"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc

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Dieses Mißtrauensgefühl und die traumatischen Erfahrungen der Gefangenschan gehen Herrn Sallmann nie ganz verloren. Jahrelang wird er in der Nacht von Träumen heimgesucht, in denen er sich wieder in Gefangenschaft befindet, zu fliehen versucht und die Angst vor Verfolgung durchsteht. Bis heute träumt er — wenn auch nur noch selten — von diesen Fluchtgeschichten. Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus zieht Herr Sallmann zunächst zu seinen Schwiegereltern, bei denen Frau und Kind leben. Er muß die schmerzliche Erfahrung machen, daß er fur die mittlerweile vierjährige Tochter ein unerwünschter Fremder geworden ist. Sie reagiert mit offener Ablehnung und Eifersucht auf ihn und zerkratzt ihm sogar einmal das Gesicht. Erst im Laufe der Zeit, in der er sich geduldig um die Liebe der Tochter bemüht, gewöhnt sie sich allmählich an die Anwesenheit ihres Vaters. Während Herrn Sallmann noch immer die Angst im Nacken sitzt, von seiner Familie getrennt zu werden, leidet er auch unter der beengten Wohnsituation. Da überall Flüchtlinge untergebracht sind, dauert es lange, bis er eine eigene Wohnung findet und sich für die Familie etwas Erleichterung einstellt. Auf dem Wohnungsamt, wo die Stelle des Amtsdirektors durch einen ehemaligen Verfolgten des NS neu besetzt ist, kollidiert Herr Sallmann zum ersten Mal mit den neuen politischen Verhältnissen im Nachkriegsdeutschland. In der Vorstellung, als gedienter Soldat für sein Leiden in Krieg und Gefangenschaft Ehrerbietung erfahren zu dürfen, erlebt er hier Ablehnung und Provokation. Der Amtsdirektor, der seinen Haß auf ehemalige Nationalsozialisten äußert, hält Herrn Sallmann vor, bei der Wehrmacht sicherlich „gute und schöne Tage verlebt 44 zu haben. Darüber gerät Herr Sallmann in große Empörung und weist den Amtsdirektor auf die Feldzüge hin, die er mitgemacht habe, und daß er „mit drei Jahren Kriegsgefangenschaft bestraft worden 44 sei. Sichtlich erregt berichtet er von den Gedanken, die ihm damals durch den Kopf gingen: „ich war jetzt am Überlegen, hauste ihm was drüber ich war so dermaßen in Rage, oder was machst du, jetzt wüßt ich die Polizei hatte er im Amtsgebäude, ich wäre dann sowieso unten durch gewesen, dann hab ich ihm aber dann sofort gesagt sag das eine will ich Ihnen sagen, wenn (1) sich hier mal das Blatt drehen sollte ne, was man ja nich wissen kann, sag dann werde ich dafür sorgen daß Sie die guten und schönen läge auch verleben die ich verlebt habe" (216/28) Herr Sallmann ist so erbost über das Verhalten des Amtsdirektors, daß es ihm unmöglich ist, sich in die Perspektive des ehemals Verfolgten hineinzuversetzen. Er fühlt sich in seinem eigenen Leidensweg, der für ihn in einem Trauma endete, persönlich angegriffen. Durch die Gefangenschaft ist seine Identifikation mit dem Soldatsein für Deutschland nur zementiert worden, und so bleibt er auch der Logik des Nationalsozialismus verhaftet, indem er — zumindest in der Phantasie — auf den Tkg eines Machtwechsels hofft, bei dem solche Leute wie der Amtsdirektor das „Sagen 44 verlieren würden und damit einhergehend Leute wie er wieder die ihnen zukommenden Ehrungen erhielten. 138

