"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc

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Menschen. Bei Walter Langenbach werden dagegen eine tiefe Traurigkeit und starke Aggressionen spürbar. Er trauert und wütet gegen das selbst erlittene Leid. Er stellt diese Trauer und Wut aber weniger in den Zusammenhang seiner Erlebnisse in Jugoslawien, sondern verschiebt vielmehr seine Trauer auf den Tod des Vaters im Ersten Weltkrieg, und seine Wut entlädt sich bei aktuellen politischen Themen. Herr Langenbach leidet stärker unter seinen Erlebnissen; er hält sie sich auch weniger mit Rechtfertigungsstrategien vom Leibe. Jahrelang hat er in Träumen unter dem von ihm Erlebten gelitten und seine Trauer kommt auch gegen seinen Willen bei der Thematisierung seines Vaters in Tränen zum Vorschein. Diese Trauer macht ihn sehr hilflos, da sie sich vom eigenen Erleben entfernt hat und von daher für ihn nicht greifbar und verstehbar ist. Doch beiden Männern ist gemeinsam, daß sie sowohl auf der emotionalen als auch auf der kognitiven Ebene kaum Mitleid gegenüber den verfolgten und ermordeten Menschen zeigen. Es wäre jedoch vermessen zu unterstellen, sie wären im Unterschied zu anderen ohne moralisches Gewissen und ohne Gefühl für andere. Auch wenn aufgrund ihrer biographischen Erfahrungen während des „Dritten Reiches 44 , aufgrund ihrer Verwicklung in die NS- Verbrechen, bei diesen Männern die Fähigkeit des Mitempfindens, des Mitleidens mit anderen Menschen zum Teil zerstört sein mag, so dürften sie sich darin nicht allzu wesentlich von anderen Zeitzeugen unterscheiden. Ihr paradoxes Bedürfnis, über ihre Erlebnisse zu sprechen und diese gleichzeitig zu verschleiern, ist vielmehr ein Zeichen dafür, daß sie von ihrem Gewissen geplagt werden. Betrachtet man nun die ehemaligen NS-Täter und die Mittäter als zerstörte Persönlichkeiten, die keine moralische Instanz mehr besitzen — wie es nicht nur von Alltagshandelnden, sondern auch in den Massenmedien und in der wissenschaftlichen Literatur häufig getan wird — vereinfacht man die gleitenden Übergänge zwischen Zeugen und Tätern, zwischen sich selbst und den anderen, in ein ,Gut-Böse 4 -Schema. Man kann sich in der Gewißheit wiegen, die Täter würden nach anderen psychologischen Gesetzmäßigkeiten funktionieren als man selbst. In Abgrenzung zu Konzepten der zerstörten Persönlichkeit von NS-Tätern, spricht der israelische Psychologe Dan Bar-On (1987a) von der „fóradoxie von Moralität 44 , einer Paradoxic in der viele Menschen mit den unterschiedlichsten Problemen leben. Ban-On geht davon aus, daß es NS-Täter gibt, die zwar eine Einsicht in die Bedeutung ihrer verbrecherischen Handlungen unterdrücken, jedoch in bezug auf einzelne Erinnerungen teilweise Schuld bekennen können. Dieses Teil- Schuldbekenntnis hat die doppelte Funktion, sich selbst gegenüber ein Gefühl der Moralität aufrechtzuerhalten und gleichzeitig die volle Einsicht in eigene Handlungen und Verantwortung zu verhindern. Eine solche Einsicht würde den Zusammenbruch dieser Personen bedeuten. Sie schützen sich vor diesem völligen psychischen Zusammenbruch, bauen vor sich selbst eine Schutz wand auf, hinter die sie die meisten Erinnerungen verbannen. 218

