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"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc

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Prominente Nazis und NS-Täter ebenso wie Antifaschisten wurden und werden<br />

aus diesem Kollektiv ausgeschlossen, da sie diesen Mythos bedrohen. Die<br />

prominenten Nazis und NS-Täter werden als pathologische Persönl<strong>ich</strong>keiten<br />

ausgegrenzt und müssen die Schuld allein tragen. Aber auch die NS-Gegner,<br />

insbeson<strong>der</strong>e die aktiven Wi<strong>der</strong>standskämpfer, bedrohen die Gewißheit, von<br />

n<strong>ich</strong>ts gewußt <strong>zu</strong> haben. Haben diese Wi<strong>der</strong>standskämpfer obendrein die<br />

Nazi-Zeit überlebt, sind sie im Unterschied <strong>zu</strong> den Hinger<strong>ich</strong>teten darüber<br />

hinaus eine Bedrohung <strong>der</strong> vermeintl<strong>ich</strong>en Gewißheit, daß „man ja n<strong>ich</strong>ts dagegen<br />

tun konnte".<br />

Beginnt nun jemand diesen Mythos <strong>mit</strong> dem Eingeständnis <strong>zu</strong> bedrohen, etwas<br />

selbst gesehen o<strong>der</strong> <strong>mit</strong>gemacht <strong>zu</strong> haben, muß entwe<strong>der</strong> seine Glaubwürdigkeit<br />

infrage gestellt o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Versuch unternommen werden, dieses Eingeständnis<br />

n<strong>ich</strong>t all<strong>zu</strong> deutl<strong>ich</strong> und n<strong>ich</strong>t all<strong>zu</strong> laut <strong>zu</strong> Gehör <strong>zu</strong> bringen. Bei Interviews,<br />

die <strong>ich</strong> <strong>mit</strong> sehr alten Menschen (88- bis 100jährige) führte, erlebte<br />

<strong>ich</strong> diese Versuche immer wie<strong>der</strong>. So wehrten die bei den Gesprächen gelegentl<strong>ich</strong><br />

anwesenden Kin<strong>der</strong> <strong>der</strong> Befragten, meist Angehörige <strong>der</strong><br />

<strong>Hitler</strong>jugend-Generation, häufig energisch den Einsturz <strong>der</strong> Mauern ab, wenn<br />

ihre Eltern, die s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t <strong>mehr</strong> so sehr an sozial erwünschten Regeln orientierten,<br />

Erzähltabus brachen. Beispielsweise erzählte mir ein etwa 90jähriger<br />

Mann, er habe als Briefträger im Gestapo-Gefangnis etl<strong>ich</strong>e Grausamkeiten<br />

gegenüber Gefangenen gesehen. Daraufhin versuchten sein Schwiegersohn<br />

und seine Ehefrau vehement, ihn <strong>zu</strong>m Zugeständnis <strong>zu</strong> bewegen, daß er dies<br />

n<strong>ich</strong>t selbst gesehen habe, son<strong>der</strong>n nur davon gehört habe.<br />

Kehren wir <strong>zu</strong>rück <strong>zu</strong> den Lebensgesch<strong>ich</strong>ten von Dieter Acka und Walter<br />

Langenbach. Auch sie werden es schon vor den Interviews immer wie<strong>der</strong> erlebt<br />

haben, daß niemand von ihren belastenden Erinnerungen hören will und<br />

daß sie für den Versuch von Eingeständnissen auch noch sanktioniert werden.<br />

Die von ihren Zuhörern aufgebaute zweite Wand, um diese Metapher weiter<br />

<strong>zu</strong> bemühen, wird ihre eigene Wand in all den Jahren nach dem „Dritten<br />

Re<strong>ich</strong>" weiter zementiert haben. Es ist auch fragwürdig, ob diese Wand überhaupt<br />

noch <strong>zu</strong> durchbrechen ist, selbst wenn sie heute verständnisvolle Zuhörer<br />

finden würden. Bei Herrn Langenbach habe <strong>ich</strong> selbst in einem zweiten Interview<br />

versucht, seine Barrieren <strong>zu</strong> überwinden und ihm <strong>zu</strong>m Erzählen <strong>zu</strong><br />

verhelfen. Ich habe ihn ausführl<strong>ich</strong> <strong>zu</strong> seinen Erlebnissen in Jugoslawien befragt<br />

und stellte ihm auch direkt die Frage, ob er selbst die Massenerschießungen<br />

gesehen habe. Er verneinte das. Er erzählte zwar weit ausführl<strong>ich</strong>er von<br />

seinen Erlebnissen in dieser Zeit, doch die Mehrdeutigkeit in be<strong>zu</strong>g auf seine<br />

eigene Rolle in diesem Geschehen blieb wie beim ersten Gespräch bestehen.<br />

Er konnte wie<strong>der</strong> n<strong>ich</strong>t deutl<strong>ich</strong> machen, was er nun gesehen hat und was<br />

n<strong>ich</strong>t.<br />

Bei manchem Leser wird s<strong>ich</strong> <strong>der</strong> Verdacht regen, wir klagten diese beiden<br />

Männer wegen ihrer Unfähigkeit <strong>zu</strong>m Eingeständnis, wegen ihrer Unfähigkeit<br />

<strong>zu</strong> trauern an. Wenn man bedenkt, daß das Eingeständnis von Erlebtem und<br />

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