"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc

"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc "Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc

webdoc.sub.gwdg.de
von webdoc.sub.gwdg.de Mehr von diesem Publisher
24.11.2013 Aufrufe

Der vom Offizier vorhergesagte Angriff erfolgt am nächsten Tag: „am nächsten Morgen kamen die Russen tatsächlich mit Hurra auf uns zu und bei der Gelegenheit da mußten wir uns eben entsprechend verteidigen die sind auch nicht bis ins Dorf reingekommen (2) und am nächsten Tag da gab er auch grünes Licht dann zog ich mit meiner ganzen traurigen Kolonne dann durch den Wald" (45 /10) Offensichtlich gibt es auf deutscher Seite größere Verluste, wovon Herr Sallmann jedoch nur indirekt erzählt. Im Vergleich zu der Detailliertheit, mit der er über für ihn erfolgreiche Erlebnisse spricht, nimmt sich dieser Teil des Berichts knapp aus. Vermutlich empfindet er dies niederschlagende Erlebnis noch heute als so belastend, daß er sich vor wieder aufbrechenden Gefühlen, die mit seinem Mißerfolg und mit dem Verlust seiner Kameraden verbunden sind, schützen will. Während an dieser Stelle deutlich wird, daß Herr Sallmann die Todeserlebnisse ausblendet und auch versucht, keine Gefühle aufkommen zu lassen, gelingt es ihm sonst meist, die bedrohlichen Erlebnisse gar nicht erst anklingen zu lassen. Zwar ist er mit dem alltäglichen Sterben von Kameraden sicherlich nicht in dem Ausmaß konfrontiert wie die Infanteristen, die an der vordersten Frontlinie kämpfen, doch auch er ist an Kampfhandlungen beteiligt. Er konzentriert sich jedoch in seinen Erzählungen über den Krieg völlig auf den technischen Bereich seiner Tätigkeit. Die Faszination für technische Details und die genauen Beschreibungen der die Handlung bedingenden Umgebung ersetzen weitgehend eine Beschäftigung mit Gedanken und Empfindungen, die die soziale Realität des Krieges und die Allgegenwärtigkeit des Todes betreffen. Noch bevor Herr Sallmann mit seiner „traurigen Kolonne 44 wieder an der Front anlangt, wird es Abend, und er schickt zwei seiner Leute zum Auskundschaften von Schlafmöglichkeiten in den vor ihnen liegenden Ort: „nach ner Zeit lang kamen mir die zwei wieder entjegen und sachten (2) uns laust der Affe, in der Ortschaft sind lauter russische Soldaten (1) ja und, ja und die tun uns nix (1) ((Interviewer lacht)) dja ich sage das is ja schön (1) ((Interviewer lacht)) wir sind dann bis ins Dorf reingefahren, und ich hab dann da auch da reingeguckt in die Häuser ein Gtgröhle und ein Geschnatter da ne, und ich kam da rein ne und die freuten sich und ich zeigte dann auf Pistole und Gewehr und so weiter / weg weg weit weg ((imitiert)) ne habm wir da praktisch jetzt mit den Russen die Nacht verbracht" (45/38) Das friedliche Verhalten der sowjetischen Soldaten wird hier von Herrn Sallmann wieder zum Anlaß genommen, sie als ungefährlich und als nicht ernstzunehmend darzustellen. Ihr einladendes Angebot zur Verbrüderung erzeugt bei ihm nicht das spontane Gefühl der Gemeinsamkeit, wie es mit der feindlichen Besatzung des abgeschossenen Panzers in Frankreich geschah. Vielmehr macht er sich über die sowjetischen Soldaten im Dorf lustig, worauf auch der Interviewer reagiert. Der Vormarsch der 9. Armee geht weiter. Vier Monate nach dem Überfall auf die Sowjetunion, im Oktober 1941, ist Kalinin erobert — stolz meint Herr Sallmann: „unsere weiteste Stelle während des Krieges 44 . Doch schon bald 122