Beruflich gelingt es Herrn Sallmann, an seine Tätigkeit bei der Wehrmacht anzuknüpfen, als er eine Stelle in der Kfz-Branche findet. Die Soldatenzeit bleibt für ihn der wichtigste Abschnitt seines Lebens. Bis heute hat er außer seinen Fotoalben alle Dokumente aufgehoben. Sein Kochgeschirr, das er sich ins Badezimmer gestellt hat, mahnt ihn noch fast täglich an den Hunger in der Gefangenschaft. Noch immer besucht er die Regimentstreffen, trifft dort alte Kameraden und steht auch noch in Kontakt mit einigen ehemaligen Mitgefangenen. Besonders interessiert er sich für die Geschichte seiner Division wie auch für die deutsche Kriegspolitik allgemein. Seiner Meinung nach hätten die anderen Länder erkennen müssen, daß Hitlers Aufrüstung auf einen Weltkrieg zusteuerte. 3.1.11 Reparaturstrategie: Die Verdichtung des Nationalsozialismus auf die entpolitisierten Kriegsjahre Fritz Sallmanns Auseinandersetzung mit seiner Vergangenheit im „Dritten Reich" konzentriert sich auf den Zweiten Weltkrieg; andere Dimensionen, vor allem der nationalsozialistische Völkermord und die Zeit vor seinem Soldatsein bleiben dabei ausgeklammert. Die Beschränkung auf den Krieg bedeutet eine Verengung der Perspektive, mit der er sein Leben während des „Dritten Reichs" betrachtet. Es ist die Perspektive eines Soldaten, der für eine Sache gekämpft und gelitten hat, die heute keinen Fortbestand mehr hat, der sein Leid im Nachkriegsdeutschland und später in der Bundesrepublik nicht genügend beachtet findet. Als Angehöriger der kämpfenden Truppe, der ab 1936 „mit Adolf Hitler nichts mehr zu tun gehabt" zu haben meint, weist er eine Verstrickung in die NS-Verbrechen zurück; er meint, sich selber freisprechen zu können: „wir warn kämpfende Truppe, wir habm nich ein Ding mitgemacht wie das hier heutzutage ja immer gesacht wird, was alles nich äh Warschauer Gettoaufstand und so weiter, wir habm mit Juden absolut nichts zu tun gehabt, gar nichts, das is kann ich ganz offen und ehrlich sagen, un ich hab das alles auch erst später äh äh mitgekriegt äh erfahren ne, äh da kann ich mich jedenfalls voll ganz freisprechen" (169/5) Überzeugt von seiner Unschuld und Integrität als Soldat, hat Herr Sallmann auch heute kein schlechtes Gewissen. Als Soldat habe er sich nichts zuschulden kommen lassen, und er beteuert, während des ganzen Krieges nie auf jemanden geschossen zu haben. Die einzige Ausnahme, fugt er hinzu, sei vielleicht die von Panik geleitete Kesselschlacht bei Shlobin gewesen, doch wenn er in dieser Situation versehentlich jemanden getroffen haben sollte, so würde es ihm heute noch leid tun. Die Frage nach der kollektiven Haftung der Deutschen stellt sich für ihn wegen seiner in der Gefangenschaft geleisteten „ehrlichen" Wiedergutmachung nicht weiter. Obwohl er meint, ein gutes Gewissen hinsichtlich seiner eigenen Handlungen haben zu können, kann er kaum Empathie für die Menschen aufbringen, 139

Dieses Mißtrauensgefühl und die traumatischen Erfahrungen <strong>der</strong> Gefangenschan<br />

gehen Herrn Sallmann nie ganz verloren. Jahrelang wird er in <strong>der</strong><br />

Nacht von Träumen heimgesucht, in denen er s<strong>ich</strong> wie<strong>der</strong> in Gefangenschaft<br />

befindet, <strong>zu</strong> fliehen versucht und die Angst vor Verfolgung durchsteht. Bis<br />

heute träumt er — wenn auch nur noch selten — von diesen Fluchtgesch<strong>ich</strong>ten.<br />

Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus zieht Herr Sallmann <strong>zu</strong>nächst<br />

<strong>zu</strong> seinen Schwiegereltern, bei denen Frau und Kind leben. Er muß die<br />

schmerzl<strong>ich</strong>e Erfahrung machen, daß er fur die <strong>mit</strong>tlerweile vierjährige Tochter<br />

ein unerwünschter Frem<strong>der</strong> geworden ist. Sie reagiert <strong>mit</strong> offener Ablehnung<br />

und Eifersucht auf ihn und zerkratzt ihm sogar einmal das Ges<strong>ich</strong>t. Erst<br />

im Laufe <strong>der</strong> Zeit, in <strong>der</strong> er s<strong>ich</strong> geduldig um die Liebe <strong>der</strong> Tochter bemüht,<br />

gewöhnt sie s<strong>ich</strong> allmähl<strong>ich</strong> an die Anwesenheit ihres Vaters.<br />

