"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc

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Vertiefungsfragen auf die Ausführungen der Gesprächspartner eingegangen. Als die transkribierten Interviews vorlagen und die jeweiligen Interviewer im Projekt mit dem sich aufdrängenden Verdacht einer Teilnahme der Männer an den NS-Verbrechen konfrontiert wurden, löste dies zunächst Entsetzen aus. Die Interviewer fühlten sich irregeführt, hatten sie doch in den Gesprächen teilweise Sympathien für die Befragten entwickelt und den Eindruck gehabt, mit „ganz normalen 44 Menschen geredet zu haben. Auf das Erkennen einer weiteren Realitätsebene folgte zunächst die Gegenreaktion: diese „normalen 44 Menschen wurden jetzt in gewisser Weise als „Bestien 44 betrachtet. Man traute ihnen jetzt alles zu und sah in allem und jedem ein Indiz für ihre Beteiligung an den Verbrechen. Erst nach dem Wiedereinlassen auf die Lebensgeschichten gelang es, diese Tendenz der Dämonisierung der Befragten zu überwinden und der Einteilung der Menschheit in zwei Klassen, die Guten und die Bösen, die Nicht-Täter und die Täter, entgegenzutreten. Sowohl das Nicht-Hinhören-Wollen in den Interviews als auch die spätere Dämonisierung der Befragten repräsentieren eine Abwehrstrategie, die einen komplexen Verstehensprozeß zu blockiert. Dan Bar-On (1988a) diskutiert diese Blockade seitens der Zuhörer mit dem Konzept der „doppelten Wand 44 . Zusätzlich zu der Barriere der Zeitzeugen, über die Erlebnisse zu sprechen, bauen die Zuhörer eine weitere Wand auf. Die NS-Täter, und wir müssen es allgemeiner fassen: die Zeitzeugen des NS generell, haben Erinnerungen und Erlebnisse hinter einer Wand verborgen. Wollen sie sie zum Teil enthüllen, wird von den Zuhörern eine zweite Wand aufgebaut, die selbst diese Teilenthüllungen nicht durchläßt. Diese zweite Wand entsteht durch das Dilemma des Zuhörers, der einerseits die verbrecherischen, mörderischen Handlungen versteht und andererseits versucht, Distanz dazu zu halten. Diese Distanz wird mit dem Aufbau einer Wand auf Kosten des Verstehens hergestellt. Wenn dann doch Informationen zum Zuhörer durchdringen, kann der Verstehensprozeß, das Sich-Einlassen auf den Erzähler, mit der Vorstellung überwunden werden, die NS-Täter funktionierten nach anderen psychologischen Gesetzmäßigkeiten als der Zuhörer selbst. Dies bedeutet wiederum, daß man nicht genau hinhören darf, da man sonst Gefahr läuft, die Gemeinsamkeiten zwischen sich selbst und dem Erzähler zu entdecken. Dieses Aufbauen von Schutz wänden, die ständige Reparatur von abbröckelnden Stellen, ist in der Bundesrepublik ein kollektiv geteiltes Bemühen. Die Enthüllung, selbst Zeugnis über die nationalsozialistische Verfolgungspolitik ablegen zu können und sogar als ganz normaler, unauffälliger Bürger darin verwickelt zu sein, bedroht den in der Nachkriegszeit entwickelten Mythos des Mitläufertums (vgl. M. Mitscherlich 1987: 18ff.). Im Kollektiv der Mitläufer versichert man sich gegenseitig, keine Mitschuld am Nationalsozialismus zu haben, „von nichts gewußt zu haben 44 und aufgrund der drohenden Repressalien keine Möglichkeit zur Gegenwehr besessen zu haben. 220

