"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc

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Schon bevor er selbst Soldat wurde, wirkte sich der Krieg auf seinen Lebensalltag spürbar aus. Der Vater wurde im zweiten Kriegsjahr eingezogen und später auch der ältere Bruder. Oskar half auf dem Hof einer Kriegerwitwe aus, die ohne ihren Mann die anfallenden Arbeiten nicht mehr bewältigen konnte. Bruder und Vater kehrten, noch bevor Oskar selbst eingezogen wurde, schwer verwundet von der Front zurück. Aus diesen knappen Hintergrundsinformationen über seine Herkunftsfamilie, ergibt sich das BUd einer von Entbehrungen geprägten Zeit. Daß sich Oskar trotz Abwesenheit seines Vaters und Bruders auf einem anderen Gehöft verdingte, läßt vermuten, daß der Ertrag des elterlichen Betriebes zur Existenzsicherung nicht ausreichte. Die achtköpfige Familie lebte in einfachen Verhältnissen, und Oskar wurde sicher schon früh und häufig zur Arbeit herangezogen. Oskar Vogel vermittelt in unserem Gespräch aber noch ein anderes Bild seiner Jugend. Auf die Frage der Interviewerin, an welche Zeit in seinem Leben er am liebsten denkt, antwortet er: „am liebsten an die Jugend ((ganz bestimmt und deutlich)) (2) ich bin zu Hause- wir hatten ein herrliches Stückchen Erde, da lagen wir am Fuße jenes Berges.." (39/9) Er kommt ins Schwärmen für die schöne Landschaft seiner Heimat und erzählt, wie er mit anderen Jugendlichen am Waldrand musizierte, wie er selbst Flöte spielte und die Mädchen dazu Kirchenlieder sangen. Um dieses Schwärmen von der Heimat verstehen zu können, muß bedacht werden, daß Oskar Vogel 1946 aus seiner Heimat vertrieben wurde. Deshalb ruft diese Landschaft, die er später nie mehr wiedersehen sollte, heute eine besonders nostalgisch verklärte und wehmütige Erinnerung hervor. 3.2.3 Erwachsenwerden im Schützengraben Im Frühjahr 1917 wurde Oskar gemustert und im Mai zum Bayrischen Fußartillerie Regiment, Bataillon 33, zur Ausbildung nach Straßburg eingezogen. Auf die Frage der Interviewerin, was er damals über seinen Stellungsbefehl dachte, meint er: „das war e Schicksal (2) mein Bruder war schon schwer verwundet, mein Vater war schon schwer verwundet (8)" (27/3) Den Einzug zur Front sah und sieht Herr Vogel als unabdingbares Schicksal, dem man nicht entrinnen kann. Er fugte sich in das Unvermeidliche, dem schon Vater und Bruder ihr Opfer bringen mußten. Obwohl monarchistisch gesinnt und dem Kaiser treu ergeben, war Oskar über seinen Einzug nicht begeistert; er hatte in dem nun schon drei Jahre dauernden Krieg die Leiden dieses Krieges, Tod und Verwundung, wohl zu unmittelbar erlebt: , ja es is niemand gerne gegangen (3) die ersten Jahre vielleicht hat es da welche gegeben" (22/W) 144