Unter diesem Gesichtspunkt können wir auch die zugelassenen Teilerinnerungen von Walter Langenbach und Dieter Acka betrachten. Sie haben ihre Erlebnisse nicht völlig verleugnet, thematisieren anhand dieser Erinnerungen ihre Verstrickung und gestehen damit zumindest eine „Nähe** zu den NS- Verbrechen ein, ohne ihre gesamte Verstrickung zu thematisieren. Damit können sie einen Teil der sie quälenden Vergangenheit loswerden, können an diesem Teil leiden, ohne am Leid über die gesamte Bedeutung ihrer Vergangenheit zu zerbrechen. In dem Widerspruch zwischen Schuld- und Unschuldsgefühlen leben nicht nur die „Mittäter** der nationalsozialistischen Verbrechen und die aktiven NS- Täter. Es handelt sich vielmehr um einen Widerspruch, der die bundesrepublikanische Wirklichkeit insgesamt kennzeichnet. Er kommt zu Gehör in Äußerungen wie: „Wir wußten etwas und wußten gleichzeitig nichts**; „Meine Verwandten wußten etwas, doch eigentlich wußten sie nichts**. Mit dem „etwas wissen** kann man vor sich selbst den Eindruck einer gewissen Glaubwürdigkeit aufrechterhalten und mit dem „Nicht-Wissen** wird der von einem selbst als auch der von den Familienangehörigen nicht geleistete Widerstand gegen die Verbrechen sowie die damalige Identifikation mit dem NS-System entschuldigt. Das Eingeständnis, „etwas zu wissen**, erscheint für Zeitzeugen wie Walter Langenbach und Dieter Acka besonders notwendig. Selbst wenn sie an keinerlei verbrecherischen Handlungen aktiv teilgenommen haben, waren sie doch unmittelbare Zeugen dieser Verbrechen. Sie können sich nicht so leicht wie diejenigen, die Tötungsaktionen nicht unmittelbar erlebten, mit dem Nicht- Wissen beruhigen. Jene konnten im Gegensatz zu ihnen Informationen abwehren oder sie als Feindpropaganda begreifen; sie konnten sich mit der Vorstellung besänftigen, die jüdische Bevölkerung käme in Arbeitslager oder würde umgesiedelt. Diese beiden Männer jedoch, die den Massenmord direkt vor Augen gehabt haben, konnten sich damals wie heute nicht mit diesen Argumentationen beruhigen. Zwar können sie die eigenen Anteile an diesen Verbrechen verdrängen, doch sie können ihr damaliges Wissen über den Holocaust nicht leugnen, wollen sie sich nicht ihre Zurechnungsfähigkeit hinsichtlich des Realitätsgehalts ihrer Erinnerungen absprechen. Um vor sich selbst nicht den Eindruck der völligen Unaufrichtigkeit zu haben, sind sie vielmehr von dem Bedürfnis getrieben, wenigstens einen Teil ihrer Vergangenheit zu enthüllen. Doch wie begegnen nun Zuhörer Menschen mit dem Bedürfnis nach Teilenthüllungen? Bei beiden Interviews haben die jeweiligen Interviewer die eventuelle Beteiligung ihrer Gesprächspartner an den NS-Verbrechen bzw. die Brisanz von einzelnen Erzählungen nicht bemerkt; sie haben Erzählangebote im Zusammenhang mit NS-Verbrechen nicht angenommen, d.h. sind auch nicht mit 219

Unter diesem Ges<strong>ich</strong>tspunkt können wir auch die <strong>zu</strong>gelassenen Teilerinnerungen<br />

von Walter Langenbach und Dieter Acka betrachten. Sie haben ihre<br />

Erlebnisse n<strong>ich</strong>t völlig verleugnet, thematisieren anhand dieser Erinnerungen<br />

ihre Verstrickung und gestehen da<strong>mit</strong> <strong>zu</strong>mindest eine „Nähe** <strong>zu</strong> den NS-<br />

Verbrechen ein, ohne ihre gesamte Verstrickung <strong>zu</strong> thematisieren. Da<strong>mit</strong> können<br />

sie einen Teil <strong>der</strong> sie quälenden Vergangenheit loswerden, können an diesem<br />

Teil leiden, ohne am Leid über die gesamte Bedeutung ihrer Vergangenheit<br />

<strong>zu</strong> zerbrechen.<br />

In dem Wi<strong>der</strong>spruch zwischen Schuld- und Unschuldsgefühlen leben n<strong>ich</strong>t<br />

nur die „Mittäter** <strong>der</strong> nationalsozialistischen Verbrechen und die aktiven NS-<br />

