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"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc

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wie eine Heirat o<strong>der</strong> das Zeugen eines Kindes anläßl<strong>ich</strong> eines Fronturlaubs,<br />

für die Zukunft treffen. Die Konzentration auf das „Hier und Jetzt 4 *, das Ausblenden<br />

eines Denkens an morgen, war eine Reparaturstrategie <strong>der</strong> Zivilbevölkerung<br />

wie auch <strong>der</strong> Soldaten.<br />

Außer <strong>mit</strong> diesen Reparaturstrategien <strong>der</strong> temporalen Modifikation, d.h.<br />

dem „Tün-als-ob* 4<br />

das Leben weitergehen wird, konnte die Krisensituation<br />

auch da<strong>mit</strong> bewältigt werden, daß das Subjekt den Tod an <strong>der</strong> Front ideologisch<br />

verklärte. Indem <strong>der</strong> Tod an <strong>der</strong> Front als heldenhaft, ehrenvoll und vor<br />

allem sinnvoll definiert wurde, konnte die Angst vor diesem Tod verringert<br />

werden. Die mögl<strong>ich</strong>e Idealisierung des Todes muß insbeson<strong>der</strong>e bei <strong>der</strong> Analyse<br />

von <strong>Krieg</strong>serlebnissen Deutscher im Zweiten Weltkrieg, in einer Epoche,<br />

<strong>zu</strong> <strong>der</strong>en Weltanschauung n<strong>ich</strong>t nur die Wertlosigkeit des Lebens an<strong>der</strong>er, son<strong>der</strong>n<br />

auch die des eigenen gehörte, bedacht werden. Wesentl<strong>ich</strong> an <strong>der</strong> nationalsozialistischen<br />

Weltanschauung und <strong>der</strong> NS-Propaganda im Zweiten Weltkrieg<br />

war die Wertvorstellung, sein eigenes Leben für eine höhere Sache, fur<br />

„Führer, Volk und Vaterland** <strong>zu</strong> opfern. Jürgen Henningsen (1982: 350ff) ber<strong>ich</strong>tet<br />

darüber, daß seine NS-Sozialisation da<strong>zu</strong> gefuhrt hätte, daß er keine<br />

Angst vor dem Tod gehabt hätte:<br />

„Von heute aus gesehen, finde <strong>ich</strong> erstaunl<strong>ich</strong>, daß bei all den Bombenangriffen und Tieffliegerangriffen<br />

<strong>der</strong> kleine Junge nie Angst <strong>hatte</strong>. Je mulmiger es wurde, desto w<strong>ich</strong>tiger <strong>kam</strong> <strong>ich</strong> mir vor<br />

— als unser Haus ausbrannte, war das gerade<strong>zu</strong> ein ideologischer Orgasmus."<br />

Mit <strong>der</strong> ideologischen Verklärung des Todes für den Sieg einer Weltanschauung,<br />

eröffnet s<strong>ich</strong> dem Individuum ein Zukunftshorizont nach seinem Tode: sein<br />

Tod weist in die Zukunft, da <strong>mit</strong> ihm die angestrebte kollektive und weltl<strong>ich</strong>e Zukunft<br />

„erkämpft** werden kann (Rosenthal 1987 b: 394). Auch <strong>mit</strong> dem Sprung in<br />

eine an<strong>der</strong>e Sinnprovinz, die <strong>der</strong> Religion, eröffnet s<strong>ich</strong> dem Individuum, dessen<br />

weiteres Leben ungewiß ist, ein neuer „außer-weltl<strong>ich</strong>er** Zukunftshorizont: das<br />

Weiterleben nach dem Tod. Bei diesen Strategien handelt es s<strong>ich</strong> in gewisser<br />

Weise ebenfalls um temporale; wesentl<strong>ich</strong>er Unterschied <strong>zu</strong> den von Fischer<br />

(1982; 1985) diskutierten temporalen Modifikationen ist jedoch, daß das Subjekt<br />

hier einen mögl<strong>ich</strong>en Tod gerade n<strong>ich</strong>t ausblendet, son<strong>der</strong>n diesen viel<strong>mehr</strong> <strong>zu</strong>m<br />

Gegenstand seiner Reflexion macht. Das Subjekt „repariert** also die Verlet<strong>zu</strong>ng<br />

<strong>der</strong> Kontinuitätsidealisierung n<strong>ich</strong>t, son<strong>der</strong>n verleiht ihr einen Sinn; deshalb<br />

spreche <strong>ich</strong> in diesem Zusammenhang n<strong>ich</strong>t von einer temporalen Reparaturstrategie,<br />

son<strong>der</strong>n von einer sinnverleihenden Bewältigungsstrategie.<br />

Eine weitere Mögl<strong>ich</strong>keit fur das Auftreten von Krisen liegt in <strong>der</strong> Durchbrechung<br />

<strong>der</strong> Idealisierung <strong>der</strong> Realisierbarkeit biographischer Entwürfe, die<br />

wie die <strong>der</strong> Kontinuität des Lebens auf <strong>der</strong> Ebene von Lebenszeit liegt. Im Unterschied<br />

<strong>zu</strong> <strong>der</strong> allgemeinen Erwartung, daß man weiter leben wird, wird hier<br />

jedoch die Erfüllbarkeit konkreter Lebensentwürfe idealisiert. Ausgeblendet<br />

wird die emergente Struktur von Zukunft, die unerwarteten und unplanbaren<br />

Ereignisse und Folgen eigenen Handelns.<br />

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