"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc

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zu der Frage nach der Berechtigung bzw. Nicht-Berechtigung von Verurteilungen der Kriegsverbrechen während der Nürnberger Prozesse zeigen, wie sie „reine militärische Sachen" von anderen, politischen, zu trennen und damit einen Bereich eines gewissermaßen anständigen Krieges zu bewahren sucht. Auch das Festhalten an einem Soldatenkodex, der sie an das gemeinsame Respektieren von Spielregeln im Kampf „Mann gegen Mann" glauben und vor allem Partisanenaktionen verurteilen läßt, ist Teil dieser soldatischen Perspektive. Andererseits kennt Frau Heidt aufgrund eben dieser soldatischen Perspektive keine Ressentiments gegenüber Kriegsgefangenen und Soldaten anderer Nationen. Vergegenwärtigt man sich ihre Orientierung an soldatischen Werten, wird auch das Verlangen der 18jährigen nach einem eigenen „Beitrag" verständlich. Als Krankenschwester konnte sie an der männlichen Soldatenwelt teilhaben. Während Anneliese Heidt heute kaum Probleme hat, über ihre Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg zu sprechen, ist ihr Engagement in nationalsozialistischen Jugendorganisationen für sie legitimierungsbedürftig. Sie war begeistertes JM-Mitglied und stolz auf die Auszeichnung, zur JM-Führerin ernannt zu werden. Diese positiven Erinnerungen wurden nach 1945 problematisch. Anneliese Heidt, wie die Angehörigen der HJ-Generation allgemein, mußte lernen, mit der nachträglichen Entwertung ihrer Vergangenheit zu leben. Heute versucht sie, diese mit positiven Erinnerungen verbundenen Jahre im JM zu glätten, indem sie vor allem über die „unproblematische" Zeit zwischen dem ΙΟ. und 14. Lebensjahr spricht und ihre danach weiter bestehende JM- Führerschaft nicht weiter thematisiert. Frau Heidt ist zudem bemüht, den JM als Kinderspielerei abzutun, ihn — ebenso wie ihr Familienmilieu — als unpolitisch darzustellen. Damit entpolitisiert sie explizit ihr Sozialisationsmilieu und zugleich ihre eigene Vergangenheit. Frau Heidt meint heute rückblickend, daß die Erfahrung des Krieges sie gelehrt habe, anderen in der Not beizustehen — und zwar mit allen Konsequenzen. Der Krieg, ihr Einsatz als Krankenschwester, aber auch ihre spätere Berufspraxis hätten ihren Blick auf das existentiell „Wichtige" des Lebens gelenkt: „ich muß sagen die (6) man sollte sich öfter ruhig mal dran erinnern und äh (1) die wirklich wichtigen Dinge wichtig nehmen (1) und damals warn nur wichtige Dinge wichtig" (63 / 39) In der Konfrontation mit der existenzgefährdenden Seite des Lebens sieht Anneliese Heidt heute auch einen positiven Aspekt ihrer Kriegserfahrungen. Frau Heidt zieht als persönliches Fazit aus ihren Erfahrungen im sog. Dritten Reich, daß sie sich ! e wieder unterordnen wolle: „Fazit für mich, aus dieser Naizizeit, ist, daß ich heute, es ablehne, nur, im entferntesten, irgendwelchen Kommandos zu gehorchen (1) also, ich bestimme selber über mich, aber, ich ordne mich, keinem, unter, also schon gar nich irgendeinem totalitären Regime oder sowas, je nachdem ... das, das ÄUSSERT sich bis in, in: kleinste, Kleinigkeiten also bin ich, direkt, allergisch wenn, mir, fur mein, Leben, für meinen Alltag, Vorschriften gemacht werden sollen, ich bin aber auch, selbstverständlich, in jeder Weise bereit, fiir meinen Krempel auch meine Konsequenzen zu tragen" (23 / 32) 108

