"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc
"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc
"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Schützengraben entrinnen kann. Seiner Lebensphilosophie <strong>zu</strong>folge kann man<br />
nur individuell versuchen, das Beste daraus <strong>zu</strong> machen.<br />
Die desolate ökonomische Situation zwang ihn — wie viele an<strong>der</strong>e <strong>Krieg</strong>sheimkehrer<br />
—, s<strong>ich</strong> in einer nie<strong>der</strong>schlesischen Kohlengrube in <strong>der</strong> Nähe von<br />
Breslau <strong>zu</strong> verdingen. Im Bergbau wurden nach <strong>der</strong> Entlassung <strong>der</strong> <strong>Krieg</strong>sgefangenen<br />
Arbeitskräfte gebraucht.<br />
Die nie<strong>der</strong>schlesischen Kohlengruben waren ein Arbeitsmilieu, in dem —<br />
wenn auch n<strong>ich</strong>t in dem Maße wie im Ruhrgebiet — eine Politisierung im Rahmen<br />
<strong>der</strong> Arbeiterbewegung, eine Reflexion <strong>der</strong> Klassenlage durchaus denkbar<br />
gewesen wäre. Obwohl Oskar Vogel etl<strong>ich</strong>es aus seiner Zeit in <strong>der</strong> Kohlengrube<br />
erzählt, erwähnt er die vielen Streiks <strong>der</strong> Zwanziger Jahre n<strong>ich</strong>t. Von<br />
<strong>der</strong> Interviewerin darauf angesprochen, winkt er ab und meint: „das hätte ja<br />
sowieso n<strong>ich</strong>ts gebracht**. Er war n<strong>ich</strong>t an Arbeitskämpfen interessiert; ihm<br />
ging es <strong>mehr</strong> darum, sein Schicksal, d.h. seine ökonomische Situation, individuell<br />
<strong>zu</strong> verbessern. Gebeten über die Zeit zwischen den <strong>Krieg</strong>en <strong>zu</strong> erzählen,<br />
konzentriert er s<strong>ich</strong> auch ausschließl<strong>ich</strong> auf den berufsbiographischen<br />
Strang. Nur nebenbei erfahren wir, daß er 1921 heiratete und 1923 Vater einer<br />
Tochter wurde.<br />
Es wird bei seinen Erzählungen sehr deutl<strong>ich</strong>, daß die Berufskarriere für<br />
ihn eine herausragende Bedeutung <strong>hatte</strong>. Die detailliertesten und längsten Erzählungen<br />
während des gesamten Interviews beziehen s<strong>ich</strong> auf sein Berufsleben<br />
in dieser Zeit. Dies sind die wenigen Gesch<strong>ich</strong>ten im Interview, die n<strong>ich</strong>t<br />
nur auf den Anfang und das Ende einer Lebensphase beschränkt sind. Ohne<br />
Auffor<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Interviewerinnen erzählt er über einen Fund von versilberten<br />
Fischen, über einen Unfall, bei dem er einige Stunden verschüttet war und<br />
über das Bergen von Verunglückten. Am w<strong>ich</strong>tigsten ist ihm, seinen berufl<strong>ich</strong>en<br />
Aufstieg dar<strong>zu</strong>stellen, auf den er noch heute sehr stolz ist. Frühzeitig sei<br />
er <strong>zu</strong>m Hauer beför<strong>der</strong>t worden und habe „auch immer schönes Geld verdient<br />
4 *.<br />
1928 verließ Oskar Vogel den Bergbau. Seine Erzählung über den Hergang<br />
<strong>der</strong> Kündigung bleibt undurchs<strong>ich</strong>tig. Jedenfalls wollte er n<strong>ich</strong>t länger an <strong>der</strong><br />
in den 20er Jahren eingeführten Schrämmaschine arbeiten, weil diese Maschine<br />
sehr viel Staub produzierte und da<strong>mit</strong> gesundheitsgefährdend war. Er<br />
bat den Steiger um ein an<strong>der</strong>es Arbeitsfeld, doch dieser lehnte ab. Mögl<strong>ich</strong>erweise<br />
drohte <strong>der</strong> Steiger, <strong>der</strong> die Berechtigung <strong>hatte</strong>, Leute <strong>zu</strong> »heuern und <strong>zu</strong><br />
feuern*, Oskar Vogel deshalb <strong>mit</strong> Kündigung, worauf dieser von s<strong>ich</strong> aus ging.<br />
Er selbst meint, er habe es damals vorgezogen, s<strong>ich</strong> selbständig <strong>zu</strong> machen.<br />
Er kaufte s<strong>ich</strong> Pferd und Wagen und begann in den Jahren <strong>der</strong> Weltwirtschaftskrise<br />
<strong>mit</strong> dem Aufbau eines Obst- und Gemüsehandels. Ein halbes Jahr<br />
später konnte er schon ein Auto kaufen, worüber er sehr stolz ber<strong>ich</strong>tet. Der<br />
Aufbau seines Obst- und Gemüsehandels gelang, das Geschäft florierte; er belieferte<br />
— wie er ber<strong>ich</strong>tet — eine Lungenheilstätte <strong>mit</strong> „über 2400 Betten**:<br />
150