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Quo vadis Euthanasie?

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A U S L A N D<br />

DANIEL RENNEN<br />

<strong>Quo</strong> <strong>vadis</strong> <strong>Euthanasie</strong>?<br />

Wie erst jetzt bekannt wurde, haben Ärzte in den Niederlanden im Frühjahr dieses Jahres eine<br />

64-jährige, an Alzheimer erkrankte Patientin getötet, die zum Zeitpunkt ihrer<br />

Tötung als nicht-einwilligungsfähig galt. Grund genug, die Praxis in den Niederlanden<br />

noch einmal genauer in den Blick zu nehmen.<br />

Von Matthias Lochner<br />

Tötung ohne Verlangen: Wenn es<br />

noch eines letzten Beweises bedurft<br />

hätte, dass die Zulassung<br />

aktiver Sterbehilfe inhuman und menschenverachtend<br />

ist, so wurde er kürzlich<br />

in den Niederlanden erbracht. Weitgehend<br />

unbeachtet von deutschen Medien<br />

leisteten Ärzte dort – wie es heißt,<br />

»erstmals« – einer schwer demenzkranken<br />

Frau »Sterbehilfe«. Wie die Zeitung<br />

»Volkskrant« Anfang November berichtete,<br />

litt die 64-jährige Patientin, die bereits<br />

im März dieses Jahres getötet wurde,<br />

an Alzheimer im fortgeschrittenen Stadium.<br />

An der Krankheit war sie bereits vor<br />

Jahren erkrankt. Auch soll sie in einer Patientenverfügung<br />

angegeben haben, dass<br />

sie lieber getötet werden wolle, als in einer<br />

Pflegeeinrichtung untergebracht zu<br />

werden. Den Berichten zufolge war die<br />

16<br />

Familie der Frau denn auch mit einer<br />

»Tötung auf Verlangen« einverstanden.<br />

Ihren Wunsch, getötet zu werden,<br />

soll die Patientin zwar zuvor mehrfach<br />

geäußert haben. Vor ihrem Tod soll sie<br />

allerdings aufgrund ihres Krankheitszustandes<br />

dann gar nicht mehr in der Lage<br />

gewesen sein, ihren früher geäußerten<br />

Wunsch noch einmal klar und bei vollem<br />

Bewusstsein zu wiederholen. Zum Zeitpunkt<br />

der »Tötung auf Verlangen« war<br />

sie nach dem übereinstimmenden Urteil<br />

der Ärzte nicht mehr einwilligungsfähig.<br />

Genau das aber verlangt eigentlich das<br />

Gesetz, mit dem die Niederlande im April<br />

2002 als erstes Land weltweit die <strong>Euthanasie</strong><br />

legalisiert hatten. Danach muss<br />

der Arzt zu der Überzeugung gelangt<br />

sein, »dass der Patient seine Bitte freiwillig<br />

und nach reiflicher Überlegung gestellt<br />

hat« und sein Zustand »aussichtslos<br />

und sein Leiden unerträglich ist«. Ferner<br />

muss der Arzt den »Patienten über dessen<br />

Situation und über dessen Aussichten<br />

aufgeklärt« haben und »gemeinsam mit<br />

dem Patienten zu der Überzeugung gelangt«<br />

sein, »dass es für dessen Situation<br />

keine andere annehmbare Lösung gibt.«<br />

Bis dato sollen daher in den Niederlanden<br />

auch nur solche Demenzkranke<br />

getötet worden sein, die in der Lage waren,<br />

den Wunsch, ein Arzt möge sie töten,<br />

noch klar und wiederholt zu äußern.<br />

In dem vorliegenden Fall soll dies nun<br />

erstmals anders gewesen sein. Dennoch<br />

haben alle fünf regionalen Aufsichtskommissionen<br />

der Tötung der Patientin zugestimmt.<br />

Von Patientenautonomie kann hier<br />

schlechterdings keine Rede sein. Jeder,<br />

L e b e n s F o r u m 1 0 0


der einmal an Demenz erkrankte Menschen<br />

erlebt hat, weiß, dass bei dieser Erkrankung<br />

die Grenzen zwischen noch einwilligungsfähig<br />

und nicht-einwilligungsfähig<br />

sehr fließend sind, sprunghaft verlaufen<br />

