"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc
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2.3.9 „Damals waren nur w<strong>ich</strong>tige Dinge w<strong>ich</strong>tig"<br />
Frau Heidt gehört jener Generation an, die ihre Kindheit und einen Großteil<br />
ihrer Adoleszenz während <strong>der</strong> Jahre des Nationalsozialismus und des Zweiten<br />
Weltkrieges durchlebte. 1927 als Tochter eines Offiziers geboren, war Anneliese<br />
Heidt gerade zwölf Jahre alt, als <strong>der</strong> <strong>Krieg</strong> begann. Bis <strong>zu</strong> diesem Zeitpunkt<br />
führte sie das behütete, wenn auch durch den frühen Tod <strong>der</strong> Mutter beiastete<br />
Leben einer Tochter aus bürgerl<strong>ich</strong>em Hause, in dem die Heimabende des<br />
JM im Kreise ihrer Freundinnen eine willkommene Abwechselung darstellten.<br />
Auch <strong>der</strong> <strong>Krieg</strong>sbeginn bedeutete für Anneliese Heidt keinen Einbruch in ihren<br />
Alltag, waren doch in ihrer Heimatstadt <strong>zu</strong>nächst kaum Auswirkungen spürbar.<br />
Ein Bombenangriff in un<strong>mit</strong>telbarer Nähe ihres Elternhauses, die Konfrontation<br />
<strong>mit</strong> dem drohenden Tod wurde für sie dann <strong>zu</strong>m traumatisierenden Erlebnis.<br />
Ohnmächtig und wehrlos den Bombenangriffen ausgeliefert, durchlebte sie<br />
Stunden voller Todesangst im Luftschutzkeller.<br />
Gle<strong>ich</strong>zeitig durchlief Anneliese Heidt Stationen <strong>der</strong> nationalsozialistischen<br />
Jugendorganisationen: Mit zehn Jahren wurde sie JM-Mitglied, sie nahm an<br />
den <strong>zu</strong>m Schutz <strong>der</strong> Großstadtjugend, aber auch <strong>zu</strong>r Durchset<strong>zu</strong>ng <strong>der</strong> NS-Sozialisation<br />
ersonnenen Kin<strong>der</strong>landverschickungen <strong>zu</strong>nächst als einfache Teilnehmerin,<br />
dann als begleitende JM-Führerin teil. Es folgten ein Schulungslager<br />
und schließl<strong>ich</strong> <strong>der</strong> Re<strong>ich</strong>sarbeitsdienst. Anges<strong>ich</strong>ts des drohenden Ein<strong>zu</strong>gs <strong>zu</strong>r<br />
Flak meldete sie s<strong>ich</strong> dann kurz vor <strong>Krieg</strong>sende freiwillig als Krankenschwester.<br />
Von dieser neuen Aufgabe psychisch und physisch bis an die Grenze ihrer<br />
Leistungsfähigkeit gefor<strong>der</strong>t, konnte sie nun ihren soldatischen „Beitrag" leisten.<br />
Die lähmenden Ängste vor den Bombenangriffen traten hinter den Anfor<strong>der</strong>ungen<br />
ihrer Tätigkeit <strong>zu</strong>rück, sie konnte <strong>der</strong> Bedrohung nun handelnd begegnen.<br />
Wie blickt diese Frau, <strong>der</strong>en Erinnerungen an ihre Jugend unauflösbar <strong>mit</strong><br />
„Drittem Re<strong>ich</strong>" und <strong>Krieg</strong> verwoben sind, auf ihre Lebensgesch<strong>ich</strong>te <strong>zu</strong>rück?<br />
Auf ein wesentl<strong>ich</strong>es Darstellungsmoment <strong>der</strong> Lebensgesch<strong>ich</strong>te von Frau<br />
Heidt ist schon hingewiesen worden: die Trennung <strong>der</strong> Themen „Nationalsozialismus<br />
4 * und „<strong>Krieg</strong>". Daran schließt s<strong>ich</strong> die Frage nach <strong>der</strong> biographischen<br />
Genese eines solchen Nebeneinan<strong>der</strong>s zweier Themen an, die historisch auf das<br />
engste <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong> verknüpft sind.<br />
Anneliese Heidt wurde in das soldatisch geprägte Milieu eines Berufsoffiziers<br />
hineingeboren, in dem Pfl<strong>ich</strong>terfüllung und Staatsloyalität <strong>zu</strong> den Grundwerten<br />
zählten. Der selbstverständl<strong>ich</strong>e Umgang <strong>mit</strong> militärischen Fragen und<br />
Themen gehörte seit frühester Jugend <strong>zu</strong>m Sinnhorizont ihrer Erfahrung. In<br />
diesem Milieu sozialisiert, übernahm sie die berufsmäßige Haltung ihres Vaters<br />
dem <strong>Krieg</strong> gegenüber: Frau Heidt sieht <strong>Krieg</strong> vor allem im Zusammenhang berufsmäßiger<br />
soldatischer Pfl<strong>ich</strong>terfüllung und als Phänomen, das — naturgegeben<br />
— <strong>zu</strong>r gesellschaftl<strong>ich</strong>en Realität gehört. Da<strong>mit</strong> löst sie den Zweiten Weltkrieg<br />
weitgehend aus seinem gesamtpolitischen Kontext. Ihre Argumentationen<br />
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