"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc

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,Ja (1) das sind schon EINdrücke, ich darf es gar nich sagen was ich alles so gesehen hab und erlebt habe* (( weinerlich )) (2) .Mensch nein* (2) ICH HABS AUCH NOCH, NIEMAND gesacht, ich denke nun (2) breit=es man nen bißchen aus damit andere noch (1) / davon lernen können ((weinerlich)) (1) es warn schon mal, Zeitungsnotizen, daß irgendwelche (1) Soldaten mit häßlichen Erlebnissen (2) besuchen wollten um / das der Nachwelt zu erhalten, ich mach es das erste Mal (2) aber SIE MERKEN JA (1) ES FÄLLT EINEM VERDAMMT SCHWER, die Sachen zum besten zu geben (1) (( weinend ))" (57/29) Walter Langenbach gelang es bisher nicht, über jene grauenvollen Szenen, die sich ihm ins Gedächnis eingeprägt haben, mit anderen zu reden, und er wurde jahrelang von Alpträumen verfolgt. Er erzählt, er habe zwanzig Jahre lang jede zweite Nacht von Krieg und Mord geträumt und sei von seinen eigenen Schreien schweißgebadet aufgewacht. Er habe geträumt, wie er von Menschen und Tieren gejagt werde, die ihn zerfleischen wollten, „dawi", meint er, „nahm es langsam ab und heute is alles vergessen (1) heute is es weg". Heute träumt er zwar nicht mehr von ihnen, doch vergessen sind diese Erlebnisse in Jugoslawien wohl nicht, sonst hätte er nicht das Bedürfnis, endlich darüber zu sprechen. Obwohl er in unserem Gespräch den Zusammenhang zwischen den Träumen und den Massenerschießungen in Jugoslawien selbst herstellt, ist es fraglich, ob er auch einen Zusammenhang zwischen seiner Rolle als Gejagter in seinen Träumen und seiner Rolle bei den Exekutionen sieht. Er wird sich kaum die Frage gestellt haben, weshalb er in seinen Träumen in der Rolle des Gejagten ist, weshalb „man" oder „es" ihn verfolgt und von wem er verfolgt wird. Als Zuhörer/innen und Leser/innen fragen wir uns jedoch, ob er in seinen Träumen von denjenigen verfolgt wird, die in Jugoslawien auf der Seite der Verfolgten standen. Die Träume lassen jedenfalls Schuldgefühle vermuten. Zwar rechtfertigt er die Erschießungen der Jugoslawen mit ihren Partisanenaktionen, weist ihnen also selbst Schuld zu und bringt das Argument vor, in jeder Nation gebe es Schweine und er brauche sich für die deutschen Verbrechen nicht zu schämen — doch diese Rechtfertigungen beruhigen ihn nicht vollends. Mit diesen Argumentationen bagatellisiert er lediglich die Schreckensszenen. Herr Langenbach kann ebensowenig über das von ihm selbst Erlittene wie über das grausame Schicksal der im „Dritten Reich" verfolgten Menschen trauern. Dafür ist er von einem ungeheueren Gefühl der Wut erfüllt, das sich u.a. gegen die politisch Verantwortlichen der Bundesrepublik richtet. Im Anschluß an die oben zitierte Textstelle, in der es um seine Schwierigkeiten geht, über seine Erinnerungen zu sprechen, wird deutlich, wie sich bei Herrn Langenbach die Traurigkeit über sein jahrelang erlittenes und miterlebtes Leid mit Aggressionen mischt: B: „ES FÄLLT EINEM VERDAMMT SCHWER, die Sachen zum besten zu geben (1) ker (3) DAS LEBEN KANN SO SCHÖN I: „hm" B: SEIN (2) (( weinend )) ABER IMMER WIEDER DIES SCHEISS AUFRÜSTEN, ICH 190

