"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc
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Auch wenn die Männer <strong>der</strong> <strong>Hitler</strong>jugend-Generation ebenfalls da<strong>zu</strong> tendieren<br />
— insbeson<strong>der</strong>e aus <strong>der</strong> Retrospektive — ihr Soldatsein aus dem Sinn<strong>zu</strong>sammenhang<br />
<strong>mit</strong> dem Nationalsozialismus <strong>zu</strong> lösen, so gestehen sie im Vergle<strong>ich</strong><br />
<strong>zu</strong> älteren Männern doch eher einen Zusammenhang ein und reflektieren<br />
stärker die ideologischen Gehalte dieses <strong>Krieg</strong>es. Insbeson<strong>der</strong>e können sie<br />
ihr politisches Engagement vor dem Ein<strong>zu</strong>g <strong>zu</strong>r Wehrmacht <strong>zu</strong>gestehen.<br />
Betrachten wir nun das Verhältnis <strong>der</strong> Frauen <strong>zu</strong>m <strong>Krieg</strong> bzw. <strong>zu</strong> ihrem Einsatz<br />
in diesem <strong>Krieg</strong> sowie die bei ihnen auftretenden o<strong>der</strong> ausbleibenden Krisenverläufe.<br />
Frau Heidt, die wir als Angehörige <strong>der</strong> <strong>Hitler</strong>jugend-Generation in unser<br />
Sample aufgenommen haben, gehört <strong>zu</strong> den Frauen, die nach ihrer Selbstdefinition<br />
eine <strong>der</strong> Soldatenrolle vergle<strong>ich</strong>bare Rolle eingenommen haben. Obwohl<br />
sie JM-Führerin war und s<strong>ich</strong> als junges Mädchen <strong>mit</strong> dieser Rolle identifiziert<br />
hat, sieht sie den <strong>Krieg</strong> und ihren Einsatz n<strong>ich</strong>t im Zusammenhang <strong>mit</strong><br />
dem NS. Ihre Identifikation <strong>mit</strong> dem Nationalsozialismus <strong>hatte</strong> <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Übernahme<br />
<strong>der</strong> Rolle als Krankenschwester und dem da<strong>mit</strong> einhergehenden Ende<br />
ihrer JM-Führerschaft nachgelassen, und so geriet sie bei <strong>Krieg</strong>sende auch<br />
n<strong>ich</strong>t <strong>mehr</strong> in eine ideologische Orientierungskrise. Dieser Verlauf muß vor<br />
ihrem familialen Hintergrund gesehen werden; die Bedeutung des Tradierungsprozesses<br />
zwischen <strong>der</strong> Wilhelminer- und <strong>der</strong> HJ-Generation wird hier<br />
sehr deutl<strong>ich</strong>. Vater wie Mutter waren aktive Teilnehmer des Ersten Weltkrieges;<br />
<strong>der</strong> Vater war Berufsoffizier. Frau Heidts Mitgliedschaft bei den Jungmädeln<br />
wurde zwar aus Opportunitätsgründen in <strong>der</strong> Familie gebilligt, doch ihr<br />
Engagement ideologisch s<strong>ich</strong>er n<strong>ich</strong>t geför<strong>der</strong>t. Mit <strong>der</strong> Übernahme <strong>der</strong><br />
„weibl<strong>ich</strong>en Soldatenrolle** nahm sie die Tradition <strong>der</strong> Familie dann auch wie<strong>der</strong><br />
auf, und die implizit in <strong>der</strong> Primärsozialisation übernommenen elterl<strong>ich</strong>en<br />
Wertvorstellungen drängten die NS-Ideologie <strong>zu</strong>nehmend in den Hintergrund.<br />
Wie im Elternhaus tradiert, bewegt Frau Heidt s<strong>ich</strong> in einem Deutungsrahmen,<br />
in dem <strong>der</strong> <strong>Krieg</strong> als Naturereignis verstanden wird, <strong>mit</strong> dem immer <strong>zu</strong><br />
rechnen ist und in dem Frau wie Mann ihren Einsatz <strong>zu</strong> leisten haben. Nach<br />
diesem Verständnis dient <strong>der</strong> <strong>Krieg</strong> n<strong>ich</strong>t vorrangig <strong>zu</strong>r Verfolgung spezifischer,<br />
aktueller politischer Ziele, viel<strong>mehr</strong> gehört er existentiell <strong>zu</strong>m Leben<br />
da<strong>zu</strong>; <strong>der</strong> <strong>Krieg</strong>sausgang ist in dieser S<strong>ich</strong>t auch n<strong>ich</strong>t das Entscheidende. Die<br />
mangelnde Erschütterung durch das <strong>Krieg</strong>sende bei Frau Heidt, ebenso ihre akzeptierende<br />
Haltung gegenüber feindl<strong>ich</strong>en Soldaten erklärt s<strong>ich</strong> vor diesem<br />
Hintergrund. Mit <strong>der</strong> Auffassung des <strong>Krieg</strong>es als immer wie<strong>der</strong> <strong>zu</strong> erwartendes<br />
Naturereignis korrespondiert die auch fur die Frontkämpfer des Ersten Weltkrieges<br />
typische Vorstellung ä la Ernst Jünger, <strong>der</strong> <strong>Krieg</strong> sei eine wünschenswerte<br />
historische Phase, in <strong>der</strong> man s<strong>ich</strong> bewahren und wesentl<strong>ich</strong>e Lernprozesse<br />
vollziehen könne, die in Friedenszeiten n<strong>ich</strong>t mögl<strong>ich</strong> seien. So zieht ja<br />
auch Frau Heidt für ihr Leben wesentl<strong>ich</strong>e Lehren aus ihren <strong>Krieg</strong>serlebnissen.<br />
Wir wollen daher Frau Heidts Haltung <strong>zu</strong> ihrem Einsatz als Frontschwester<br />
<strong>mit</strong> <strong>Krieg</strong>seinsatz als ideologischer Auftrag beze<strong>ich</strong>nen. Dies darf jedoch<br />
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