"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc

sen werden. Nach einer weiteren langen Pause spricht er dann von „kontrolliert**.
„Da war weiter nicht viel** könnte heißen: man kämpfte ja nicht, statt
dessen hat man kontrolliert. Die Erwähnung einer „Kontrolle** im historischen
Kontext der ersten Kriegsmonate in Polen weckt Assoziationen, die von
der „Kontrolle** der polnischen Bevölkerung bis zur „Kontrolle 4 * in den sofort
nach dem Überfall eingerichteten Ghettos reichen. Doch darüber will Herr
Vogel nicht sprechen, auch wenn er es damals vielleicht „kritisiert** hat. Indem
er dann einen zeitlichen Sprung ins Jahr 1941 macht, als die deutsche
Wehrmacht die Sowjetunion überfiel, kann er thematisch den Bogen zur Kritik
an der deutschen Kriegsführung spannen, ohne etwas über den Polenfeldzug,
an dem er selbst teilgenommen hat, aussagen zu müssen. Damit vollzieht
er von der Struktur seiner Argumentation her genau den gleichen Bogen —
von den NS-Verbrechen zum verlorenen Krieg und damit zu seinem Schicksal
als Vertriebener — wie bei seiner Antwort auf die Frage der Interviewerin
nach der Judenverfolgung.
Zurück zu Herrn Vogels biographischem Werdegang. Er wurde mit seiner
Einheit im Frühjahr 1940 an die Westfront versetzt, doch die Teilnahme am
Frankreichfeldzug blieb ihm erspart. Mittlerweile war seine Ehefrau erkrankt
und konnte den Betrieb nicht mehr allein weiterführen. Sie benachrichtigte
die von ihr belieferte Lungenheilstätte, woraufhin deren Leitung sich für Oskar
Vogels Entlassung einsetzte. Oskar wurde „UK** (unabkömmlich) gestellt
und konnte den Betrieb bis zu seinem Einzug zum Volkssturm im Herbst 1944
weiterführen.
3.2.6 Letzter Einsatz als Soldat
Waren Herrn Vogels Erlebnisse während des Polenfeldzugs in ihrer existentiellen
Bedrohlichkeit kaum zu vergleichen mit denen im Ersten Weltkrieg, so
sind letzteren seine Erlebnisse bei Ende des Zweiten Weltkrieges vermutlich
ähnlicher. Doch darüber erfahren wir im Interview nichts. Wir wissen nur,
daß Herr Vogel ca. im Oktober 1944 zum Volkssturm eingezogen, ungefähr ab
Februar oder März 1945 von der Wehrmacht übernommen und im Dezember
1945 aus sowjetischer Gefangenschaft in Sachsen entlassen wurde.
Bevor diese temporale Lücke in seiner biographischen Erzählung interpretiert
wird, möchte ich einige historische Details benennen, um zumindest etwas
über Herrn Vogels Erleben in dieser Zeit mutmaßen zu können.
Zum Volkssturm wurden nach einem Erlaß Adolf Hitlers vom 25. September
1944 alle waffenfähigen 16-60¡jahrigen Männer zur »Verteidigung des Heimatbodens
4
verpflichtet; aufgestellt wurde der Volkssturm durch die Gauleiter
und die Führer nationalsozialistischer Organisationen. Während der Volkssturm
in manchen westdeutschen Gebieten nicht mehr zum Einsatz kam, wur-
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