"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc

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Frage. Er kann sich nichts anderes vorstellen, als weiterhin seiner soldatischen Karriere, die seine berufliche Karriere geworden ist, nachzugehen. Heute betont er, niemals daran gedacht zu haben, daß er vielleicht nie mehr aus dem Krieg heimkommen würde. Daher kann er auch die Todesangst seiner Kameraden nicht akzeptieren. Soldaten, die aus diesem Grund versuchen, sich dem Kriegsdienst zu entziehen, bezeichnet er als Feiglinge. Er meint auch, es sei unmoralisch gewesen, die Kameraden an der Front im Stich zu lassen. Für ihn galten und gelten die soldatischen Ideale der Pflichterfüllung und der Treue zum Vaterland. Das Kriegsgeschehen an der Front bezeichnet er zwar als „Schlamassel 44 und erinnert sich auch, daß es für ihn nach jedem Urlaub eine Überwindung gewesen sei, dahin zurückzukehren. Doch für ihn ist es selbstverständlich, seine Pflicht zu tun, und zurück an der Front fühlt er sich in der Routine seines Berufsalltags wieder geborgen. Nach dem halben Jahr in Berlin fahrt Herr Sallmann im Sommer 1942 zurück zu seiner Division, die immer noch in Rshew die Stellung verteidigt. Er wird zum Oberschirrmeister befördert und bekommt eine neue Stelle. Zunächst wird er von seinem Hauptmann nicht akzeptiert, aber bald gelingt es ihm, durch besondere Leistungsbeweise dessen Vertrauen zu gewinnen: „da merkt er ja auch daß ich auch nicht von den ganz η Duckmäuser war ... (da) werden wir auf einmal wieder familiär" (65 /17) Im Frühjahr 1943 erhält die Division den Absetzbefehl. Mit vielen Stellungswechseln muß sie sich bis zum Sommer in den sogenannten Orelbogen zurückziehen. Herr Sallmann erzählt von einem „ganz großen Kampf 4 , der noch einmal stattgefunden habe. Er meint, man habe „den Russen vorexerziert, daß man so Kesselschlachten macht 44 , und will damit den Eindruck erwecken, daß die sowjetischen Kriegsstrategen ohne die Lehren aus der deutschen Kriegsführung nicht so schnell so viel Gebiet hätten zurückerobern können, wie es in diesen Wochen geschieht. Bei diesem Kampf jedoch gelingt es seiner Einheit noch einmal, sich erfolgreich zu verteidigen, und Herrn Sallmanns persönliches Verdienst ist die Erbeutung mehrerer sowjetischer LKWs, wovon er heute noch gern und ausfuhrlich erzählt. Damit ist aber auch der letzte, für ihn „große 44 Kampf vorbei. Nach kurzer Zeit gewinnt die sowjetische Armee wieder die Oberhand und Herr Sallmann stellt mit resignierender Stimme und in knapper Form fest: „(Der Russe) hat seine Truppen schon wieder entsprechend gesammelt und entsprechend einjesetzt äh warn unerbittlicher Kampf äh viele Panzer hat er eingegraben daß nur noch die Geschütze da rausguckten und so weiter (1) Ende vom Lied war er hat uns auch wieder gejagt" (70 / 23) Bei diesen großen Absetzbewegungen beginnt Herr Sallmann, den Glauben an einen deutschen Endsieg zu verlieren. Während eines Heimaturlaubs äußert er gegenüber einem Nachbarn seine Einschätzung des Kriegsausgangs: 124

