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"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc

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Beim Abschied meinte Herr Vogel <strong>zu</strong> uns: „Denkt daran, w<strong>ich</strong>tig ist, daß<br />

ihr gesund bleibt, alles an<strong>der</strong>e ist unw<strong>ich</strong>tig". Man könnte diesen Rat als<br />

Motto fur seine Gegenwart nehmen. In <strong>der</strong> Gegenwart eines beschädigten Leibes,<br />

<strong>der</strong> s<strong>ich</strong> durch die ständigen Schmerzen aus dem Horizont des Fraglosen<br />

als Störung des Alltagslebens abhebt, ist die Gesundheit kostbarstes Gut.<br />

Herr Vogel <strong>kam</strong> nach seiner Krankenhausentlassung n<strong>ich</strong>t <strong>mehr</strong>, wie er gehofft<br />

<strong>hatte</strong>, nach Hause, son<strong>der</strong>n wurde von seiner Tochter in ein Pflegeheim<br />

eingewiesen. Um ein weiteres Gespräch <strong>mit</strong> Herrn Vogel fuhren <strong>zu</strong> können,<br />

setzte <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> <strong>mit</strong> seiner Tochter in Verbindung. Sie lehnte meinen Wünsch<br />

<strong>mit</strong> <strong>der</strong> Begründung ab, ihren Vater würde dies <strong>zu</strong> sehr aufregen. Dafür war<br />

sie bereit, mir noch einige Fragen <strong>zu</strong>m Leben ihres Vaters <strong>zu</strong> beantworten,<br />

wehrte s<strong>ich</strong> jedoch entschieden gegen eine Tonbandaufnahme des Gesprächs.<br />

Sie und ihr Ehemann empfingen m<strong>ich</strong> circa ein Jahr nach dem Interview <strong>mit</strong><br />

Herrn Vogel bei s<strong>ich</strong> <strong>zu</strong> Hause.<br />

Den Vater schil<strong>der</strong>t die Tochter als sturen, dickköpfigen Menschen, <strong>der</strong> ein<br />

autoritär herrschen<strong>der</strong> Familienvater gewesen sei — ein Bild, das von ihrem<br />

Ehemann geteilt wird. Indirekt klagt sie den Vater wegen seiner erfolglosen<br />

berufl<strong>ich</strong>en Karriere nach <strong>der</strong> Vertreibung an. Sie schreibt dies seiner Dickköpfigkeit<br />

<strong>zu</strong>, denn er habe <strong>mehr</strong>mals die Mögl<strong>ich</strong>keit gehabt, <strong>mit</strong> Hilfe staatl<strong>ich</strong>er<br />

Unterstüt<strong>zu</strong>ng und günstiger Kredite s<strong>ich</strong> wie<strong>der</strong> selbständig <strong>zu</strong> machen,<br />

doch habe er nie die Bedingungen aktzeptiert. Lassen wir diese Deutung<br />

dahingestellt. Wesentl<strong>ich</strong> für die Fallanalyse ist die Information, daß <strong>der</strong><br />

in Schlesien erfolgre<strong>ich</strong>e Kleinunternehmer Oskar Vogel s<strong>ich</strong> im Westen nur<br />

noch als einfacher Arbeiter verdingte.<br />

Wie beiläufig erwähnt <strong>der</strong> anwesende Schwiegersohn, daß Herr Vogel am<br />

Vortage verstorben ist.<br />

Die Lebensgesch<strong>ich</strong>te Herrn Vogels kann als die Gesch<strong>ich</strong>te eines Sterbenden<br />

gelesen werden, <strong>der</strong> Abschied von seinem Leben nimmt, seinen Lebensweg<br />

bilanziert und <strong>der</strong> von keinen biographischen Zukunftsentwürfen <strong>mehr</strong><br />

ber<strong>ich</strong>tet. Neben diesen Strukturmerkmalen einer „Sterbegesch<strong>ich</strong>te" repräsentiert<br />

die biographische Erzählung Herrn Vogels jedoch auch die Gesch<strong>ich</strong>te<br />

eines Menschen, <strong>der</strong> bereits seit seiner Vertreibung im Jahre 1946<br />

überwiegend in Gedanken an seine Vergangenheit lebt, d.h. seine Zukunft<br />

n<strong>ich</strong>t erst als Sterben<strong>der</strong> verloren hat.<br />

3.2.2 Kindheit und Jugend: entbehrungsre<strong>ich</strong> und nostalgisch verklärt<br />

Oskar Vogel wurde im Juni 1899 als zweiter Sohn nie<strong>der</strong>schlesischer Kleinbauern<br />

in <strong>der</strong> Nähe von Breslau geboren. Er wuchs <strong>mit</strong> fünf Geschwistern<br />

auf, zwei Brü<strong>der</strong>n und drei Schwestern.<br />

<strong>Als</strong> er 15 Jahre alt war, begann <strong>der</strong> Erste Weltkrieg. Dieses historische Ereignis<br />

ist in seiner Erinnerung entsprechend den Relevanzen eines Landwirtes<br />

<strong>mit</strong> <strong>der</strong> Jahreszeit, <strong>der</strong> Erntezeit, assoziiert.<br />

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