kann die Stellung nicht mehr gehalten werden. Die Winterausrüstung ist mangelhaft, und Anfang Dezember beginnt die sowjetische Winteroffensive, die die deutschen Truppen zurückdrängt. Mit verhaltener Enttäuschung erzählt Herr Sallmann über diese Rückwärtsbewegung, und es fällt ihm wieder schwer, über seine Empfindungen angesichts dieser nun beginnenden und andauernden Niederlagen zu sprechen: „dann blieb aber alles stecken der ganze Nachschub, der Winter brach rein mit 40, 45 Grad Kälte, wir (1) habm uns dann so gut es ging wieder zurückgezogen, bis nach Rshew, das warn immerhin so von Kalinin aus warn das so 200 Kilometer ne ... da habm wir Rshew ungefähr eineinhalb Jahr verteidigt, habm dann da den ganzen Winter noch mitjemacht, und was man da fur Eindrücke hatte das kann man auch schlecht beschreiben das war ja so daß die Straßen hier beispielsweise die warn ja so verschneit daß da nun überhaupt keiner mehr durch kam ... und dann gingen da schon die ersten na was soll man sagen Strapazen los insofern daß man kaum was zu essen hatte der Nachschub der rollte gar nicht mehr, die Russen die da nun noch in Rshew lebten die hatten kaum noch zu reißen und zu beißen (2) die Bespannten die konnten ihre Pferde nicht futtern" (51 /15) Größere Sicherheit in der Erzählung gewinnt Herr Sallmann wieder, als er auf seinen eigenen Tätigkeitsbereich zu sprechen kommt und die durch die Rückzugsbedingungen verursachten Schwierigkeiten technisch betrachten kann: „uns selbst ging es insofern dreckig daß wir keine Akkusäure hatten* 4 . Die Materialknappheit bereitet in der Aufrechterhaltung des technischen Betriebes große Probleme. Herr Sallmann, dem es auf das Funktionieren und die Aufgabenerfüllung in seinem Tätigkeitsbereich ankommt, meint daher heute: „man mußte mal über die Vorschriften weggehen und sich da selbst was organisieren auch wenn das nich immer rechtmäßig war" (52/29) Während es mit der Kriegsfuhrung abwärts geht, steigt Herr Sallmann in der militärischen Institution weiter auf. Anfang 1942 fährt er von Rshew aus zu einem sechsmonatigen Schirrmeisterlehrgang nach Berlin. Er muß zwar viel lernen, bekommt aber sehr gute Noten. Er ist auch stolz auf das neue Abzeichen, das ihn als geprüften Schirrmeister ausweist. Von seiner Heirat in dieser Zeit erzählt er, während er den Interviewern Fbtographien von Sehenswürdigkeiten in Berlin zeigt, die er gemeinsam mit seiner Frau besucht. „((räuspert sich)) un in dieser Zeit da habm wir auch jeheiratet das is auch noch Berlin, da habm wir denn hier in dem Urlaub da kriegt ich noch η paar Tage als Hochzeitsurlaub und äh habm dann hier geheiratet ne" (60/24) Mehr ist über die Hochzeit und über seine aus der Nähe seines Heimatorts stammende Frau nicht zu erfahren. Es wird nicht ganz deutlich, was die Heirat mitten im Krieg fur ihn bedeutet. Zumindest scheint er durch die Eheschließung sein Soldatsein nicht weiter in Frage gestellt zu sehen. Ein Bekannter will ihm zwar eine Stelle in seinem Heimatort besorgen, damit er unabkömmlich gestellt wird, doch für Herrn Sallmann kommt dies überhaupt nicht in 123

kann die Stellung n<strong>ich</strong>t <strong>mehr</strong> gehalten werden. Die Winterausrüstung ist mangelhaft,<br />

und Anfang Dezember beginnt die sowjetische Winteroffensive, die<br />

die deutschen Truppen <strong>zu</strong>rückdrängt.<br />

Mit verhaltener Enttäuschung erzählt Herr Sallmann über diese Rückwärtsbewegung,<br />

und es fällt ihm wie<strong>der</strong> schwer, über seine Empfindungen anges<strong>ich</strong>ts<br />

dieser nun beginnenden und andauernden Nie<strong>der</strong>lagen <strong>zu</strong> sprechen:<br />

„dann blieb aber alles stecken <strong>der</strong> ganze Nachschub, <strong>der</strong> Winter brach rein <strong>mit</strong> 40, 45 Grad<br />

