"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc

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schon am 9. April 1945 zu einer Umfassung Bremens von Südosten her. Zur Verteidigung der Stadt wurde das Stauwehr der Weser gesprengt und das Vorgelände überflutet. Trotzdem wurde die Stadt am 20. April 1945 eingekesselt. Die Alliierten warfen über Bremen Flugblätter ab, auf denen sie die Übergabe der Stadt forderten. Als von den verantwortlichen Militärs keine Antwort kam, wurden vom 22. April an die Bombenangriffe auf Bremen fortgesetzt (vgl. Deutschland im Zweiten Weltkrieg Bd. VI, S. 568 f, 621 f, 7550- Ihre ersten Erfahrungen als Krankenschwester im März 1945 machte Anneliese Heidt also unter den schwierigsten äußeren Bedingungen: Das eigentliche Krankenhaus war schon aus Bremen evakuiert worden, in der Stadt selbst existierte nur noch das „Notlazarett 44 , das aber auch schon teilweise ausgebombt war. Notdürftig konnte im Keller des Gebäudes ein Operationssaal eingerichtet werden. Kaum ausgebildet und auf ihre Aufgaben vorbereitet, arbeiteten die Schwestern rund um die Uhr. Als dann überdies das Wasser ausfiel, mußten sich die Schwestern mit Eimern durch die umkämpften Straßenzüge, von Häuserecke zu Häuserecke, zum nächsten Hydranten vorkämpfen, um dort Wasser zu holen. Für Angstgefühle war in der hektischen Betriebsamkeit dieser lebensbedrohlichen Situation kein Raum: „also, das kam einem, völlig, unwirklich, vor, das war, eine solch totale, Anspannung, körperlich sowie, nervlich, daß man das überhaupt nich richtig registriert hat, und da hat man, Dinge getan, die man, unter normalen Umständen wahrscheinlich nie, hätte tun können (2) Angst, hab ich da, nicht mehr gehabt, überhaupt nich mehr, das war völlig vorbei 4 * (17/21) Anneliese Heidt handelte in dieser Situation in einer tranceartigen Anspannung. Die Angst, selbst getroffen zu werden, konnte sie offenbar ausblenden. Im Gegensatz zu den Nächten im Bunker, in denen sie den Bombenangriffen passiv ausgeliefert war, konnte sie nun der Situation aktiv handelnd begegnen. Mit dieser Aktivität erklärt sich Anneliese Heidt heute auch ihren damaligen Zustand der Angstfreiheit: „das is dieses Gebrauchtwerden und, wirklich auch was tun können, und eine, schwere Situation aktiv, angehn, oder passiv ergeben müssen das is der Unterschied" (51 /48) Kamen zunächst vor allem verwundete polnische und sowjetische Fremdarbeiter zur Behandlung in das Hilfslazarett, die bei Angriffen nur in Erdbunkern Schutz suchen durften, so wurden bald auch verwundete Soldaten eingeliefert. Hier erlebte Anneliese Heidt auch zum ersten Mal hautnah das Sterben eines jungen Menschen, der kaum älter als sie selbst war: B: „das war η junger Italiener dies- da Betten standen so eng und es war, Mittagessenausgabe ... und der, tobte ganz fürchterlich und schrie immer nach seiner Mama in, Italienisch ne, sprach kein Deutsch, und weinte und schrie, näh ich weiß gar nich mehr was der hatte ne schwere Verwundung, und der nebenan der hat denn alle seine Suppenteller gekricht und der löffelte nun seine Suppe das: is so, bei Soldaten der äh, deswegen kann er nich, braucht der trotzdem sein Essen auch wenn der neben ihm stirbt nich, und das is die Realität, und ich bin dann noch zu dem hin weil der so: so, unruhig und so so, um sich schlug und so, und ((lacht)) der konnte seinen Suppenteller kaum halten, und hab den, so richtig so in η Arm genommen ne, hab den so, so richtig wie so ne MUTTER, IHR KIND IN Ν ARM nimmt, ja und da war er ruhig 100