KÖNNTE SE ERSCHIESSEN DIE DRECKSÄCKE (I) KOHL UND KONSORTEN ((weinerlich)) NUR DAS GROSSKAPITAL IST INTERESSIERT AN DEN KRIEGEN (1) UM DIE MIUTÄRGESCHÄFTE ZU MACHEN DER KLEINE MANN MUSS SEIN BLUT HINHAL­ TEN (1) SEINEN KÖRPER" (57/39) Walter Langenbach ereifert sich in den nachfolgenden Bissagen über ganz unterschiedliche politisch aktuelle Themen: über Atomkraft, das Fischsterben in den Flüssen und die Überbevölkerung der Erde. Seine Wut eskaliert dann bei seinem Unverständnis für Menschen, die in dieser Situation immer noch „Kinder in die Welt setzen 44 . Er beschimpft sie als „Schweine 44 . Als Zuhörer / innen ahnen wir, daß hinter Walter Langenbachs berechtigtem und nachvollziehbarem Zorn über Umweltverschmutzung, Überbevölkerung und Wettrüsten ganz andere Probleme liegen. Es sind Probleme, die von seiner Kriegsvergangenheit herrühren. Er endet dann auch mit dem Resümee, daß „der Mensch immer wieder versagt 44 . Damit weist er auch auf das Versagen der Menschen während der NS-Diktatur und des Zweiten Weltkrieges hin. Herr Langenbach ist in seiner Wut hilflos. Es fehlt ihm der weltanschaulich-politische Halt für eine produktive Umsetzung seiner Wut und dafür, daß er sich nicht nur als passiv erleidendes Opfer sehen muß, sondern sich auch als jemand erfahren kann, der aktiv sein Leben und seine Umwelt gestaltet. Er, der nach seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft erhebliche Probleme mit der Wiedereingliederung in das zivile Leben hatte, fond in der bundesrepublikanischen Gesellschaft keine Hilfe bei der Verarbeitung seiner Kriegserlebnisse. Schon während seiner Zeit als Gefangener hatte Herr Langenbach, angestoßen durch die Zuschreibung der französischen Verwaltung, er müsse ein Antifaschist sein, sich zunehmend in Gegnerschaft zu den Nazis gesehen. Sein Wiedereintritt in die SPD war ein Versuch, seine NS- Vergangenheit auszublenden und an die Zeit vor 1933 anzuknüpfen. Diese Gegnerschaft hätte aber, um nicht nur in der Abgrenzung vom Nationalsozialismus und im Sich-frei-Fühlen von einer Verstrickung zu verharren, einer weiteren Aufarbeitung bedurft. Eine aktive Parteiarbeit bzw. die kollektive Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in einer Organisation hätte ihm vielleicht helfen können, seine Erlebnisse besser zu verstehen und zu verarbeiten. Herr Langenbach hatte jedoch die Illusion, sich durch den Eintritt in die SPD von allem, was an die NS-Vergangenheit erinnerte, reinwaschen zu können. Dieser Versuch mußte aber durch die Anwesenheit eines „alten Nazis 44 , der die Erinnerung an den Nationalsozialismus wachhielt, scheitern. In der Gefangenschaft hatte Walter Langenbach begonnen, sich mit dem Status des Opfers zu identifizieren, und er verharrt bis heute im Gefühl des Opfers, das den Verhältnissen hilflos ausgeliefert ist. Diese Hilflosigkeit kann sich nur in hilfsloser Wut einen Weg bahnen. In Herrn Langenbachs eigener Einschätzung haben ihn seine Erlebnisse während des Zweiten Weltkrieges vor allem zu einem ausgesprochenen Kriegsgegner werden lassen. Doch diese Gegnerschaft bleibt auf der Ebene 191

,Ja (1) das sind schon EINdrücke, <strong>ich</strong> darf es gar n<strong>ich</strong> sagen was <strong>ich</strong> alles so gesehen hab und<br />

erlebt habe* (( weinerl<strong>ich</strong> )) (2) .Mensch nein* (2) ICH HABS AUCH NOCH, NIEMAND gesacht,<br />

<strong>ich</strong> denke nun (2) breit=es man nen bißchen aus da<strong>mit</strong> an<strong>der</strong>e noch (1) / davon lernen können<br />

((weinerl<strong>ich</strong>)) (1) es warn schon mal, Zeitungsnotizen, daß irgendwelche (1) Soldaten <strong>mit</strong><br />

häßl<strong>ich</strong>en Erlebnissen (2) besuchen wollten um / das <strong>der</strong> Nachwelt <strong>zu</strong> erhalten, <strong>ich</strong> mach es das<br />

erste Mal (2) aber SIE MERKEN JA (1) ES FÄLLT EINEM VERDAMMT SCHWER, die Sachen<br />

