"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc
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wickelten jeweils Karrierepläne in der Institution der Wehrmacht. Es wäre jedoch verfehlt zu meinen, diese Männer hätten dem von den NS-Ideologen propagierten Ideal des „politischen Soldaten** 2 entsprochen, der in allen Lebenslagen für den Sieg des Nationalsozialismus kämpft und das Ziel verfolgt, die Rechtmäßigkeit der NS-Weltanschauung zu beweisen. Man könnte nun einwenden — und damit einem heutzutage nicht allzu selten anzutreffenden Normalisierungsbedürfnis nachkommen —, dieses Ideal sei ohnehin nur ein Hirngespinst der NS-Propaganda gewesen. Jedoch zeigten frühere Analysen von Biographien von Angehörigen der Hitlerjugend-Generation (Rosenthal 1986; 1987b), daß es durchaus Männer gab, die fanatisch bis zur Kapitulation dieses Ideal zu verwirklichen suchten und auch bereit waren, dafür zu sterben. Es ist anzunehmen, daß diese ideologisch motivierte Kampfbereitschaft für den Sieg des NS — dieses Soldatsein als ideologischer NS-Auftrag — eher bei den jungen Soldaten anzutreffen war, die jahrelang zuvor in der Hitlerjugend ideologisch darauf vorbereitet worden waren. Hierbei gilt es zu berücksichtigen, daß diese jungen Männer im Unterschied zu Angehörigen älterer Jahrgänge nicht seit Kriegsbeginn als Soldaten an der Front waren. Sie teilten mit den älteren nicht den jahrelangen Prozeß der Desillusionierung — vom Blitzkrieg zu den unaufhaltsamen Niederlagen —, der Überanstrengung sowie der Ernüchterung durch die ständigen Todeskonfrontationen. Kommen wir zu den Männern der vorliegenden Studie zurück, so gibt es Hinweise dafür, daß — bis auf den Veteranen des Ersten Weltkrieges — auch diese Männer am Anfang ihrer Militärzeit einen ideologischen, nationalsozialistischen Auftrag zu erfüllen suchten. Doch dieser verlor zunehmend, mehr oder weniger unmerklich, an Bedeutung für sie. Im Laufe ihrer Militärzeit nahmen sie dem Soldatsein gegenüber vielmehr eine Haltung ein, die der einem zivilen Beruf gegenüber vergleichbar ist, den man gewissenhaft und ordnungsgemäß zu erfüllen sucht 3 . Es waren in erster Linie die Möglichkeit des sozialen Aufstiegs im Militär und ein im Verhältnis zum Arbeitsalltag in der Heimat abwechslungsreicherer Alltag, die bei ihnen wesentlich zur Identifikation mit dem Soldatsein beitrugen. . Zwar beruhte ihre Kampfbereitschaft nicht — wie wir es vom „politischen Soldaten" kennen — auf einer politischen Berufung zum Soldaten, gleichwohl war ihr Soldatsein für die Kriegsführung nicht weniger funktional. Auch wäre es verfehlt, diesen Typus des Soldatseins ah Beruf, wie wir ihn nennen, als „unpolitisches Soldatsein 4 * in Abgrenzung vom politischen zu deklarieren; damit würden wir nur einem Politikverständnis aufsitzen, das das Politische auf eine abgegrenzte Sphäre des gesellschaftlichen Lebens beschränkt. Auch das Soldatsein, das nicht explizit als ideologischer Auftrag verstanden wird, repräsentiert eine politische Einstellung. Für die Konstitution des Typus des Soldatseins als Beruf — wie er von Herrn Sallmann, Herrn Langenbach und Herrn Acka repräsentiert wird — spielt sicher auch die Zugehörigkeit zu den unteren und mittleren Einkom- 224