I: mhm Β: (1) /ja und dann war er tot ((leise)) (4) HAB ICH AUCH ERST NICH GANZ BEGRIFFEN. DANN KAM NE ÄLTERE SCHWESTER, muß sagen da waren glaub ich zwei ältere Schwestern da bloß wir warn so junges Gemüse, und da guckte die mich so komisch an un sachte ja nun laß η man los (2) s hatt ich noch gar nich so direkt mitgekricht ne*' (48/49) In ihrer Darstellung spiegeln sich die tiefe Betroffenheit der jungen Schwester, die den Sterbenden in ihren Armen hielt und seinen Tod kaum begreifen konnte, und die durch Erfahrungen abgestumpfte Ungerührtheit der anderen, die sich auch durch das Sterben eines Menschen im Nachbarbett nicht vom Löffeln der mittäglichen Suppe abhalten ließen. Dem Erschrecken über so viel Gefühllosigkeit tritt Frau Heidt sogleich entgegen: Das ist bei Soldaten so, das ist die Realität, lautet ihre lapidare Feststellung. Wir können uns vorstellen, daß auch sie diese Realität mühsam erlernen mußte, denn ihre Erzählung zeigt auch die Unfaßbarkeit dieses Todes: „ja und da war er ruhig (1) ja und dann war er tot". Die 18jährige mußte in dieser Zeit auch die Erfahrung machen, daß sie nicht nur die Not der Verwundeten lindern konnte, sondern auch ein hohes Maß an Verantwortung für das Leben der ihr Anvertrauten trug. Bis heute bedrückt es sie, daß sie einem jungen deutschen Soldaten mit einer schweren Verwundung, einem Lungensteckschuß, entgegen der ausdrücklichen Anweisung zu trinken gab. Stockend und mit gedrückter Stimme erzählt sie: „mir war eingeschärft, also der darf nichts, trinken, nich weil die äh, Speiseröhre das war alles zerfetzt innen das krichte der in die Lunge, tja, und der immer Schwester Schwester ich hab solchen Durst, und, der jammerte so und der bettelte so und der war so nett (1) und da hab ich gesacht η ganz kleinen Schluck, nur die Lippen naß machen (1) hab ich ihm das hingegeben und der mit einer eisernen Gewalt hat der das Glas festgehalten und ausgetrunken (1) / der war tot ((leise und undeutlich)) (5) ich hab (1) das hab ich nich jewollt nich" (49/22) Frau Heidt meint, es sei ihre Unerfahrenheit gewesen, die sie zu diesem folgenschweren Fehler verleitet habe. Mehr aus ihrem Tonfall als aus ihren Worten sind Bestürzung und Schuldgefühle herauszuhören, die sie in dieser Situation empfunden hat. Erst als eine der beiden Interviewerinnen auf das Bedrückende dieser Situation eingeht, kann sie über das Entsetzen sprechen: I: „das war für Sie sicher ganz furchtbar B: das war sehr furchtbar und das äh, wie gesacht das ich, äh, das läßt einen auch, sein ganzes Leben nich mehr los, is, das vergißt man nich mehr ne, aber, in der, damals, äh, war ich natürlich sehr erschrocken denn die, die die Nachbarsoldaten die harn das ja alle mitgekricht nich, I: mhm B: hat aber keiner was gesacht (1) keiner (3)'* (49/45) Zu dem eigenen Erschrecken und ihren Schuldgefühlen trat die Angst, von den Vorgesetzten gerügt oder gar bestraft zu werden. Doch die anderen Soldaten hatten offenbar Verständnis für sie. Heute tröstet sie sich mit dem Gedanken, daß dieser junge Soldat vielleicht durch ihr Handeln schneller und leichter gestorben ist. 101

schon am 9. April 1945 <strong>zu</strong> einer Umfassung Bremens von Südosten her. Zur<br />

Verteidigung <strong>der</strong> Stadt wurde das Stauwehr <strong>der</strong> Weser gesprengt und das Vorgelände<br />

überflutet. Trotzdem wurde die Stadt am 20. April 1945 eingekesselt.<br />

Die Alliierten warfen über Bremen Flugblätter ab, auf denen sie die Übergabe<br />

<strong>der</strong> Stadt for<strong>der</strong>ten. <strong>Als</strong> von den verantwortl<strong>ich</strong>en Militärs keine Antwort<br />

<strong>kam</strong>, wurden vom 22. April an die Bombenangriffe auf Bremen fortgesetzt<br />

(vgl. Deutschland im Zweiten Weltkrieg Bd. VI, S. 568 f, 621 f, 7550-<br />

Ihre ersten Erfahrungen als Krankenschwester im März 1945 machte Anneliese<br />

Heidt also unter den schwierigsten äußeren Bedingungen: Das eigentl<strong>ich</strong>e<br />