Nach nur sechswöchiger Ausbildung kam der 18jährige Landwirtssohn „ins Feld 44 . Die Worte, mit denen ihn seine neuen Kameraden empfingen, weckten in ihm düstere Ahnungen über seine soldatische Zukunft: „sagt er ((ein anderer Soldat)) wißt ihr denn wo ihr denn — (1) wo ihr (1) hingeraten seid (1) zum Bayrischen fö/enbataillon (2) das war für ihn das Bataillon (1) die fliegenden Bataillone die wurden immer da eingesetzt (1) wo*s hart herging / /mhm/ /, und da (1) sind- sind da hohe Verluste (2) und daher der — (l) na wie soll ich denn sagen, Spottname, Totenbataillon (3) ((spielt mit dem Mikrophon)) bin so leidlich weggekommen=ich hab bloß, eenmal, Kolben ins Gesicht gekriegt (1)" (2/21) Der Einsatz als Soldat im 1. Weltkrieg begann für Herrn Vogel damals mit dem verbalen Hinweis auf das zu Erwartende, auf den Tod, heute endet die Erzählung über diesen Krieg aus der Perspektive des Kriegsendes mit dem Resümee, nur eine Verletzung im Gesicht davongetragen zu haben. Die Ausblendung der leid vollen Zeit an der Front gelingt Herrn Vogel, indem er sofort den Bogen zum Ende des Krieges spannt. Mit der Schwellenüberschreitung ins Niemandsland des Krieges beginnen die Grenzerfahrungen existentieller Bedrohung, es sind Erfahrungen, die nur schwer kommunizierbar sind. Die Schwierigkeit, die Kriegserlebnisse in den Schützengräben des 1. Weltkrieges zu erzählen, die auch von Literaten wie Walter Benjamin (1961: 410) und Ernest Hemingway (1929: 196) beklagt wurde, teilt Herr Vogel mit vielen seiner Generation. Es ist die Schwierigkeit, die Erinnerungen an das diffuse und chaotische Erleben des Schützenfeuers in eine sequentielle Ordnung zu bringen (vgl. Leed 1979: 124). Herr Vogel „löst 44 diese Schwierigkeit, indem er sich auf das leichter Erzählbare beschränkt. Erzählbar sind für ihn die Übergänge, die Schwellenüberschreitungen vom menschlichen Leben ins seelenlose Niemandsland der Schützengräben und zurück. Über die Zeit zwischen Einzug und Kriegsende gibt Herr Vogel nur aufgrund sehr konkreter Nachfragen der Interviewerinnen Auskunft. Er antwortet relativ knapp und fährt dann mit einer Erzählung über die Zeit nach Kriegsende fort. Beispielsweise nennt er auf die Frage, wo er mit seiner Einheit gekämpft habe, nur kurz den Standort und geht zu einer Erzählung über die Materialversteigerungen nach dem „Zusammenbruch 44 1918 über. Über die oben erwähnte Verletzung berichtet Herr Vogel, daß sie von einem Nahkampf, Kolben gegen Kolben, stammte. Er erzählt, daß seine Nase quergestanden habe und er seine Zähne habe ausspucken können. Mit dieser Verletzung kam er ins Feldlazarett und hoffte, nach Hause zu kommen. Doch zu seinem Bedauern wurde er nach drei Wochen wieder an die Front entlassen. Auch ein Granatsplitter im Fuß wurde nicht zum „Heimatschuß* 4 , sondern nur zum kurzen „Urlaub 44 im Feldlazarett. Während er von seinen Krankenhausaufenthalten, also jenen Zeiten außerhalb der Schützengräben, noch anschaulich und detailliert szenisch erzählt, bleibt seine Darstellung des Geschehens im „Feld 44 , diesem an der französi- 145

Schon bevor er selbst Soldat wurde, wirkte s<strong>ich</strong> <strong>der</strong> <strong>Krieg</strong> auf seinen Lebensalltag<br />

spürbar aus. Der Vater wurde im zweiten <strong>Krieg</strong>sjahr eingezogen<br />

und später auch <strong>der</strong> ältere Bru<strong>der</strong>. Oskar half auf dem Hof einer <strong>Krieg</strong>erwitwe<br />

aus, die ohne ihren Mann die anfallenden Arbeiten n<strong>ich</strong>t <strong>mehr</strong> bewältigen<br />

konnte. Bru<strong>der</strong> und Vater kehrten, noch bevor Oskar selbst eingezogen wurde,<br />

schwer verwundet von <strong>der</strong> Front <strong>zu</strong>rück.<br />

Aus diesen knappen Hintergrundsinformationen über seine Herkunftsfamilie,<br />

ergibt s<strong>ich</strong> das BUd einer von Entbehrungen geprägten Zeit. Daß s<strong>ich</strong> Oskar<br />