ich will Ihnen das offen und ehrlich sagen den könn wir nicht mehr gewinn da muß ein Wunder geschehn da sacht er ja wieso denn nich, ich sage das is ganz einfach der Russe übernimmt jetzt unsere Taktik und der nimmt uns ein Stück nach dem annern wieder weg" (67/28) Insgeheim hofft Herr Sallmann noch auf dieses Wunder, eine deutsche Niederlage kann er sich nicht vorstellen. So erwidert er z.B. einer Russin, die ihm den baldigen Einmarsch der Roten Armee in Berlin ankündigt: „das gibts nicht das habt ihr euch gedacht ich sag das kann einfach nicht sein, und kann einfach nicht sein" (91/2) 3.1.7 Das Drama der Vernichtung der Division Bis zum Ende des Jahres 1943 wird die Division bis nach Shlobin auf der Westseite des Dnepr in Weißrußland zurückgezogen, um den Frontvorsprung in der Vorbereitung der geplanten Frühjahrsoffensive zu begradigen. „Hier", sagt Herr Sallmann, „spielt sich nun unser Drama ab". Auf der Ostseite des Dnepr wird ein Brückenkopf gebildet, der den Winter über gehalten wird. Erst im frühen Sommer nehmen die Kampfhandlungen an Bedrohlichkeit zu, und im Juni 1944 wird die 6. Division zwischen Dnepr und der westlich davon verlaufenden Beresina eingekesselt. Herr Sallmann erzählt darüber: „und eines Tages dann wars soweit daß wir am Horizont sahn wie die Flugzeuge da am Himmel turnten und äh die Geschütze hörte man und so weiter und jenau dasselbe war dann auf der linken Seite, und jetzt wußten wir der Russe ist schon durchgebrochen an beiden Enden ne ... und jetzt (2) kam (2) unser trauriges Ende kann man sagen" (72/8) Das „traurige Ende", die Vernichtung der gesamten Division, kann Herr Sallmann jedoch nicht selbst erzählen. Er greift auf den Bericht eines Stabsleutnants zurück und liest aus der Zeitung der ehemaligen Angehörigen des Regiments vor. In bildreicher Sprache und pathetischem Stil schildert dieser Aufsatz das Ende der Division. Er stellt die These des Verrats aus den eigenen Reihen auf, der zusammen mit der zahlenmäßigen Überlegenheit des Feindes die völlige Vernichtung des Heeres möglich gemacht habe. Der Bericht endet mit dem Resümee, der Feind habe zwar tapfer, aber nicht besser gekämpft, und kein Regiment sei besser als das eigene gewesen. Während des Vorlesens wird Herr Sallmann mehrmals von seinen Gefühlen überwältigt und bricht in Weinen aus. Für ihn ist eine Welt zusammengebrochen, und er empfindet die Vernichtung der Division als eigentliche Kapitulation — ein knappes Jahr vor Kriegsende. Erst beim zweiten Interview, einige Tage später, gelingt es ihm, in eigenen Worten und über sein persönliches Erleben dieses „Dramas" zu sprechen. Er berichtet, daß er an dem Tag, als die Vernichtungsschlacht beginnt, den mit dem Absetzungsbefehl verbundenen Auftrag bekommt, die Fahrzeuge zu 125

„<strong>ich</strong> will Ihnen das offen und ehrl<strong>ich</strong> sagen den könn wir n<strong>ich</strong>t <strong>mehr</strong> gewinn da muß ein Wun<strong>der</strong><br />

geschehn da sacht er ja wieso denn n<strong>ich</strong>, <strong>ich</strong> sage das is ganz einfach <strong>der</strong> Russe übernimmt jetzt<br />

unsere Taktik und <strong>der</strong> nimmt uns ein Stück nach dem annern wie<strong>der</strong> weg" (67/28)<br />

Insgeheim hofft Herr Sallmann noch auf dieses Wun<strong>der</strong>, eine deutsche Nie<strong>der</strong>lage<br />

kann er s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t vorstellen. So erwi<strong>der</strong>t er z.B. einer Russin, die ihm<br />

den baldigen Einmarsch <strong>der</strong> Roten Armee in Berlin ankündigt:<br />

„das gibts n<strong>ich</strong>t das habt ihr euch gedacht <strong>ich</strong> sag das kann einfach n<strong>ich</strong>t sein, und kann einfach<br />

n<strong>ich</strong>t sein" (91/2)<br />

3.1.7 Das Drama <strong>der</strong> Vern<strong>ich</strong>tung <strong>der</strong> Division<br />

Bis <strong>zu</strong>m Ende des Jahres 1943 wird die Division bis nach Shlobin auf <strong>der</strong><br />