Krankenhaus war schon aus Bremen evakuiert worden, in <strong>der</strong> Stadt selbst<br />

existierte nur noch das „Notlazarett 44 , das aber auch schon teilweise ausgebombt<br />

war. Notdürftig konnte im Keller des Gebäudes ein Operationssaal einger<strong>ich</strong>tet<br />

werden. Kaum ausgebildet und auf ihre Aufgaben vorbereitet, arbeiteten<br />

die Schwestern rund um die Uhr. <strong>Als</strong> dann überdies das Wasser ausfiel,<br />

mußten s<strong>ich</strong> die Schwestern <strong>mit</strong> Eimern durch die umkämpften Straßenzüge,<br />

von Häuserecke <strong>zu</strong> Häuserecke, <strong>zu</strong>m nächsten Hydranten vorkämpfen, um<br />

dort Wasser <strong>zu</strong> holen. Für Angstgefühle war in <strong>der</strong> hektischen Betriebsamkeit<br />

dieser lebensbedrohl<strong>ich</strong>en Situation kein Raum:<br />

„also, das <strong>kam</strong> einem, völlig, unwirkl<strong>ich</strong>, vor, das war, eine solch totale, Anspannung, körperl<strong>ich</strong><br />

sowie, nervl<strong>ich</strong>, daß man das überhaupt n<strong>ich</strong> r<strong>ich</strong>tig registriert hat, und da hat man, Dinge<br />

getan, die man, unter normalen Umständen wahrscheinl<strong>ich</strong> nie, hätte tun können (2) Angst, hab<br />

<strong>ich</strong> da, n<strong>ich</strong>t <strong>mehr</strong> gehabt, überhaupt n<strong>ich</strong> <strong>mehr</strong>, das war völlig vorbei 4 * (17/21)<br />

Anneliese Heidt handelte in dieser Situation in einer tranceartigen Anspannung.<br />

Die Angst, selbst getroffen <strong>zu</strong> werden, konnte sie offenbar ausblenden.<br />

Im Gegensatz <strong>zu</strong> den Nächten im Bunker, in denen sie den Bombenangriffen<br />

passiv ausgeliefert war, konnte sie nun <strong>der</strong> Situation aktiv handelnd begegnen.<br />

Mit dieser Aktivität erklärt s<strong>ich</strong> Anneliese Heidt heute auch ihren damaligen<br />

Zustand <strong>der</strong> Angstfreiheit:<br />

„das is dieses Gebrauchtwerden und, wirkl<strong>ich</strong> auch was tun können, und eine, schwere Situation<br />

aktiv, angehn, o<strong>der</strong> passiv ergeben müssen das is <strong>der</strong> Unterschied" (51 /48)<br />

Kamen <strong>zu</strong>nächst vor allem verwundete polnische und sowjetische Fremdarbeiter<br />

<strong>zu</strong>r Behandlung in das Hilfslazarett, die bei Angriffen nur in Erdbunkern<br />

Schutz suchen durften, so wurden bald auch verwundete Soldaten eingeliefert.<br />

Hier erlebte Anneliese Heidt auch <strong>zu</strong>m ersten Mal hautnah das Sterben<br />

eines jungen Menschen, <strong>der</strong> kaum älter als sie selbst war:<br />

B: „das war η junger Italiener dies- da Betten standen so eng und es war, Mittagessenausgabe ...<br />

und <strong>der</strong>, tobte ganz fürchterl<strong>ich</strong> und schrie immer nach seiner Mama in, Italienisch ne, sprach<br />

kein Deutsch, und weinte und schrie, näh <strong>ich</strong> weiß gar n<strong>ich</strong> <strong>mehr</strong> was <strong>der</strong> <strong>hatte</strong> ne schwere<br />

Verwundung, und <strong>der</strong> nebenan <strong>der</strong> hat denn alle seine Suppenteller gekr<strong>ich</strong>t und <strong>der</strong> löffelte<br />

nun seine Suppe das: is so, bei Soldaten <strong>der</strong> äh, deswegen kann er n<strong>ich</strong>, braucht <strong>der</strong> trotzdem<br />

sein Essen auch wenn <strong>der</strong> neben ihm stirbt n<strong>ich</strong>, und das is die Realität, und <strong>ich</strong> bin dann noch<br />

<strong>zu</strong> dem hin weil <strong>der</strong> so: so, unruhig und so so, um s<strong>ich</strong> schlug und so, und ((lacht)) <strong>der</strong> konnte<br />

seinen Suppenteller kaum halten, und hab den, so r<strong>ich</strong>tig so in η Arm genommen ne, hab den<br />

so, so r<strong>ich</strong>tig wie so ne MUTTER, IHR KIND IN Ν ARM nimmt, ja und da war er ruhig<br />

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