trotz Abwesenheit seines Vaters und Bru<strong>der</strong>s auf einem an<strong>der</strong>en Gehöft verdingte,<br />

läßt vermuten, daß <strong>der</strong> Ertrag des elterl<strong>ich</strong>en Betriebes <strong>zu</strong>r Existenzs<strong>ich</strong>erung<br />

n<strong>ich</strong>t ausre<strong>ich</strong>te. Die achtköpfige Familie lebte in einfachen Verhältnissen,<br />

und Oskar wurde s<strong>ich</strong>er schon früh und häufig <strong>zu</strong>r Arbeit herangezogen.<br />

Oskar Vogel ver<strong>mit</strong>telt in unserem Gespräch aber noch ein an<strong>der</strong>es Bild seiner<br />

Jugend. Auf die Frage <strong>der</strong> Interviewerin, an welche Zeit in seinem Leben<br />

er am liebsten denkt, antwortet er:<br />

„am liebsten an die Jugend ((ganz bestimmt und deutl<strong>ich</strong>)) (2) <strong>ich</strong> bin <strong>zu</strong> Hause- wir <strong>hatte</strong>n ein<br />

herrl<strong>ich</strong>es Stückchen Erde, da lagen wir am Fuße jenes Berges.." (39/9)<br />

Er kommt ins Schwärmen für die schöne Landschaft seiner Heimat und erzählt,<br />

wie er <strong>mit</strong> an<strong>der</strong>en Jugendl<strong>ich</strong>en am Waldrand musizierte, wie er selbst<br />

Flöte spielte und die Mädchen da<strong>zu</strong> Kirchenlie<strong>der</strong> sangen.<br />

Um dieses Schwärmen von <strong>der</strong> Heimat verstehen <strong>zu</strong> können, muß bedacht<br />

werden, daß Oskar Vogel 1946 aus seiner Heimat vertrieben wurde. Deshalb<br />

ruft diese Landschaft, die er später nie <strong>mehr</strong> wie<strong>der</strong>sehen sollte, heute eine<br />

beson<strong>der</strong>s nostalgisch verklärte und wehmütige Erinnerung hervor.<br />

3.2.3 Erwachsenwerden im Schützengraben<br />

Im Frühjahr 1917 wurde Oskar gemustert und im Mai <strong>zu</strong>m Bayrischen Fußartillerie<br />

Regiment, Bataillon 33, <strong>zu</strong>r Ausbildung nach Straßburg eingezogen.<br />

Auf die Frage <strong>der</strong> Interviewerin, was er damals über seinen Stellungsbefehl<br />

dachte, meint er:<br />

„das war e Schicksal (2) mein Bru<strong>der</strong> war schon schwer verwundet, mein Vater war schon<br />

schwer verwundet (8)" (27/3)<br />

Den Ein<strong>zu</strong>g <strong>zu</strong>r Front sah und sieht Herr Vogel als unabdingbares Schicksal,<br />

dem man n<strong>ich</strong>t entrinnen kann. Er fugte s<strong>ich</strong> in das Unvermeidl<strong>ich</strong>e, dem<br />

schon Vater und Bru<strong>der</strong> ihr Opfer bringen mußten. Obwohl monarchistisch<br />

gesinnt und dem Kaiser treu ergeben, war Oskar über seinen Ein<strong>zu</strong>g n<strong>ich</strong>t begeistert;<br />

er <strong>hatte</strong> in dem nun schon drei Jahre dauernden <strong>Krieg</strong> die Leiden dieses<br />

<strong>Krieg</strong>es, Tod und Verwundung, wohl <strong>zu</strong> un<strong>mit</strong>telbar erlebt:<br />

, ja es is niemand gerne gegangen (3) die ersten Jahre vielle<strong>ich</strong>t hat es da welche gegeben"<br />

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