"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc
"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc
"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Obwohl Herr Sallmann s<strong>ich</strong> <strong>mit</strong> dieser harten Knochenarbeit n<strong>ich</strong>t identifizieren<br />
kann, gilt er im Lager als pfl<strong>ich</strong>tbewußter Arbeiter. <strong>Als</strong> er s<strong>ich</strong> einmal<br />
den Fuß verletzt, bekommt er <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Ärztin Schwierigkeiten, die glaubt, die<br />
Deutschen führten ihre Arbeitsunfähigkeit abs<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong> herbei. Sie verschreibt<br />
ihm daher ledigl<strong>ich</strong> Kompressen, und er muß trotz stärker werden<strong>der</strong> Schwellung<br />
weiterarbeiten. Erlöst, d.h. krankgeschrieben wird er bei einer Routineuntersuchung<br />
durch eine Kommission sowjetischer Arbeitsoffiziere, die die<br />
Arbeitsfähigkeit <strong>der</strong> Gefangenen feststellt, um sie gegebenenfalls einer an<strong>der</strong>en<br />
Brigade o<strong>der</strong> dem Krankenrevier <strong>zu</strong><strong>zu</strong>teilen:<br />
„nun stand <strong>ich</strong> davor, jetzt fragt die Ärztin den Brigadier was <strong>ich</strong> fürn Arbeiter wäre, da sachte<br />
<strong>der</strong> und das war auch wohl <strong>mit</strong> Recht ahm <strong>ich</strong> kann wohl sagen daß wir Wie<strong>der</strong>gutmachung im<br />
echten Sinne da gemacht habm, da sacht <strong>der</strong> das is mein bester Arbeiter" (175 /1)<br />
Hier zeigt s<strong>ich</strong> wie<strong>der</strong>um, daß Herr Sallmann die Gefangenschaft als persönl<strong>ich</strong>en<br />
Beitrag <strong>zu</strong> einer Wie<strong>der</strong>gutmachung ansieht. Auch wenn er die sowjetischen<br />
Funktionäre <strong>mit</strong> gewisser Verachtung betrachtet und das kommunistische<br />
System, das er in <strong>der</strong> Gefangenschaft unter Extrembedingungen kennenlernt,<br />
ablehnt, gelingt es ihm, einen Sinn in seiner Gefangenschaft <strong>zu</strong><br />
finden. Zwar verliert er oft den Willen <strong>zu</strong>m Durchhalten und den Glauben an<br />
eine Heimkehr, doch kann er heute die Tatsache, daß er die Arbeit und die harten<br />
Bedingungen ertragen hat, als eine Art Wie<strong>der</strong>gutmachung betrachten.<br />
Sein Leiden erscheint ihm angemessen, das Leiden, welches das deutsche<br />
Volk über an<strong>der</strong>e gebracht hat, auf<strong>zu</strong>wiegen. So fühlt er s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t gezwungen,<br />
s<strong>ich</strong> aktiv <strong>mit</strong> den NS-Verbrechen auseinan<strong>der</strong><strong>zu</strong>setzen.<br />
Die am weitesten verbreitete Krankheit in den <strong>Krieg</strong>sgefangenenlagern<br />
<strong>der</strong> Sowjetunion war die Dystrophie, eine Folge <strong>der</strong> Mängelernährung, die<br />
durch völlige Auszehrung, aufgedunsene Leiber und Apathie <strong>der</strong> Kranken<br />
gekennze<strong>ich</strong>net ist. Sie war die häufigste Todesursache <strong>der</strong> Gefangenen, weshalb<br />
<strong>der</strong> sowjetische Staat in regelmäßigen Abständen die schon oben erwähnten<br />
Untersuchungen durchfuhren ließ. Die Gefangenen wußten, daß Dystrophiker<br />
oft frühzeitig in die Heimat entlassen wurden. So <strong>kam</strong> es häufig vor,<br />
daß Gefangene versuchten, ihre Heimkehr über das Krankenrevier durch gezieltes<br />
Hungern o<strong>der</strong> übermäßige Flüssigkeitsaufnahme <strong>zu</strong> erre<strong>ich</strong>en. In vielen<br />
Fällen starben sie daran o<strong>der</strong> wurden wegen „Sabotage am eigenen Körper<br />
44 <strong>zu</strong> <strong>mehr</strong>eren Jahren Zwangsarbeit verurteilt (vgl. Fleischhacker 1965:<br />
407 ff).<br />
Herr Sallmann erzählt, selbst oft wegen „Wasser 44<br />
(Dystrophie) im Krankenrevier<br />
gelegen <strong>zu</strong> haben. Nach seinem Ber<strong>ich</strong>t ist das willentl<strong>ich</strong>e Herbeifuhren<br />
von Dystrophie Ausdruck von Apathie und eher <strong>mit</strong> einer Lebensmüdigkeit<br />
als <strong>mit</strong> dem Fernziel <strong>der</strong> Heimkehr verbunden:<br />
„das Wasser das ging natürl<strong>ich</strong> dann immer höher ne, und da sind die meisten dran gestorben,<br />
und viele habm noch nachgeholfen, es wurde da auch da bin <strong>ich</strong> auch bei gewesen, beim sogenannten<br />
Salzkommando da wurde in η För<strong>der</strong>band Salz in Waggons geladen ... und dann brachten<br />
136