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"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc

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1917/18 gelingt es ihm noch, seine primären Gefühle, seine Trauer in <strong>der</strong> damaligen<br />

Situation, aus<strong>zu</strong>drücken. Dagegen ist seine Trauer beim Zweiten Weltkrieg<br />

überlagert von Wut. Da<strong>mit</strong> kann er auch n<strong>ich</strong>t um die in den letzten<br />

<strong>Krieg</strong>smonaten erlebten leidvollen Erfahrungen und über sein <strong>mit</strong> dem <strong>Krieg</strong><br />

<strong>zu</strong>sammenhängendes Schicksal <strong>der</strong> Vertreibung trauern, geschweige denn über<br />

die von Deutschen begangenen Verbrechen.<br />

Die Strategie des Ausblendens von Erlebnissen und Erfahrungen aus den<br />

„drei" <strong>Krieg</strong>sphasen, die er <strong>mit</strong>erlebt hat, dient also unterschiedl<strong>ich</strong>en<br />

Zwecken. Beim Ersten Weltkrieg kann Herr Vogel da<strong>mit</strong> die leidvoilen, existentiell<br />

bedrohl<strong>ich</strong>en Fronterlebnisse ausblenden. Beim Bolenfeld<strong>zu</strong>g gelingt es<br />

ihm <strong>mit</strong> dieser Strategie, das Leid <strong>zu</strong> dethematisieren, das von Angehörigen des<br />

deutschen Volkes an<strong>der</strong>en Menschen <strong>zu</strong>gefügt wurde. Die Darstellung <strong>der</strong> letzten<br />

<strong>Krieg</strong>smonate ist bestimmt von <strong>der</strong> Frage nach <strong>der</strong> Schuld am <strong>Krieg</strong>sausgang,<br />

<strong>der</strong> für ihn im Unterschied <strong>zu</strong> an<strong>der</strong>en historischen Ereignissen <strong>zu</strong>m<br />

Thema wurde, weil er sein Leben so nachhaltig verän<strong>der</strong>te. We<strong>der</strong> die deutsche<br />

Nie<strong>der</strong>lage 1918 noch die Weltwirtschaftskrise 1929 <strong>hatte</strong>n für ihn lebensverän<strong>der</strong>nde<br />

Auswirkungen: 1918 war er von <strong>der</strong> Todesgefahr an <strong>der</strong> Front befreit und<br />

<strong>hatte</strong> danach während Inflation und Weltwirtschaftskrise erfolgre<strong>ich</strong> seine berufl<strong>ich</strong>e<br />

Existenz aufgebaut und eine Familie gegründet. Die deutsche Nie<strong>der</strong>lage<br />

1945 <strong>hatte</strong> dagegen <strong>zu</strong>r Folge, daß er seinen Besitz und seine Heimat verlor<br />

und sein erfolgre<strong>ich</strong>es Leben beendet war. Hier liegt, wie bereits diskutiert,<br />

sein eigentl<strong>ich</strong>es Problem, über das er jedoch n<strong>ich</strong>t sprechen kann. Er konnte<br />

den Verlust <strong>der</strong> Heimat n<strong>ich</strong>t überwinden, war vielle<strong>ich</strong>t n<strong>ich</strong>t <strong>mehr</strong> flexibel genug,<br />

um s<strong>ich</strong> auf eine neue Lebenssituation einstellen <strong>zu</strong> können. Da das Problem<br />

seines sozialen Abstiegs ungelöst im Vor<strong>der</strong>grund steht und ihn quält, ist<br />

<strong>der</strong> Weg <strong>zu</strong>r Reflexion von Problemen, die ihn selbst n<strong>ich</strong>t nachhaltig tangierten,<br />

versperrt. Dim ist auch die Eins<strong>ich</strong>t in die Rolle Deutschlands in diesem<br />

<strong>Krieg</strong> versperrt. Er ist bemüht, die Schuld an dieser Nie<strong>der</strong>lage und da<strong>mit</strong> auch<br />

an seiner Vertreibung n<strong>ich</strong>t Deutschland, son<strong>der</strong>n dem Ausland an<strong>zu</strong>lasten —<br />

eine Konstruktion, die ihm ermögl<strong>ich</strong>t, auch als Vertriebener im Westen weiterhin<br />

Mitglied des Kollektivs <strong>der</strong> Deutschen <strong>zu</strong> sein, die nach ihrer eigenen Mythenkonstruktion<br />

alle Opfer des Faschismus sind.<br />

Anmerkung<br />

1 Wie weitere Interviews, die <strong>ich</strong> <strong>mit</strong> Vertriebenen geführt habe, zeigen, leben diejenigen in <strong>der</strong><br />

\fergangenheit, denen es nach <strong>der</strong> Vertreibung n<strong>ich</strong>t <strong>mehr</strong> gelungen ist, s<strong>ich</strong> ein neues Leben<br />

auf<strong>zu</strong>bauen bzw., ideeller formuliert, weiterhin <strong>mit</strong> ihrem Lebensalltag <strong>zu</strong>frieden <strong>zu</strong> sein. Dagegen<br />

gibt es Männer <strong>der</strong> Generation Herrn Vfogels, die <strong>mit</strong> ihren ca. 90 Jahren immer noch eine<br />

Zukunft antizipieren. Z.B. antwortete mir ein vertriebener, den <strong>ich</strong> fragte, was seine schönste<br />

Zeit im Leben gewesen sei, „wieso gewesen, die ist immer noch und wird es weiterhin auch<br />

sein' 4 .<br />

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