Kälte, wir (1) habm uns dann so gut es ging wie<strong>der</strong> <strong>zu</strong>rückgezogen, bis nach Rshew, das warn immerhin<br />

so von Kalinin aus warn das so 200 Kilometer ne ... da habm wir Rshew ungefähr eineinhalb<br />

Jahr verteidigt, habm dann da den ganzen Winter noch <strong>mit</strong>jemacht, und was man da fur Eindrücke<br />

<strong>hatte</strong> das kann man auch schlecht beschreiben das war ja so daß die Straßen hier beispielsweise<br />

die warn ja so verschneit daß da nun überhaupt keiner <strong>mehr</strong> durch <strong>kam</strong> ... und dann gingen<br />

da schon die ersten na was soll man sagen Strapazen los insofern daß man kaum was <strong>zu</strong> essen <strong>hatte</strong><br />

<strong>der</strong> Nachschub <strong>der</strong> rollte gar n<strong>ich</strong>t <strong>mehr</strong>, die Russen die da nun noch in Rshew lebten die <strong>hatte</strong>n<br />

kaum noch <strong>zu</strong> reißen und <strong>zu</strong> beißen (2) die Bespannten die konnten ihre Pferde n<strong>ich</strong>t futtern"<br />

(51 /15)<br />

Größere S<strong>ich</strong>erheit in <strong>der</strong> Erzählung gewinnt Herr Sallmann wie<strong>der</strong>, als er<br />

auf seinen eigenen Tätigkeitsbere<strong>ich</strong> <strong>zu</strong> sprechen kommt und die durch die<br />

Rück<strong>zu</strong>gsbedingungen verursachten Schwierigkeiten technisch betrachten<br />

kann: „uns selbst ging es insofern dreckig daß wir keine Akkusäure <strong>hatte</strong>n* 4 .<br />

Die Materialknappheit bereitet in <strong>der</strong> Aufrechterhaltung des technischen<br />

Betriebes große Probleme. Herr Sallmann, dem es auf das Funktionieren und<br />

die Aufgabenerfüllung in seinem Tätigkeitsbere<strong>ich</strong> ankommt, meint daher<br />

heute:<br />

„man mußte mal über die Vorschriften weggehen und s<strong>ich</strong> da selbst was organisieren auch wenn<br />

das n<strong>ich</strong> immer rechtmäßig war" (52/29)<br />

Während es <strong>mit</strong> <strong>der</strong> <strong>Krieg</strong>sfuhrung abwärts geht, steigt Herr Sallmann in<br />

<strong>der</strong> militärischen Institution weiter auf. Anfang 1942 fährt er von Rshew aus<br />

<strong>zu</strong> einem sechsmonatigen Schirrmeisterlehrgang nach Berlin. Er muß zwar<br />

viel lernen, bekommt aber sehr gute Noten. Er ist auch stolz auf das neue Abze<strong>ich</strong>en,<br />

das ihn als geprüften Schirrmeister ausweist.<br />

Von seiner Heirat in dieser Zeit erzählt er, während er den Interviewern Fbtographien<br />

von Sehenswürdigkeiten in Berlin zeigt, die er gemeinsam <strong>mit</strong> seiner<br />

Frau besucht.<br />

„((räuspert s<strong>ich</strong>)) un in dieser Zeit da habm wir auch jeheiratet das is auch noch Berlin, da<br />

habm wir denn hier in dem Urlaub da kriegt <strong>ich</strong> noch η paar Tage als Hochzeitsurlaub und äh<br />

habm dann hier geheiratet ne" (60/24)<br />

Mehr ist über die Hochzeit und über seine aus <strong>der</strong> Nähe seines Heimatorts<br />

stammende Frau n<strong>ich</strong>t <strong>zu</strong> erfahren. Es wird n<strong>ich</strong>t ganz deutl<strong>ich</strong>, was die Heirat<br />

<strong>mit</strong>ten im <strong>Krieg</strong> fur ihn bedeutet. Zumindest scheint er durch die Eheschließung<br />

sein Soldatsein n<strong>ich</strong>t weiter in Frage gestellt <strong>zu</strong> sehen. Ein Bekannter<br />

will ihm zwar eine Stelle in seinem Heimatort besorgen, da<strong>mit</strong> er unabkömml<strong>ich</strong><br />

gestellt wird, doch für Herrn Sallmann kommt dies überhaupt n<strong>ich</strong>t in<br />

123

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!