3. Die Soldaten der kämpfenden Truppe Juliane Brandstäter 3.1 Fritz Sallmann: „Da hat sich das nachher so von selbst ergeben, daß ich praktisch mit Adolf Hitler gar nichts mehr zu tun hatte" 3.1.1 Gesprächssituation und Gegenwart von Fritz Sallmann Auf unsere Zeitungsanzeige hatte sich Fritz Sallmann telefonisch gemeldet und legte bei diesem Telefongespräch Wert darauf, daß seine Frau nicht erfuhr, daß der Kontakt durch sein Engagement zustande gekommen war. Am Anfang des Interviews war er dann etwas unsicher und bedurfte unserer Ermutigung. Wir betonten, daß es uns nicht auf eine offizielle Darstellung der Geschichte ankäme, sondern auf seine persönlichen Erfahrungen. Daraufhin fing er an zu erzählen, bis ihn seine Frau zum Mittagessen rief und wir einen zweiten Gesprächstermin für die darauffolgende Woche vereinbarten. Nach erneuten vier Stunden schloß er seine Erzählung ab. Wir konnten noch eine Nachfrage stellen, die er mit dem Bericht über seine Kindheit beantwortete. Die Berichte über seine Kriegserlebnisse illustrierte Herr Sallmann immer wieder durch zahlreiche Fotografien, die er während seiner Zeit bei der Wehrmacht aufgenommen hatte. Nach dem Gespräch wirkte er befreit, aber auch erschöpft, da er das Erzählte teilweise so intensiv nacherlebte, daß er einige Male auch weinte. Er war sehr bemüht, uns die Bedeutung seiner Erfahrungen und seiner Ängste der dreijährigen Kriegsgefangenschaft nahezubringen, was uns als Interviewer sehr berührte. 3.1.2 Eine entbehrungsreiche Kindheit Herrn Sallmann fallt es heute schwer, über seine Kindheit zu sprechen. Mehrmals wird er von den Interviewern ermuntert, doch kostet ihn dieses Thema große Überwindung: „ich wills Ihnen — ich habs sonst noch niemand äh gesacht aber ich wills von meiner Kindheit auch grade noch erzählen, äh daß wir buchstäblich nichts zu essen hatten." (214/8) In seiner Erzählung über seine Kindheit klingt Verbitterung über die ärmlichen Verhältnisse an, in denen er aufwuchs. Vermutlich ist es auch ein gewisses Schamgefühl über sein Herkunftsmilieu, das es Fritz Sallmann schwer macht, über seine Kindheit zu reden. 109

<strong>zu</strong> <strong>der</strong> Frage nach <strong>der</strong> Berechtigung bzw. N<strong>ich</strong>t-Berechtigung von Verurteilungen<br />

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„reine militärische Sachen" von an<strong>der</strong>en, politischen, <strong>zu</strong> trennen und da<strong>mit</strong> einen<br />

Bere<strong>ich</strong> eines gewissermaßen anständigen <strong>Krieg</strong>es <strong>zu</strong> bewahren sucht.<br />

Auch das Festhalten an einem Soldatenkodex, <strong>der</strong> sie an das gemeinsame Respektieren<br />

von Spielregeln im Kampf „Mann gegen Mann" glauben und vor allem<br />

Partisanenaktionen verurteilen läßt, ist Teil dieser soldatischen Perspektive.<br />

An<strong>der</strong>erseits kennt Frau Heidt aufgrund eben dieser soldatischen Perspektive<br />

keine Ressentiments gegenüber <strong>Krieg</strong>sgefangenen und Soldaten an<strong>der</strong>er Nationen.<br />

Vergegenwärtigt man s<strong>ich</strong> ihre Orientierung an soldatischen Werten, wird<br />

auch das Verlangen <strong>der</strong> 18jährigen nach einem eigenen „Beitrag" verständl<strong>ich</strong>.<br />

<strong>Als</strong> Krankenschwester konnte sie an <strong>der</strong> männl<strong>ich</strong>en Soldatenwelt teilhaben.<br />

Während Anneliese Heidt heute kaum Probleme hat, über ihre Erfahrungen<br />

im Zweiten Weltkrieg <strong>zu</strong> sprechen, ist ihr Engagement in nationalsozialistischen<br />