mensschichten und damit meist zu den Mannschartssoldaten eine wichtige Rolle; für einen Offizier war das Soldatsein wohl weniger ein Beruf als vielmehr, in unterschiedlicher weltanschaulicher Deutung, eine Berufung. Doch auch die Generationszugehörigkeit, die bei der Weimarer Jugend zu einem jahrelangen Kriegseinsatz und damit zusammenhängend zum Bedeutungsverlust anderer Lebensbereiche führte, ist für ein Soldatsein als Beruf von Belang. Die historisch-lebensgeschichtliche Konstellation: jahrelanges Aussetzen der zivilen Berufskarriere in ihrer Hauptaktivitätsphase vom Abschluß der Berufsausbildung bis zum mittleren Erwachsenenalter bedingte einen Bedeutungsverlust des zivilen Berufs gegenüber der militärischen Berufsrolle. Diese fur die Weimarer Jugendgeneration zutreffende Konstellation gilt auch für Herrn Acka, jenen Biographen, den wir als „Grenzgänger" zwischen der Weimarer Jugendgeneration und der HJ-Generation in die Analyse aufgenommen haben. Auch er hatte vor dem Einzug zur Wehrmacht einen Beruf erlernt, den er in der Wehrmacht (ab 1940) jedoch nicht mehr ausübte. Statt dessen träumte er von einer militärischen Karriere als Flieger. Seine Lebensgeschichte steht insgesamt der Weimarer Jugendgeneration näher als der HJ-Generation. Der Veteran des Ersten Weltkrieges, Herr \fogel, teilte dieses Verständnis des Soldatseins — als Beruf mit möglichen Aufstiegschancen — nicht. Er erfüllte nur ungern, aber doch selbstverständlich seine vaterländische Pflicht. Auch hier läßt sich ein Zusammenhang mit der Generationszugehörigkeit nicht von der Hand weisen. Die Männer der wilhelminischen Jugendgeneration befanden sich 1939 in einer Lebensphase, in der die berufliche Laufbahn meist gefestigt oder gar auf dem Höhepunkt war und der Beruf eine zentrale Bedeutung im Leben einnahm. Sie werden daher weniger als jüngere Männer eine neue Karriere im Militär angestrebt bzw. aufgrund ihres Alters überhaupt für möglich gehalten haben, sondern die Einberufung eher als Unterbrechung ihrer Berufelaufbahn empfunden haben. Staatsloyal werden sie dann — wie Herr Vogel — trotzdem das Soldatsein nicht selten als ihre vaterländische Pflicht angesehen haben, gegen die sie sich nicht auflehnen konnten und durften. Ich gehe also davon aus, daß dieses Soldatsein ab vaterländische Pflicht charakteristisch ist für die Generation von Männern, die noch im Untertanengeist des wilhelminischen Kaiserreiches erzogen worden sind. Obwohl sie desillusioniert aus den Schützengräben des Ersten Weltkrieges zurückgekehrt waren und daraus vielleicht einen tiefverwurzelten, mehr impliziten Pazifismus entwickelt hatten, haben die Männer dieser Generation bis auf wenige Ausnahmen — literarisch repräsentiert durch Erich Maria Remarque — kaum diese vaterländische Pflicht öffentlich und offensiv in Frage gestellt. Auch Herr \fogel wünschte sich nach den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges keinen neuen Krieg und sträubte sich 1939 innerlich gegen eine erneute Einberufung. Doch er stellt die Rechtmäßigkeit des von Deutschland geführten Krieges nicht in Frage, klagt das Vaterland für den Kriegsbeginn und -verlauf nicht an, sondern versucht die Kriegsschuld anderen Nationen anzulasten. 225
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wickelten jeweils Karrierepläne in <strong>der</strong> Institution <strong>der</strong> Wehrmacht. Es wäre jedoch<br />
verfehlt <strong>zu</strong> meinen, diese Männer hätten dem von den NS-Ideologen propagierten<br />
Ideal des „politischen Soldaten** 2<br />
entsprochen, <strong>der</strong> in allen Lebenslagen<br />
für den Sieg des Nationalsozialismus kämpft und das Ziel verfolgt,<br />
die Rechtmäßigkeit <strong>der</strong> NS-Weltanschauung <strong>zu</strong> beweisen. Man könnte nun<br />
einwenden — und da<strong>mit</strong> einem heut<strong>zu</strong>tage n<strong>ich</strong>t all<strong>zu</strong> selten an<strong>zu</strong>treffenden<br />
Normalisierungsbedürfnis nachkommen —, dieses Ideal sei ohnehin nur ein<br />
Hirngespinst <strong>der</strong> NS-Propaganda gewesen. Jedoch zeigten frühere Analysen<br />