und sich daher kaum definieren<br />

lassen. So haben Menschen, die an Demenz<br />

leiden, zum Beispiel selbst in einem<br />

weit fortgeschrittenen Krankheitsstadium<br />

immer wieder auch »lichte Momente«.<br />

Genauso gibt es bereits im Anfangsstadium<br />

der Krankheit Momente, in denen<br />

selbst die engsten Angehörigen den<br />

Patienten nicht wiedererkennen können<br />

und in denen er Verhaltensweisen an den<br />

Tag legt oder Äußerungen tätigt, die allem<br />

widersprechen, was er in gesunden<br />

Tagen getan oder gesagt hat. Weil eine<br />

Demenzerkrankung zu Persönlichkeitsveränderungen<br />

führt, muss eigentlich alles,<br />

was ein solcher Patient sagt oder tut,<br />

mit Vorsicht genossen werden – erst recht,<br />

wenn es sich dabei um etwas so Schwerwiegendes<br />

handelt wie den Wunsch, getötet<br />

zu werden.<br />

Dass Ärzte in den Niederlanden eine<br />

Patientin getötet haben, bei der nach<br />

Übereinstimmung aller Beteiligten außer<br />

Frage stand, dass sie nicht mehr in ihre<br />

Tötung einwilligen konnte, zeigt: Die von<br />

Befürwortern der »Tötung auf Verlangen«<br />

viel beschworene »Autonomie am<br />

Lebensende« ist längst zur Farce geworden.<br />

Es geht offenbar nicht mehr darum,<br />

was ein Patient aktuell wirklich will, sondern<br />

darum, was Dritte annehmen, dass<br />

er zu einem Zeitpunkt, an dem er seinen<br />

Willen nicht mehr äußern kann, aufgrund<br />

früherer Äußerungen wollen würde.<br />

Dass eine Ermittlung des »mutmaßlichen<br />

Willens« eines Patienten nie objektiv<br />

erfolgen kann, sondern immer auch<br />

25 Prozent der Euthanisierten<br />

hatten nie darum gebeten.<br />

stark von den Einstellungen, Interessen<br />

und Gefühlen derer geleitet wird, die ihn<br />

zu ermitteln suchen, ist lange bewiesen<br />

und in der Fachwelt unstrittig.<br />

Nicht ohne Grund kommen denn auch<br />

drei von der niederländischen Regierung<br />

in Auftrag gegebene Studien jeweils zu<br />

dem Ergebnis, dass der Anteil der »Tötungen<br />

ohne Verlangen« bereits etwa<br />

ein Viertel aller Patiententötungen ausmacht.<br />

Diese Ergebnisse sind sehr ernst<br />

zu nehmen, da den Medizinern, die an<br />

diesen Studien teilnahmen, die vollständige<br />

Wahrung der Anonymität zugesichert<br />

worden war. Nach den Motiven<br />

ihres Handelns gefragt, gaben die Ärzte<br />

Gründe wie »die Nächsten konnten es<br />

nicht mehr ertragen« (38 %) oder auch<br />

Niederlande: Tötungen von<br />

Demenzkranken nehmen zu.<br />

»geringe Lebensqualität« (36 %) an. Die<br />

Befragungen belegen also, dass Ärzte keineswegs<br />

nur Patienten töten, »deren Zustand<br />

aussichtlos« ist und deren »Leiden<br />

unerträglich« sind und die den Antrag<br />

auf »Tötung nach Verlangen« »freiwillig<br />

und nach reiflicher Überlegung gestellt«<br />

haben. Längst werden auch Menschen<br />

getötet, die nie ausdrücklich darum<br />

gebeten haben.<br />

Wenn es nun heißt, in den Niederlanden<br />

sei »erstmals« ein Demenz-Patient<br />

von Ärzten getötet worden, so stimmt dies<br />

allenfalls in Bezug auf den fortgeschrittenen<br />

Krankheitszustand. Demenzkranke<br />

wurden in den Niederlanden schon früher<br />

getötet. So weist der Medizinrechtsexperte<br />

Oliver Tolmein in seinem Blog<br />

»Biopolitik« auf der Webseite der »Frankfurter<br />

Allgemeinen Zeitung« (FAZ) darauf<br />

hin, dass 1999 Mediziner des »Twents<br />

Psychiatric Hospital« einem 71-jährigen<br />