<strong>zu</strong>m besten <strong>zu</strong> geben (1) (( weinend ))" (57/29)<br />

Walter Langenbach gelang es bisher n<strong>ich</strong>t, über jene grauenvollen Szenen,<br />

die s<strong>ich</strong> ihm ins Gedächnis eingeprägt haben, <strong>mit</strong> an<strong>der</strong>en <strong>zu</strong> reden, und er<br />

wurde jahrelang von Alpträumen verfolgt.<br />

Er erzählt, er habe zwanzig Jahre lang jede zweite Nacht von <strong>Krieg</strong> und<br />

Mord geträumt und sei von seinen eigenen Schreien schweißgebadet aufgewacht.<br />

Er habe geträumt, wie er von Menschen und Tieren gejagt werde, die<br />

ihn zerfleischen wollten, „dawi", meint er, „nahm es langsam ab und heute is<br />

alles vergessen (1) heute is es weg".<br />

Heute träumt er zwar n<strong>ich</strong>t <strong>mehr</strong> von ihnen, doch vergessen sind diese Erlebnisse<br />

in Jugoslawien wohl n<strong>ich</strong>t, sonst hätte er n<strong>ich</strong>t das Bedürfnis, endl<strong>ich</strong><br />

darüber <strong>zu</strong> sprechen. Obwohl er in unserem Gespräch den Zusammenhang<br />

zwischen den Träumen und den Massenerschießungen in Jugoslawien selbst<br />

herstellt, ist es fragl<strong>ich</strong>, ob er auch einen Zusammenhang zwischen seiner<br />

Rolle als Gejagter in seinen Träumen und seiner Rolle bei den Exekutionen<br />

sieht. Er wird s<strong>ich</strong> kaum die Frage gestellt haben, weshalb er in seinen Träumen<br />

in <strong>der</strong> Rolle des Gejagten ist, weshalb „man" o<strong>der</strong> „es" ihn verfolgt und<br />

von wem er verfolgt wird. <strong>Als</strong> Zuhörer/innen und Leser/innen fragen wir uns<br />

jedoch, ob er in seinen Träumen von denjenigen verfolgt wird, die in Jugoslawien<br />

auf <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong> Verfolgten standen. Die Träume lassen jedenfalls<br />

Schuldgefühle vermuten. Zwar rechtfertigt er die Erschießungen <strong>der</strong> Jugoslawen<br />

<strong>mit</strong> ihren Partisanenaktionen, weist ihnen also selbst Schuld <strong>zu</strong> und bringt<br />

das Argument vor, in je<strong>der</strong> Nation gebe es Schweine und er brauche s<strong>ich</strong> für<br />

die deutschen Verbrechen n<strong>ich</strong>t <strong>zu</strong> schämen — doch diese Rechtfertigungen<br />

beruhigen ihn n<strong>ich</strong>t vollends. Mit diesen Argumentationen bagatellisiert er ledigl<strong>ich</strong><br />

die Schreckensszenen. Herr Langenbach kann ebensowenig über das<br />

von ihm selbst Erlittene wie über das grausame Schicksal <strong>der</strong> im „Dritten<br />

Re<strong>ich</strong>" verfolgten Menschen trauern.<br />

Dafür ist er von einem ungeheueren Gefühl <strong>der</strong> Wut erfüllt, das s<strong>ich</strong> u.a. gegen<br />

die politisch Verantwortl<strong>ich</strong>en <strong>der</strong> Bundesrepublik r<strong>ich</strong>tet. Im Anschluß<br />

an die oben zitierte Textstelle, in <strong>der</strong> es um seine Schwierigkeiten geht, über<br />

seine Erinnerungen <strong>zu</strong> sprechen, wird deutl<strong>ich</strong>, wie s<strong>ich</strong> bei Herrn Langenbach<br />

die Traurigkeit über sein jahrelang erlittenes und <strong>mit</strong>erlebtes Leid <strong>mit</strong><br />

Aggressionen mischt:<br />

B: „ES FÄLLT EINEM VERDAMMT SCHWER, die Sachen <strong>zu</strong>m besten <strong>zu</strong> geben (1) ker (3)<br />

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I: „hm"<br />

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