Jugendorganisationen für sie legitimierungsbedürftig. Sie war begeistertes<br />

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werden. Diese positiven Erinnerungen wurden nach 1945 problematisch. Anneliese<br />

Heidt, wie die Angehörigen <strong>der</strong> HJ-Generation allgemein, mußte lernen,<br />

<strong>mit</strong> <strong>der</strong> nachträgl<strong>ich</strong>en Entwertung ihrer Vergangenheit <strong>zu</strong> leben. Heute<br />

versucht sie, diese <strong>mit</strong> positiven Erinnerungen verbundenen Jahre im JM <strong>zu</strong><br />

glätten, indem sie vor allem über die „unproblematische" Zeit zwischen dem<br />

ΙΟ. und 14. Lebensjahr spr<strong>ich</strong>t und ihre danach weiter bestehende JM-<br />

Führerschaft n<strong>ich</strong>t weiter thematisiert. Frau Heidt ist <strong>zu</strong>dem bemüht, den JM<br />

als Kin<strong>der</strong>spielerei ab<strong>zu</strong>tun, ihn — ebenso wie ihr Familienmilieu — als unpolitisch<br />

dar<strong>zu</strong>stellen. Da<strong>mit</strong> entpolitisiert sie explizit ihr Sozialisationsmilieu und<br />

<strong>zu</strong>gle<strong>ich</strong> ihre eigene Vergangenheit.<br />

Frau Heidt meint heute rückblickend, daß die Erfahrung des <strong>Krieg</strong>es sie gelehrt<br />

habe, an<strong>der</strong>en in <strong>der</strong> Not bei<strong>zu</strong>stehen — und zwar <strong>mit</strong> allen Konsequenzen.<br />

Der <strong>Krieg</strong>, ihr Einsatz als Krankenschwester, aber auch ihre spätere Berufspraxis<br />

hätten ihren Blick auf das existentiell „W<strong>ich</strong>tige" des Lebens gelenkt:<br />

„<strong>ich</strong> muß sagen die (6) man sollte s<strong>ich</strong> öfter ruhig mal dran erinnern und äh (1) die wirkl<strong>ich</strong> w<strong>ich</strong>tigen<br />

Dinge w<strong>ich</strong>tig nehmen (1) und damals warn nur w<strong>ich</strong>tige Dinge w<strong>ich</strong>tig" (63 / 39)<br />

In <strong>der</strong> Konfrontation <strong>mit</strong> <strong>der</strong> existenzgefährdenden Seite des Lebens sieht Anneliese<br />

Heidt heute auch einen positiven Aspekt ihrer <strong>Krieg</strong>serfahrungen.<br />

Frau Heidt zieht als persönl<strong>ich</strong>es Fazit aus ihren Erfahrungen im sog. Dritten<br />

Re<strong>ich</strong>, daß sie s<strong>ich</strong> ! e wie<strong>der</strong> unterordnen wolle:<br />

„Fazit für m<strong>ich</strong>, aus dieser Naizizeit, ist, daß <strong>ich</strong> heute, es ablehne, nur, im entferntesten, irgendwelchen<br />

Kommandos <strong>zu</strong> gehorchen (1) also, <strong>ich</strong> bestimme selber über m<strong>ich</strong>, aber, <strong>ich</strong> ordne m<strong>ich</strong>,<br />

keinem, unter, also schon gar n<strong>ich</strong> irgendeinem totalitären Regime o<strong>der</strong> sowas, je nachdem ... das,<br />

das ÄUSSERT s<strong>ich</strong> bis in, in: kleinste, Kleinigkeiten also bin <strong>ich</strong>, direkt, allergisch wenn, mir, fur<br />

mein, Leben, für meinen Alltag, Vorschriften gemacht werden sollen, <strong>ich</strong> bin aber auch, selbstverständl<strong>ich</strong>,<br />

in je<strong>der</strong> Weise bereit, fiir meinen Krempel auch meine Konsequenzen <strong>zu</strong> tragen" (23 / 32)<br />

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