"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc
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„ABER, WAS, hm, daß die jetz ä:h (l) so umgebracht wurden, da hab <strong>ich</strong>-, das hab <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong><br />
gewußt, auch keine Ahnung von gehabt, ICH GLAUBE SCHON daß einige Erwachsene etl<strong>ich</strong>e<br />
Erwachsene das gewußt haben, äh, <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t, wahrscheinl<strong>ich</strong> hat man es, von mir ferngehalten,<br />
und daß die nachher wohl irgendwie in Lager <strong>kam</strong>en, ja, aber, naja, wir verstanden da eben ganz<br />
was an<strong>der</strong>es drunter n<strong>ich</strong>, weiß Gott n<strong>ich</strong> sowas was da ge(mör-), worden is, aber, diese, Judensache<br />
war also etwas, was, auch uns, die wir doch nun als, junge, Menschen, doch nun wirkl<strong>ich</strong> flir<br />
das Regime warn, also ein ein, ganz gräßl<strong>ich</strong> unbehagl<strong>ich</strong>es Gefühl auslöste aber, wir harn uns,<br />
n<strong>ich</strong>, da<strong>mit</strong> auseinan<strong>der</strong>gesetzt, wir ham das auch, weggeschoben wahrscheinl<strong>ich</strong> (1)" (45/38)<br />
Anneliese Heidt beteuert, damals n<strong>ich</strong>ts darüber gewußt <strong>zu</strong> haben, daß fast<br />
alle diese „kümmerl<strong>ich</strong>" aussehenden Menschen in den Konzentrationslagern<br />
umgekommen sind. Sie läßt es bei dieser Rechtfertigung, bei <strong>der</strong> sie emphatisch<br />
bekennt, „wirkl<strong>ich</strong> für das Regime" gewesen <strong>zu</strong> sein, dann auch bewenden.<br />
Sie habe niemanden persönl<strong>ich</strong> gekannt, die Verfolgungen seien für sie<br />
anonym gewesen. Damals, schließt sie dieses Thema ab, habe sie „bewußt<br />
weggesehen". Sie läßt s<strong>ich</strong> auf dieses Thema auch jetzt n<strong>ich</strong>t weiter ein. Wir<br />
erfahren n<strong>ich</strong>t, was es für sie bedeutet, s<strong>ich</strong> <strong>mit</strong> diesem Regime, das den millionenfachen<br />
Massenmord befahl, identifiziert <strong>zu</strong> haben. Den Gedanken<br />
daran wehrt sie heute wie damals ab. Diese Abwehr verhin<strong>der</strong>t vermutl<strong>ich</strong><br />
auch eine empathische Teilnahme am Schicksal <strong>der</strong> Opfer und ein Mitempfinden<br />
<strong>mit</strong> ihnen.<br />
Kehren wir <strong>zu</strong> ihrem Erleben und ihren Erfahrungen im sog. Dritten Re<strong>ich</strong><br />
<strong>zu</strong>rück.<br />
Wie schon im Zusammenhang <strong>mit</strong> dem Thema des Holocausts aufscheint,<br />
war sie damals bestrebt, Einbrüche in ihr Weltbild und in ihr Vertrauen in die<br />
Rechtmäßigkeit des NS-Staates ab<strong>zu</strong>wehren bzw. die allmähl<strong>ich</strong> auftretenden<br />
Risse n<strong>ich</strong>t wahr<strong>zu</strong>nehmen. Beson<strong>der</strong>s deutl<strong>ich</strong> wird dies, als Frau Heidt über<br />
ihre Empörung erzählt, die die vermeintl<strong>ich</strong>e „Gegenpropaganda" ihrer ehemaligen<br />
Lehrer bei ihr auslöste. Sie habe, um ihnen „den Mund <strong>zu</strong> stopfen",<br />
vorgegeben, ihre Äußerungen <strong>mit</strong><strong>zu</strong>schreiben. Bei den Lehrern mußte <strong>der</strong><br />
Eindruck entstehen, sie wollte sie denunzieren:<br />
„da hab <strong>ich</strong> näml<strong>ich</strong> (2) angebl<strong>ich</strong>, <strong>mit</strong>geschrieben, <strong>ich</strong> hab aber n<strong>ich</strong> <strong>mit</strong>geschrieben <strong>ich</strong> hab<br />
nur so getan als wenn <strong>ich</strong> diese Anspielungen, die die machten, <strong>mit</strong>geschrieben <strong>hatte</strong> und die, Wirkung,<br />
die <strong>ich</strong> beabs<strong>ich</strong>tigt <strong>hatte</strong> die is auch eingetreten, die, haben näml<strong>ich</strong> ihre Anspielungen sein<br />
lassen, <strong>ich</strong> hätte, nie irgendwas, gebraucht und die angezeigt o<strong>der</strong> sowas hätt <strong>ich</strong> nie, <strong>ich</strong> hab auch<br />
nie <strong>mit</strong>geschrieben <strong>ich</strong> hab nur so getan, um denen den Mund <strong>zu</strong> stopfen, denn <strong>ich</strong> muß auch heut<br />
noch sagen was sollte das (1) eine, offene Aussprache, die war wohl n<strong>ich</strong>t mögl<strong>ich</strong> und die, haben<br />
sie auch n<strong>ich</strong> s<strong>ich</strong> getraut, und nur <strong>mit</strong>, <strong>mit</strong> verdeckten Anspielungen, hätten die, uns doch auch<br />
n<strong>ich</strong> überzeugen können was sollte das (1) versteh <strong>ich</strong> eigentl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>, ganz, und, <strong>ich</strong> hab m<strong>ich</strong> damals<br />
sehr aufgeregt und dachte immer so (1) vielle<strong>ich</strong>t hatt <strong>ich</strong> auch Angst davor daß m<strong>ich</strong> einer<br />
vom Gegenteil überzeugen könnte, mag sein, <strong>ich</strong> wollte wahrscheinl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>ts an<strong>der</strong>es hören ...<br />
aber, so, heute vom moralischen o<strong>der</strong> ethischen Standpunkt her muß <strong>ich</strong> ja heute sagen also äh war<br />
<strong>ich</strong> zieml<strong>ich</strong> schäbig /n<strong>ich</strong> ((lachend)) was <strong>ich</strong> da gemacht habe ... (3) wi:r, konnten uns sonst<br />
ja auch n<strong>ich</strong> wehren, rhetorisch konnten wir uns gegen solche Leute ja n<strong>ich</strong> wehren (6)" (21 /18)<br />
Der Text suggeriert, daß n<strong>ich</strong>t die Lehrer, die ihre Meinung aus Angst vor<br />
einer Denunziation durch ihre Schüler n<strong>ich</strong>t offen äußern konnten, die Opfer<br />
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