Prominente Nazis und NS-Täter ebenso wie Antifaschisten wurden und werden aus diesem Kollektiv ausgeschlossen, da sie diesen Mythos bedrohen. Die prominenten Nazis und NS-Täter werden als pathologische Persönlichkeiten ausgegrenzt und müssen die Schuld allein tragen. Aber auch die NS-Gegner, insbesondere die aktiven Widerstandskämpfer, bedrohen die Gewißheit, von nichts gewußt zu haben. Haben diese Widerstandskämpfer obendrein die Nazi-Zeit überlebt, sind sie im Unterschied zu den Hingerichteten darüber hinaus eine Bedrohung der vermeintlichen Gewißheit, daß „man ja nichts dagegen tun konnte". Beginnt nun jemand diesen Mythos mit dem Eingeständnis zu bedrohen, etwas selbst gesehen oder mitgemacht zu haben, muß entweder seine Glaubwürdigkeit infrage gestellt oder der Versuch unternommen werden, dieses Eingeständnis nicht allzu deutlich und nicht allzu laut zu Gehör zu bringen. Bei Interviews, die ich mit sehr alten Menschen (88- bis 100jährige) führte, erlebte ich diese Versuche immer wieder. So wehrten die bei den Gesprächen gelegentlich anwesenden Kinder der Befragten, meist Angehörige der Hitlerjugend-Generation, häufig energisch den Einsturz der Mauern ab, wenn ihre Eltern, die sich nicht mehr so sehr an sozial erwünschten Regeln orientierten, Erzähltabus brachen. Beispielsweise erzählte mir ein etwa 90jähriger Mann, er habe als Briefträger im Gestapo-Gefangnis etliche Grausamkeiten gegenüber Gefangenen gesehen. Daraufhin versuchten sein Schwiegersohn und seine Ehefrau vehement, ihn zum Zugeständnis zu bewegen, daß er dies nicht selbst gesehen habe, sondern nur davon gehört habe. Kehren wir zurück zu den Lebensgeschichten von Dieter Acka und Walter Langenbach. Auch sie werden es schon vor den Interviews immer wieder erlebt haben, daß niemand von ihren belastenden Erinnerungen hören will und daß sie für den Versuch von Eingeständnissen auch noch sanktioniert werden. Die von ihren Zuhörern aufgebaute zweite Wand, um diese Metapher weiter zu bemühen, wird ihre eigene Wand in all den Jahren nach dem „Dritten Reich" weiter zementiert haben. Es ist auch fragwürdig, ob diese Wand überhaupt noch zu durchbrechen ist, selbst wenn sie heute verständnisvolle Zuhörer finden würden. Bei Herrn Langenbach habe ich selbst in einem zweiten Interview versucht, seine Barrieren zu überwinden und ihm zum Erzählen zu verhelfen. Ich habe ihn ausführlich zu seinen Erlebnissen in Jugoslawien befragt und stellte ihm auch direkt die Frage, ob er selbst die Massenerschießungen gesehen habe. Er verneinte das. Er erzählte zwar weit ausführlicher von seinen Erlebnissen in dieser Zeit, doch die Mehrdeutigkeit in bezug auf seine eigene Rolle in diesem Geschehen blieb wie beim ersten Gespräch bestehen. Er konnte wieder nicht deutlich machen, was er nun gesehen hat und was nicht. Bei manchem Leser wird sich der Verdacht regen, wir klagten diese beiden Männer wegen ihrer Unfähigkeit zum Eingeständnis, wegen ihrer Unfähigkeit zu trauern an. Wenn man bedenkt, daß das Eingeständnis von Erlebtem und 221

Vertiefungsfragen auf die Ausführungen <strong>der</strong> Gesprächspartner eingegangen.<br />

<strong>Als</strong> die transkribierten Interviews vorlagen und die jeweiligen Interviewer im<br />

Projekt <strong>mit</strong> dem s<strong>ich</strong> aufdrängenden Verdacht einer Teilnahme <strong>der</strong> Männer an<br />

den NS-Verbrechen konfrontiert wurden, löste dies <strong>zu</strong>nächst Entsetzen aus.<br />

Die Interviewer fühlten s<strong>ich</strong> irregeführt, <strong>hatte</strong>n sie doch in den Gesprächen<br />

teilweise Sympathien für die Befragten entwickelt und den Eindruck gehabt,<br />

<strong>mit</strong> „ganz normalen 44<br />

Menschen geredet <strong>zu</strong> haben. Auf das Erkennen einer<br />

weiteren Realitätsebene folgte <strong>zu</strong>nächst die Gegenreaktion: diese „normalen 44<br />

