"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc
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Zweiten mischen: Die Feinde in seinen Träumen sind näml<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t die Franzosen<br />
aus dem Ersten Weltkrieg, son<strong>der</strong>n die „Polacken und Russen**, die<br />
Feinde aus dem Zweiten Weltkrieg und die „Täter** seiner Vertreibung. Oskar<br />
Vogel hat dem Feind im 1. Weltkrieg kaum von Anges<strong>ich</strong>t <strong>zu</strong> Anges<strong>ich</strong>t gegenübergestanden,<br />
son<strong>der</strong>n fürchtete s<strong>ich</strong> viel<strong>mehr</strong> vor <strong>der</strong> anonymen Gefahr <strong>der</strong><br />
feindl<strong>ich</strong>en Geschosse. Mit den Feinden aus dem Zweiten Weltkrieg gibt er in<br />
seinen Träumen dieser anonymen Gefahr jene menschl<strong>ich</strong>e Gestalt, die für ihn<br />
den Inbegriff des Feindes darstellt.<br />
N<strong>ich</strong>t nur in den Träumen holen ihn die Gefühle ein, son<strong>der</strong>n auch in unserem<br />
Gespräch. Zunächst <strong>hatte</strong> Oskar Vogel während <strong>der</strong> Eingangserzählung<br />
noch sachl<strong>ich</strong> und emotional distanziert ber<strong>ich</strong>tet und die bedrohl<strong>ich</strong>en Situationen<br />
n<strong>ich</strong>t thematisiert. Mit Hilfe empathischer Fragen <strong>der</strong> Interviewerin<br />
kann er seiner Trauer Ausdruck geben. Hier<strong>zu</strong> ein etwas längerer Aus<strong>zu</strong>g aus<br />
diesem Dialog:<br />
I: „Sie sind ja als ganz junger Mann hingekommen (2) und waren plötzl<strong>ich</strong> <strong>mit</strong> so viel Leid konfrontiert<br />
Β: (2) ja ((<strong>mit</strong> sehr gebrochener Stimme)) (3) man sagte <strong>mit</strong> dem Arsch auf Grund- Grundeis gegangen<br />
(2) (( gebrochene Stimme)) kennen Sie den Ausspruch?<br />
I: mhm<br />
B: das is wenn (1) die Beine wacklig werden<br />
I: ja<br />
B: (4) wenn keen Schutz vorhanden ist (4)<br />
I: also daß man jede Minute da<strong>mit</strong> rechnen mußt<br />
B: ja<br />
I: daß man getroffen wird<br />
B: (2) mußte man <strong>mit</strong> je<strong>der</strong> Minute rechnen (2) und wenns gute en guten Freund wie<strong>der</strong> getroffen<br />
hat (2) da sind mir auch die Augen übergegangen (9) ((weint))<br />
I: das haben Sie auch nie vergessen können (1) also die Bil<strong>der</strong> von damals<br />
B: nee das gibt's n<strong>ich</strong> (9)<br />
((spielt heftig <strong>mit</strong> dem Mikro; weint))<br />
In diesem Zitat kommt Herrn Vogels Trauer an die Oberfläche. Es ist eine<br />
Traurigkeit, die die Gesprächssequenzen <strong>zu</strong>m Ersten Weltkrieg prägt. Das<br />
hinter dieser Traurigkeit liegende Thema ist <strong>der</strong> Tod. Dieses Gefühl und dieses<br />
Thema fehlen dagegen in seinen Erzählungen über den Zweiten Weltkrieg,<br />
in dem er s<strong>ich</strong>er auch <strong>mit</strong> Sterbenden und Toten konfrontiert war. Dieser Unterschied<br />
wird später <strong>zu</strong> interpretieren sein; an dieser Stelle ist an<strong>zu</strong>merken,<br />
daß er auch auf ein stärkeres Leiden unter den Bedingungen des Ersten Weltkrieges<br />
<strong>zu</strong>rückführbar sein dürfte. N<strong>ich</strong>t nur, daß Herr Vogel 1917 noch jung<br />
und als Soldat unerfahren war, auch die spezifischen Bedingungen des Ersten<br />
Weltkrieges waren leid voller als die des Zweiten. Wie empirische Studien<br />
(vgl. Maxwell 1923, Rives 1918) zeigen, ist das psychische Leiden von Soldaten<br />
in einem Stellungskrieg im Schützengraben unvergle<strong>ich</strong>l<strong>ich</strong> größer als in<br />
einem Bewegungskrieg. Es sind insbeson<strong>der</strong>e die Bedingungen <strong>der</strong> Immobilität<br />
in <strong>der</strong> Enge <strong>der</strong> Gräben und Unterstände sowie die Uns<strong>ich</strong>tbarkeit des Feindes,<br />
die ein neurotisches Reagieren <strong>der</strong> Soldaten bewirken. Menschen versu-<br />
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