Täter. Es handelt s<strong>ich</strong> viel<strong>mehr</strong> um einen Wi<strong>der</strong>spruch, <strong>der</strong> die bundesrepublikanische<br />

Wirkl<strong>ich</strong>keit insgesamt kennze<strong>ich</strong>net. Er kommt <strong>zu</strong> Gehör in Äußerungen<br />

wie: „Wir wußten etwas und wußten gle<strong>ich</strong>zeitig n<strong>ich</strong>ts**; „Meine<br />

Verwandten wußten etwas, doch eigentl<strong>ich</strong> wußten sie n<strong>ich</strong>ts**. Mit dem „etwas<br />

wissen** kann man vor s<strong>ich</strong> selbst den Eindruck einer gewissen Glaubwürdigkeit<br />

aufrechterhalten und <strong>mit</strong> dem „N<strong>ich</strong>t-Wissen** wird <strong>der</strong> von einem<br />

selbst als auch <strong>der</strong> von den Familienangehörigen n<strong>ich</strong>t geleistete Wi<strong>der</strong>stand<br />

gegen die Verbrechen sowie die damalige Identifikation <strong>mit</strong> dem NS-System<br />

entschuldigt.<br />

Das Eingeständnis, „etwas <strong>zu</strong> wissen**, erscheint für Zeitzeugen wie Walter<br />

Langenbach und Dieter Acka beson<strong>der</strong>s notwendig. Selbst wenn sie an keinerlei<br />

verbrecherischen Handlungen aktiv teilgenommen haben, waren sie doch<br />

un<strong>mit</strong>telbare Zeugen dieser Verbrechen. Sie können s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t so le<strong>ich</strong>t wie<br />

diejenigen, die Tötungsaktionen n<strong>ich</strong>t un<strong>mit</strong>telbar erlebten, <strong>mit</strong> dem N<strong>ich</strong>t-<br />

Wissen beruhigen. Jene konnten im Gegensatz <strong>zu</strong> ihnen Informationen abwehren<br />

o<strong>der</strong> sie als Feindpropaganda begreifen; sie konnten s<strong>ich</strong> <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Vorstellung<br />

besänftigen, die jüdische Bevölkerung käme in Arbeitslager o<strong>der</strong> würde<br />

umgesiedelt. Diese beiden Männer jedoch, die den Massenmord direkt vor<br />

Augen gehabt haben, konnten s<strong>ich</strong> damals wie heute n<strong>ich</strong>t <strong>mit</strong> diesen Argumentationen<br />

beruhigen. Zwar können sie die eigenen Anteile an diesen Verbrechen<br />

verdrängen, doch sie können ihr damaliges Wissen über den Holocaust<br />

n<strong>ich</strong>t leugnen, wollen sie s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t ihre Zurechnungsfähigkeit hins<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong><br />

des Realitätsgehalts ihrer Erinnerungen absprechen. Um vor s<strong>ich</strong> selbst<br />

n<strong>ich</strong>t den Eindruck <strong>der</strong> völligen Unaufr<strong>ich</strong>tigkeit <strong>zu</strong> haben, sind sie viel<strong>mehr</strong><br />

von dem Bedürfnis getrieben, wenigstens einen Teil ihrer Vergangenheit <strong>zu</strong><br />

enthüllen.<br />

Doch wie begegnen nun Zuhörer Menschen <strong>mit</strong> dem Bedürfnis nach Teilenthüllungen?<br />

Bei beiden Interviews haben die jeweiligen Interviewer die eventuelle Beteiligung<br />

ihrer Gesprächspartner an den NS-Verbrechen bzw. die Brisanz von<br />

einzelnen Erzählungen n<strong>ich</strong>t bemerkt; sie haben Erzählangebote im Zusammenhang<br />

<strong>mit</strong> NS-Verbrechen n<strong>ich</strong>t angenommen, d.h. sind auch n<strong>ich</strong>t <strong>mit</strong><br />

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