Westseite des Dnepr in Weißrußland <strong>zu</strong>rückgezogen, um den Frontvorsprung<br />

in <strong>der</strong> Vorbereitung <strong>der</strong> geplanten Frühjahrsoffensive <strong>zu</strong> begradigen. „Hier",<br />

sagt Herr Sallmann, „spielt s<strong>ich</strong> nun unser Drama ab".<br />

Auf <strong>der</strong> Ostseite des Dnepr wird ein Brückenkopf gebildet, <strong>der</strong> den Winter<br />

über gehalten wird. Erst im frühen Sommer nehmen die Kampfhandlungen an<br />

Bedrohl<strong>ich</strong>keit <strong>zu</strong>, und im Juni 1944 wird die 6. Division zwischen Dnepr und<br />

<strong>der</strong> westl<strong>ich</strong> davon verlaufenden Beresina eingekesselt. Herr Sallmann erzählt<br />

darüber:<br />

„und eines Tages dann wars soweit daß wir am Horizont sahn wie die Flugzeuge da am Himmel<br />

turnten und äh die Geschütze hörte man und so weiter und jenau dasselbe war dann auf <strong>der</strong> linken<br />

Seite, und jetzt wußten wir <strong>der</strong> Russe ist schon durchgebrochen an beiden Enden ne ... und jetzt<br />

(2) <strong>kam</strong> (2) unser trauriges Ende kann man sagen" (72/8)<br />

Das „traurige Ende", die Vern<strong>ich</strong>tung <strong>der</strong> gesamten Division, kann Herr<br />

Sallmann jedoch n<strong>ich</strong>t selbst erzählen. Er greift auf den Ber<strong>ich</strong>t eines Stabsleutnants<br />

<strong>zu</strong>rück und liest aus <strong>der</strong> Zeitung <strong>der</strong> ehemaligen Angehörigen des<br />

Regiments vor.<br />

In bildre<strong>ich</strong>er Sprache und pathetischem Stil schil<strong>der</strong>t dieser Aufsatz das<br />

Ende <strong>der</strong> Division. Er stellt die These des Verrats aus den eigenen Reihen auf,<br />

<strong>der</strong> <strong>zu</strong>sammen <strong>mit</strong> <strong>der</strong> zahlenmäßigen Überlegenheit des Feindes die völlige<br />

Vern<strong>ich</strong>tung des Heeres mögl<strong>ich</strong> gemacht habe. Der Ber<strong>ich</strong>t endet <strong>mit</strong> dem<br />

Resümee, <strong>der</strong> Feind habe zwar tapfer, aber n<strong>ich</strong>t besser gekämpft, und kein<br />

Regiment sei besser als das eigene gewesen.<br />

Während des Vorlesens wird Herr Sallmann <strong>mehr</strong>mals von seinen Gefühlen<br />

überwältigt und br<strong>ich</strong>t in Weinen aus. Für ihn ist eine Welt <strong>zu</strong>sammengebrochen,<br />

und er empfindet die Vern<strong>ich</strong>tung <strong>der</strong> Division als eigentl<strong>ich</strong>e Kapitulation<br />

— ein knappes Jahr vor <strong>Krieg</strong>sende.<br />

Erst beim zweiten Interview, einige Tage später, gelingt es ihm, in eigenen<br />

Worten und über sein persönl<strong>ich</strong>es Erleben dieses „Dramas" <strong>zu</strong> sprechen.<br />

Er ber<strong>ich</strong>tet, daß er an dem Tag, als die Vern<strong>ich</strong>tungsschlacht beginnt, den<br />

<strong>mit</strong> dem Abset<strong>zu</strong>ngsbefehl verbundenen Auftrag bekommt, die Fahrzeuge <strong>zu</strong><br />

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