />

des bisherigen, gegenwärtigen und <strong>zu</strong>künftigen Lebens determinieren.<br />

Herr Vogel erzählt im Unterschied <strong>zu</strong> den an<strong>der</strong>en Männern kaum über<br />

seine <strong>Krieg</strong>serlebnisse. Diese Strategie <strong>der</strong> Ausblendung <strong>der</strong> <strong>Krieg</strong>serlebnisse<br />

in Verbindung <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Ausblendung <strong>der</strong> NS-Verbrechen wie überhaupt des<br />

Themas NS bestimmt seine Vergangenheitsrekonstruktion. Ebensowenig, wie<br />

er um sein durch den Zweiten Weltkrieg erlittenes Leid trauern kann, zeigt er<br />

Mitgefühl <strong>mit</strong> den Verfolgten. Er läßt die nationalsozialistische Verfolgungspolitik<br />

viel<strong>mehr</strong> als Thema überhaupt n<strong>ich</strong>t <strong>zu</strong>. Herr Vogel entpolitisiert also<br />

implizit die zwölf Jahre des „Dritten Re<strong>ich</strong>es", indem er den Nationalsozialismus<br />

als politisches System kaum thematisiert. Mit diesem impliziten Ausblenden<br />

des NS aus <strong>der</strong> Lebensgesch<strong>ich</strong>te wird es mögl<strong>ich</strong>, s<strong>ich</strong> <strong>der</strong> Frage nach <strong>der</strong><br />

politischen Haftung <strong>der</strong> Deutschen <strong>zu</strong> entziehen. Auch in an<strong>der</strong>en von mir geführten<br />

Gesprächen <strong>mit</strong> Männern <strong>der</strong> Wilhelminer-Jugendgeneration zeigt<br />

s<strong>ich</strong>, daß diese Strategie kennze<strong>ich</strong>nend für diese Generation ist: Es gab Interviews,<br />

in denen das Thema Nationalsozialismus von den Autobiographen<br />

kaum gestreift wurde.<br />

Diese Art und Weise, s<strong>ich</strong> <strong>der</strong> Diskussion über den NS <strong>zu</strong> entziehen, steht<br />

auch im Zusammenhang <strong>mit</strong> <strong>der</strong> biographischen Vergangenheit <strong>der</strong><br />

Wilhelminer-Jugendgeneration. Sie erlebte ihre Kindheit und Jugend in einer<br />

Zeit, in <strong>der</strong> es aus <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Zeitzeugen, die das autoritäre System<br />

<strong>der</strong> Monarchie n<strong>ich</strong>t in Frage stellten, einen Kaiser gab, <strong>der</strong> die Politik<br />

machte, an <strong>der</strong> man in Bewun<strong>der</strong>ung für ihn teilnehmen konnte. Diese Perspektive<br />

desjenigen, <strong>der</strong> über die Identifikation <strong>mit</strong> dem „Führer" am Politischen<br />

partizipierte, konnte auch in <strong>der</strong> NS-Diktatur aufrechterhalten werden.<br />

Sie entsprach <strong>der</strong> Realität einer Diktatur, in <strong>der</strong> von den Herrschenden die Beschränkung<br />

auf eine <strong>der</strong>artige Form <strong>der</strong> Partizipation gefor<strong>der</strong>t wurde. Abgesehen<br />

von einer aktiven Opposition gegen den NS gab es während <strong>der</strong> zwölf<br />

Jahre des „Dritten Re<strong>ich</strong>es" also wie<strong>der</strong>um die Mögl<strong>ich</strong>keit, am Politischen<br />

<strong>zu</strong> partizipieren, indem man s<strong>ich</strong> <strong>mit</strong> <strong>Hitler</strong> auf ähnl<strong>ich</strong>e Weise wie <strong>mit</strong> dem<br />

Kaiser identifizierte o<strong>der</strong> s<strong>ich</strong> -— wie auch schon im Kaiserre<strong>ich</strong> mögl<strong>ich</strong> —<br />

vom Politischen ganz fernhielt.<br />

Ebenso wie wir davon ausgehen können, daß die Jugend des „Dritten Re<strong>ich</strong>es"<br />

gerne an die ihnen suggerierte politische Macht glaubte, können wir an-<br />

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