"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc
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tägl<strong>ich</strong>en Routinen und Handlungsplanungen, denn die Verwundeteten waren<br />
auch weiterhin auf ihre Pflege und ihren Einsatz angewiesen. Sie fühlte s<strong>ich</strong>,<br />
unabhängig vom Ausgang des <strong>Krieg</strong>es, gebraucht.<br />
Erst als sie gegen Ende des Interviews explizit da<strong>zu</strong> aufgefor<strong>der</strong>t wird, über<br />
ihr Erleben des <strong>Krieg</strong>sendes <strong>zu</strong> erzählen, schil<strong>der</strong>t sie ihr damaliges Lebensgefühl:<br />
„ja dann, <strong>hatte</strong> man so das Gefühl, jetzt, vom Verstand her, so jetzt kannst du d<strong>ich</strong>, mal wie<strong>der</strong><br />
ausziehn <strong>zu</strong>m Schlafen, was jahrelang nur in, in voller Montur geschlafen n<strong>ich</strong>, man <strong>hatte</strong> Angst<br />
daß man n<strong>ich</strong> schnell genug, daß man da im Nachthemd dann rennen mußte o<strong>der</strong> daß man denn<br />
seine Sachen n<strong>ich</strong> <strong>mehr</strong> <strong>hatte</strong> (1) aber, <strong>ich</strong> hab dem Braten nie getraut, <strong>ich</strong> hab m<strong>ich</strong> noch Wochen<br />
/ hinterher ((lachend)) n<strong>ich</strong> getraut nachts η Nachthemd o<strong>der</strong> Schlafan<strong>zu</strong>ch an<strong>zu</strong>ziehn ... weil <strong>ich</strong><br />
mir das gar n<strong>ich</strong> vorstelln konnte daß das jetzt plötzl<strong>ich</strong> vorbei is" (52/24)<br />
Dem Frieden — und das hieß für Anneliese Heidt vor allem: dem Ende <strong>der</strong><br />
lebensbedrohl<strong>ich</strong>en Bombenangriffe — konnte sie n<strong>ich</strong>t trauen. Sie, die jahrelang<br />
„in voller Montur* 4 geschlafen <strong>hatte</strong>, konnte diese „Rüstung 44 vorläufig<br />
noch n<strong>ich</strong>t ablegen. Die in ständiger Angst vor Angriffen <strong>zu</strong>gebrachten Stunden<br />
im Bunker <strong>hatte</strong>n sie so traumatisiert, daß sie in den ersten Wochen bei jedem<br />
Flugzeuggeräusch wie<strong>der</strong> hochschreckte, weil sie „immer dachte, vielle<strong>ich</strong>t<br />
wissen das noch n<strong>ich</strong> alle o<strong>der</strong> vielle<strong>ich</strong>t vertut s<strong>ich</strong> da noch einer 44 .<br />
<strong>Als</strong> Krankenschwester, die Angehörige <strong>der</strong> alliierten Armeen pflegen<br />
mußte, wurde Anneliese Heidt auch <strong>mit</strong> <strong>der</strong> verän<strong>der</strong>ten politischen Situation<br />
konfrontiert:<br />
B: „dann hatt <strong>ich</strong>, einen, Italiener, <strong>der</strong> war auch irgendwie, sehr schwer verletzt, und immer<br />
wenn <strong>ich</strong> <strong>zu</strong> dem <strong>kam</strong> <strong>der</strong> <strong>hatte</strong> solch einen Deutschenhaß, <strong>der</strong> drehte s<strong>ich</strong> um (2) <strong>der</strong>, ließ s<strong>ich</strong><br />
n<strong>ich</strong> ansprechen, <strong>der</strong> ließ s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong> behandeln, <strong>der</strong>, wollte, von, niemandem Deutschen, was<br />
wissen (1) das war ein, sehr sehr merkwürdiges Gefühl da, <strong>kam</strong> einem das so r<strong>ich</strong>tig (2) <strong>zu</strong>m<br />
Bewußtsein (1) was wir Deutschen jetzt eigentl<strong>ich</strong>, geworden sind n<strong>ich</strong><br />
I: mhm<br />
B: (2) <strong>ich</strong> konnte den verstehn aber man stand, ausgesprochen hilflos davor (1) <strong>ich</strong> wollte ihm ja<br />
wohl helfen, jetzt, da<br />
I: mhm<br />
B: <strong>ich</strong> hab ja auch seine Verwundung n<strong>ich</strong> direkt, selber, persönl<strong>ich</strong> verursacht, aber, äh, man<br />
schämte s<strong>ich</strong> wie man da so vor dem stand" (19/43)<br />
Anneliese Heidt <strong>hatte</strong> keine Vorbehalte gegen den Italiener. Seine Kontaktverweigerung<br />
machte ihr allerdings klar, „was wir Deutschen jetzt eigentl<strong>ich</strong><br />
geworden sind 44 , konfrontierte sie unauswe<strong>ich</strong>l<strong>ich</strong> <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Ablehnung, die ihr<br />
als Deutsche entgegengebracht wurde. Doch sie läßt offen, was die Deutschen<br />
in ihren Augen jetzt waren — die Schuldigen vielle<strong>ich</strong>t, <strong>zu</strong>mindest die Verlierer.<br />
Die kurze Textpassage läßt s<strong>ich</strong> als Ausdruck einer Veruns<strong>ich</strong>erung über<br />
die Rechtmäßigkeit <strong>der</strong> nationalsozialistischen Politik lesen, die s<strong>ich</strong> in Gefühlen<br />
<strong>der</strong> Scham und Hilflosigkeit manifestierte. Wenn Frau Heidt hier von<br />
„wir Deutschen 44<br />
spr<strong>ich</strong>t, bezieht sie s<strong>ich</strong> selbst in dieses Kollektiv <strong>mit</strong> ein.<br />
Zwar versucht sie, s<strong>ich</strong> von einer persönl<strong>ich</strong>en Verantwortung frei<strong>zu</strong>sprechen,<br />
doch konnte sie damals und kann sie heute die in dem Verhalten des Italieners<br />
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