von Biographien von Angehörigen <strong>der</strong> <strong>Hitler</strong>jugend-Generation (Rosenthal<br />
1986; 1987b), daß es durchaus Männer gab, die fanatisch bis <strong>zu</strong>r Kapitulation<br />
dieses Ideal <strong>zu</strong> verwirkl<strong>ich</strong>en suchten und auch bereit waren, dafür <strong>zu</strong> sterben.<br />
Es ist an<strong>zu</strong>nehmen, daß diese ideologisch motivierte Kampfbereitschaft für<br />
den Sieg des NS — dieses Soldatsein als ideologischer NS-Auftrag — eher bei<br />
den jungen Soldaten an<strong>zu</strong>treffen war, die jahrelang <strong>zu</strong>vor in <strong>der</strong> <strong>Hitler</strong>jugend<br />
ideologisch darauf vorbereitet worden waren. Hierbei gilt es <strong>zu</strong> berücks<strong>ich</strong>tigen,<br />
daß diese jungen Männer im Unterschied <strong>zu</strong> Angehörigen älterer Jahrgänge<br />
n<strong>ich</strong>t seit <strong>Krieg</strong>sbeginn als Soldaten an <strong>der</strong> Front waren. Sie teilten <strong>mit</strong><br />
den älteren n<strong>ich</strong>t den jahrelangen Prozeß <strong>der</strong> Desillusionierung — vom Blitzkrieg<br />
<strong>zu</strong> den unaufhaltsamen Nie<strong>der</strong>lagen —, <strong>der</strong> Überanstrengung sowie <strong>der</strong><br />
Ernüchterung durch die ständigen Todeskonfrontationen.<br />
Kommen wir <strong>zu</strong> den Männern <strong>der</strong> vorliegenden Studie <strong>zu</strong>rück, so gibt es<br />
Hinweise dafür, daß — bis auf den Veteranen des Ersten Weltkrieges — auch<br />
diese Männer am Anfang ihrer Militärzeit einen ideologischen, nationalsozialistischen<br />
Auftrag <strong>zu</strong> erfüllen suchten. Doch dieser verlor <strong>zu</strong>nehmend, <strong>mehr</strong><br />
o<strong>der</strong> weniger unmerkl<strong>ich</strong>, an Bedeutung für sie. Im Laufe ihrer Militärzeit<br />
nahmen sie dem Soldatsein gegenüber viel<strong>mehr</strong> eine Haltung ein, die <strong>der</strong> einem<br />
zivilen Beruf gegenüber vergle<strong>ich</strong>bar ist, den man gewissenhaft und ordnungsgemäß<br />
<strong>zu</strong> erfüllen sucht 3 . Es waren in erster Linie die Mögl<strong>ich</strong>keit des<br />
sozialen Aufstiegs im Militär und ein im Verhältnis <strong>zu</strong>m Arbeitsalltag in <strong>der</strong><br />
Heimat abwechslungsre<strong>ich</strong>erer Alltag, die bei ihnen wesentl<strong>ich</strong> <strong>zu</strong>r Identifikation<br />
<strong>mit</strong> dem Soldatsein beitrugen.<br />
. Zwar beruhte ihre Kampfbereitschaft n<strong>ich</strong>t — wie wir es vom „politischen<br />
Soldaten" kennen — auf einer politischen Berufung <strong>zu</strong>m Soldaten, gle<strong>ich</strong>wohl<br />
war ihr Soldatsein für die <strong>Krieg</strong>sführung n<strong>ich</strong>t weniger funktional. Auch wäre<br />
es verfehlt, diesen Typus des Soldatseins ah Beruf, wie wir ihn nennen, als<br />
„unpolitisches Soldatsein 4 * in Abgren<strong>zu</strong>ng vom politischen <strong>zu</strong> deklarieren;<br />
da<strong>mit</strong> würden wir nur einem Politikverständnis aufsitzen, das das Politische<br />
auf eine abgegrenzte Sphäre des gesellschaftl<strong>ich</strong>en Lebens beschränkt. Auch<br />
das Soldatsein, das n<strong>ich</strong>t explizit als ideologischer Auftrag verstanden wird,<br />
repräsentiert eine politische Einstellung.<br />
Für die Konstitution des Typus des Soldatseins als Beruf — wie er von<br />
Herrn Sallmann, Herrn Langenbach und Herrn Acka repräsentiert wird —<br />
spielt s<strong>ich</strong>er auch die Zugehörigkeit <strong>zu</strong> den unteren und <strong>mit</strong>tleren Einkom-<br />
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