Während Herrn Sallmann noch immer die Angst im Nacken sitzt, von seiner<br />

Familie getrennt <strong>zu</strong> werden, leidet er auch unter <strong>der</strong> beengten Wohnsituation.<br />

Da überall Flüchtlinge untergebracht sind, dauert es lange, bis er eine eigene<br />

Wohnung findet und s<strong>ich</strong> für die Familie etwas Erle<strong>ich</strong>terung einstellt.<br />

Auf dem Wohnungsamt, wo die Stelle des Amtsdirektors durch einen ehemaligen<br />

Verfolgten des NS neu besetzt ist, kollidiert Herr Sallmann <strong>zu</strong>m ersten<br />

Mal <strong>mit</strong> den neuen politischen Verhältnissen im Nachkriegsdeutschland.<br />

In <strong>der</strong> Vorstellung, als gedienter Soldat für sein Leiden in <strong>Krieg</strong> und Gefangenschaft<br />

Ehrerbietung erfahren <strong>zu</strong> dürfen, erlebt er hier Ablehnung und Provokation.<br />

Der Amtsdirektor, <strong>der</strong> seinen Haß auf ehemalige Nationalsozialisten<br />

äußert, hält Herrn Sallmann vor, bei <strong>der</strong> Wehrmacht s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> „gute und<br />

schöne Tage verlebt 44<br />

<strong>zu</strong> haben. Darüber gerät Herr Sallmann in große Empörung<br />

und weist den Amtsdirektor auf die Feldzüge hin, die er <strong>mit</strong>gemacht<br />

habe, und daß er „<strong>mit</strong> drei Jahren <strong>Krieg</strong>sgefangenschaft bestraft worden 44<br />

sei.<br />

S<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong> erregt ber<strong>ich</strong>tet er von den Gedanken, die ihm damals durch den<br />

Kopf gingen:<br />

„<strong>ich</strong> war jetzt am Überlegen, hauste ihm was drüber <strong>ich</strong> war so <strong>der</strong>maßen in Rage, o<strong>der</strong> was<br />

machst du, jetzt wüßt <strong>ich</strong> die Polizei <strong>hatte</strong> er im Amtsgebäude, <strong>ich</strong> wäre dann sowieso unten durch<br />

gewesen, dann hab <strong>ich</strong> ihm aber dann sofort gesagt sag das eine will <strong>ich</strong> Ihnen sagen, wenn (1) s<strong>ich</strong><br />

hier mal das Blatt drehen sollte ne, was man ja n<strong>ich</strong> wissen kann, sag dann werde <strong>ich</strong> dafür sorgen<br />

daß Sie die guten und schönen läge auch verleben die <strong>ich</strong> verlebt habe" (216/28)<br />

Herr Sallmann ist so erbost über das Verhalten des Amtsdirektors, daß es ihm<br />

unmögl<strong>ich</strong> ist, s<strong>ich</strong> in die Perspektive des ehemals Verfolgten hinein<strong>zu</strong>versetzen.<br />

Er fühlt s<strong>ich</strong> in seinem eigenen Leidensweg, <strong>der</strong> für ihn in einem Trauma<br />

endete, persönl<strong>ich</strong> angegriffen. Durch die Gefangenschaft ist seine Identifikation<br />

<strong>mit</strong> dem Soldatsein für Deutschland nur zementiert worden, und so bleibt<br />

er auch <strong>der</strong> Logik des Nationalsozialismus verhaftet, indem er — <strong>zu</strong>mindest in<br />

<strong>der</strong> Phantasie — auf den Tkg eines Machtwechsels hofft, bei dem solche Leute<br />

wie <strong>der</strong> Amtsdirektor das „Sagen 44<br />

verlieren würden und da<strong>mit</strong> einhergehend<br />

Leute wie er wie<strong>der</strong> die ihnen <strong>zu</strong>kommenden Ehrungen erhielten.<br />

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