Patienten zum Tode verholfen hätten,<br />

der vier Jahre unter einer Multi-Infarkt-<br />

Demenz gelitten haben soll. Damals war<br />

das niederländische <strong>Euthanasie</strong>-Gesetz in<br />

seiner jetzigen Form noch gar nicht in<br />

Kraft. Die Mediziner der Klinik hatten<br />

»ein Protokoll entwickelt, das nach Anhörung<br />

einer unabhängigen Kommission<br />

und mehrerer Klinikärzte sowie eines externen<br />

Psychiaters ermöglichte, dass dem<br />

Patienten zu Hause von seinem Arzt ein<br />

hoch dosierter Barbiturat-Trank gereicht<br />

wurde, den er selbst austrank«, so Tolmein.<br />

Rechtstechnisch gesehen dürfte es<br />

sich dabei um einen Ȋrztlich assistierten<br />

Suizid« gehandelt haben.<br />

2004, als das <strong>Euthanasie</strong>-Gesetz bereits<br />

zwei Jahre in Kraft war, wurde laut<br />

Tolmein erstmals ein Patient »auf Verlangen«<br />

getötet, der an Alzheimer erkrankt<br />

war. Umstritten war damals, ob<br />

der 65-jährige Mann tatsächlich »unerträglich<br />

gelitten« habe. »Gutachter waren<br />

hier zu unterschiedlichen Auffassungen<br />

gekommen«, so der Jurist weiter. In<br />

seinem Blog-Beitrag nennt Tolmein auch<br />

Zahlen, die belegen, dass die Tötungen<br />

von Demenzkranken in den Niederlanden<br />

stetig steigen: Sei in dem Bericht<br />

der Aufsichtsgremien für das Jahr 2008<br />

noch von »vereinzelten Fällen« die Rede,<br />

nenne der Jahresbericht 2009 bereits<br />

zwölf Fälle, im Jahresbericht 2010 seien<br />

es dann schon 25 Fälle.<br />

In Zukunft werden diese Zahlen wohl<br />

noch weiter steigen. Denn zum einen<br />

werden aufgrund steigender Lebenserwartung<br />

künftig immer mehr Menschen<br />

an Demenz erkranken. Zum anderen ist<br />

nun ein weiterer Damm gebrochen. So<br />

bezeichnete eine Sprecherin der »Nederlandse<br />

Vereniging voor een Vrijwillig Levenseinde«<br />

(NVVE) den geschilderten<br />

Fall als »eine Botschaft an Ärzte«, die<br />

NVVE: »Wichtige Etappe«<br />

und »Botschaft für die Ärzte«<br />

schwer demenzkranken Patienten Sterbehilfe<br />

verweigerten, obwohl sie dies früher<br />

ausdrücklich verlangt hätten. Im Klartext:<br />

Die Bedenken, nicht-einwilligungsfähige<br />

Patienten zu töten, sollen beiseitegeschoben<br />

werden. Dass die NVVE hierfür<br />

gerne Lobbyarbeit macht, daran können<br />

kaum Zweifel existieren. Schließlich<br />

hat die Vereinigung seit ihrer Gründung<br />

1973 jahrelang für die Abschaffung des<br />

Tötungsverbots gekämpft und maßgeblich<br />

mit dafür gesorgt, dass die »Tötung<br />

auf Verlangen« in den Niederlanden gesetzlich<br />

erlaubt wurde. Auch lobte die<br />

Sprecherin die jetzt in den Medien bekannt<br />

gewordene Tötung der nicht-einwilligungsfähigen<br />

64-jährigen Patientin<br />

als eine »wichtige Etappe«. Eine »wichtige<br />

Etappe« – fragt sich nur, auf dem<br />

Weg wohin?<br />

I M P O R T R A I T<br />

Matthias Lochner<br />

Der Autor, Jahrgang 1984, studierte<br />

Deutsch, Geschichte und Katholische<br />

Theologie für das Lehramt an Gymnasien<br />

und Gesamtschulen<br />

an der<br />

Universität zu<br />

Köln. Er ist seit<br />

2001 Mitglied der<br />

ALfA und seit Mai<br />

2007 Vorsitzender<br />

der »Jugend für das Leben« (JfdL)<br />

Deutschland, der Jugendorganisation<br />

der ALfA. Als freier Journalist publiziert<br />

Matthias Lochner regelmäßig auch in<br />

»LebensForum«. Er ist verheiratet und<br />

lebt im Rheinland.<br />

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