Menschen wurden jetzt in gewisser Weise als „Bestien 44<br />

betrachtet. Man<br />

traute ihnen jetzt alles <strong>zu</strong> und sah in allem und jedem ein Indiz für ihre Beteiligung<br />

an den Verbrechen. Erst nach dem Wie<strong>der</strong>einlassen auf die Lebensgesch<strong>ich</strong>ten<br />

gelang es, diese Tendenz <strong>der</strong> Dämonisierung <strong>der</strong> Befragten <strong>zu</strong> überwinden<br />

und <strong>der</strong> Einteilung <strong>der</strong> Menschheit in zwei Klassen, die Guten und die<br />

Bösen, die N<strong>ich</strong>t-Täter und die Täter, entgegen<strong>zu</strong>treten.<br />

Sowohl das N<strong>ich</strong>t-Hinhören-Wollen in den Interviews als auch die spätere<br />

Dämonisierung <strong>der</strong> Befragten repräsentieren eine Abwehrstrategie, die einen<br />

komplexen Verstehensprozeß <strong>zu</strong> blockiert.<br />

Dan Bar-On (1988a) diskutiert diese Blockade seitens <strong>der</strong> Zuhörer <strong>mit</strong> dem<br />

Konzept <strong>der</strong> „doppelten Wand 44 . Zusätzl<strong>ich</strong> <strong>zu</strong> <strong>der</strong> Barriere <strong>der</strong> Zeitzeugen,<br />

über die Erlebnisse <strong>zu</strong> sprechen, bauen die Zuhörer eine weitere Wand auf.<br />

Die NS-Täter, und wir müssen es allgemeiner fassen: die Zeitzeugen des NS<br />

generell, haben Erinnerungen und Erlebnisse hinter einer Wand verborgen.<br />

Wollen sie sie <strong>zu</strong>m Teil enthüllen, wird von den Zuhörern eine zweite Wand<br />

aufgebaut, die selbst diese Teilenthüllungen n<strong>ich</strong>t durchläßt. Diese zweite<br />

Wand entsteht durch das Dilemma des Zuhörers, <strong>der</strong> einerseits die verbrecherischen,<br />

mör<strong>der</strong>ischen Handlungen versteht und an<strong>der</strong>erseits versucht, Distanz<br />

da<strong>zu</strong> <strong>zu</strong> halten. Diese Distanz wird <strong>mit</strong> dem Aufbau einer Wand auf Kosten<br />

des Verstehens hergestellt. Wenn dann doch Informationen <strong>zu</strong>m Zuhörer<br />

durchdringen, kann <strong>der</strong> Verstehensprozeß, das S<strong>ich</strong>-Einlassen auf den Erzähler,<br />

<strong>mit</strong> <strong>der</strong> Vorstellung überwunden werden, die NS-Täter funktionierten<br />

nach an<strong>der</strong>en psychologischen Gesetzmäßigkeiten als <strong>der</strong> Zuhörer selbst.<br />

Dies bedeutet wie<strong>der</strong>um, daß man n<strong>ich</strong>t genau hinhören darf, da man sonst<br />

Gefahr läuft, die Gemeinsamkeiten zwischen s<strong>ich</strong> selbst und dem Erzähler <strong>zu</strong><br />

entdecken.<br />

Dieses Aufbauen von Schutz wänden, die ständige Reparatur von abbröckelnden<br />

Stellen, ist in <strong>der</strong> Bundesrepublik ein kollektiv geteiltes Bemühen.<br />

Die Enthüllung, selbst Zeugnis über die nationalsozialistische Verfolgungspolitik<br />

ablegen <strong>zu</strong> können und sogar als ganz normaler, unauffälliger<br />

Bürger darin verwickelt <strong>zu</strong> sein, bedroht den in <strong>der</strong> Nachkriegszeit entwickelten<br />

Mythos des Mitläufertums (vgl. M. Mitscherl<strong>ich</strong> 1987: 18ff.). Im Kollektiv<br />

<strong>der</strong> Mitläufer vers<strong>ich</strong>ert man s<strong>ich</strong> gegenseitig, keine Mitschuld am Nationalsozialismus<br />

<strong>zu</strong> haben, „von n<strong>ich</strong>ts gewußt <strong>zu</strong> haben 44<br />

und aufgrund <strong>der</strong> drohenden<br />

Repressalien keine Mögl<strong>ich</strong>keit <strong>zu</strong>r Gegenwehr besessen <strong>zu</strong> haben.<br />

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