1.Der erste Blick Das war die Tageszeit, zu der ich mir ... - Wikia
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Als <strong>ich</strong> meinen Wagen in Bellas Einfahrt parkte, begann <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> unwohl <strong>zu</strong> fühlen. Ein<br />
menschl<strong>ich</strong>es Spr<strong>ich</strong>wort besagt, dass <strong>die</strong> Dinge am nächsten Morgen ganz an<strong>der</strong>s aussehen – dass<br />
<strong>die</strong> Dinge s<strong>ich</strong> än<strong>der</strong>n, wenn man eine Nacht darüber geschlafen hat. Würde <strong>ich</strong> für Bella an<strong>der</strong>s<br />
aussehen in dem blassen L<strong>ich</strong>t eines nebeligen Morgens? Unheiml<strong>ich</strong>er o<strong>der</strong> weniger unheiml<strong>ich</strong> als<br />
in <strong>der</strong> Schwärze <strong>der</strong> Nacht? War <strong>die</strong> Wahrheit <strong>zu</strong> ihr durchgedrungen während sie geschlafen hatte?<br />
Würde sie letztl<strong>ich</strong> doch Angst haben?<br />
Ihre Träume <strong>war</strong>en friedl<strong>ich</strong> gewesen letzte Nacht. Als sie immer und immer wie<strong>der</strong> meinen<br />
Namen genannt hatte, hatte sie gelächelt. Mehr als einmal hatte sie m<strong>ich</strong> im Schlaf gebeten <strong>zu</strong><br />
bleiben. Würde das heute n<strong>ich</strong>ts mehr bedeuten?<br />
Ich <strong>war</strong>tete nervös und lauschte auf <strong>die</strong> Geräusche, <strong>die</strong> sie im Haus verursachte – <strong>die</strong><br />
schnellen Schritte auf <strong>der</strong> Treppe, das Reißen einer Schutzfolie, <strong>die</strong> Inhalte des Kühlschranks <strong>die</strong><br />
aneinan<strong>der</strong> schlugen beim Schließen <strong>der</strong> Tür. Es hörte s<strong>ich</strong> an, als hätte sie es eilig. Konnte sie es<br />
n<strong>ich</strong>t er<strong>war</strong>ten <strong>zu</strong>r Schule <strong>zu</strong> kommen? Der Gedanke brachte m<strong>ich</strong> wie<strong>der</strong> hoffnungsvoll <strong>zu</strong>m lächeln.<br />
Ich <strong>war</strong>f einen <strong>Blick</strong> auf <strong>die</strong> Uhr. Es hatte den Anschein – wenn man bedachte dass ihr<br />
altersschwacher Truck in seiner Geschwindigkeit stark beeinträchtigt <strong>war</strong> – dass sie wirkl<strong>ich</strong> spät dran<br />
<strong>war</strong>.<br />
Bella stürmte aus dem Haus und ihre Schultasche rutschte ihr von <strong>der</strong> Schulter, ihr Haar <strong>war</strong><br />
nur lose <strong>zu</strong>sammengebunden und <strong>der</strong> Zopf rutschte in ihrem Nacken bereits wie<strong>der</strong> heraus. Der<br />
dicke grüne Pullover verhin<strong>der</strong>te n<strong>ich</strong>t, dass sie ihre schmalen Schultern in <strong>der</strong> Kälte des Nebels<br />
anzog.<br />
Der lange Pulli <strong>war</strong> <strong>zu</strong> groß für sie, unförmig. Er verbarg ihre schlanke Figur und verwandelte<br />
all ihre zarten Kurven in eine unförmige Masse. Ich begrüßte <strong>die</strong>se Tatsache genauso wie <strong>ich</strong> <strong>mir</strong><br />
gewünscht hätte, sie hätte etwas in <strong>der</strong> Art an, wie <strong>die</strong> blaue Bluse, <strong>die</strong> sie letzte Nacht getragen<br />
hatte… <strong>der</strong> Stoff hatte s<strong>ich</strong> so sanft an ihre Haut angeschmiegt und <strong>war</strong> tief genug ausgeschnitten<br />
gewesen um ihre Schlüsselbeine, <strong>die</strong> s<strong>ich</strong> von <strong>der</strong> kleinen Mulde unter ihrer Kehle abhoben, auf<br />
hypnotisierende Weise <strong>zu</strong> entblößen. <strong>Das</strong> Blau <strong>war</strong> wie Wasser um ihre zarte Figur geflossen…<br />
Es <strong>war</strong> besser – unverz<strong>ich</strong>tbar – dass s<strong>ich</strong> meine Gedanken sehr weit von <strong>die</strong>sem Anblick<br />
entfernten, daher <strong>war</strong> <strong>ich</strong> dankbar dafür, dass sie <strong>die</strong>sen unförmigen Pullover trug. Ich konnte es <strong>mir</strong><br />
n<strong>ich</strong>t leisten Fehler <strong>zu</strong> machen und es wäre ein fataler Fehler <strong>die</strong>sem seltsamen Verlangen<br />
nach<strong>zu</strong>geben, das ihre Lippen… ihre Haut… ihr Körper… in <strong>mir</strong> entfachte. Ein Verlangen, dass seit<br />
Jahren aus <strong>mir</strong> gew<strong>ich</strong>en <strong>war</strong>. Aber <strong>ich</strong> konnte <strong>mir</strong> n<strong>ich</strong>t erlauben daran <strong>zu</strong> denken, sie <strong>zu</strong> berühren,<br />
das <strong>war</strong> unmögl<strong>ich</strong>.<br />
Ich würde sie zerbrechen.<br />
Bella drehte <strong>der</strong> Haustür in einer solchen Eile den Rücken <strong>zu</strong>, dass sie beinahe an meinem<br />
Wagen vorbeigestürmt wäre ohne ihn überhaupt wahr<strong>zu</strong>nehmen.<br />
Ich stieg aus und gab <strong>mir</strong> keine Mühe darauf <strong>zu</strong> achten m<strong>ich</strong> mit menschl<strong>ich</strong>er<br />
Geschwindigkeit <strong>zu</strong> bewegen, als <strong>ich</strong> den Wagen umrundete und <strong>die</strong> Beifahrertür für sie öffnete. Ich<br />
würde n<strong>ich</strong>t mehr versuchen sie <strong>zu</strong> täuschen – <strong>zu</strong>mindest wenn wir allein <strong>war</strong>en würde <strong>ich</strong> Ichselbst<br />
sein.<br />
Sie sah verwirrt <strong>zu</strong> <strong>mir</strong> auf, als <strong>ich</strong> aus dem N<strong>ich</strong>ts auf<strong>zu</strong>tauchen schien. Und dann<br />
verwandelte s<strong>ich</strong> <strong>die</strong> Überraschung in ihrem <strong>Blick</strong> in etwas an<strong>der</strong>es und <strong>ich</strong> hatte keine Angst mehr –<br />
o<strong>der</strong> Hoffnung – dass ihre Gefühle für m<strong>ich</strong> s<strong>ich</strong> über Nacht geän<strong>der</strong>t haben könnten. Wärme,<br />
Verwun<strong>der</strong>ung, Faszination, all das schwamm in <strong>der</strong> geschmolzenen Schokolade ihrer Augen.<br />
„Möchtest du heute mit <strong>mir</strong> fahren?“ fragte <strong>ich</strong>. An<strong>der</strong>s als bei dem Essen gestern Abend<br />
würde <strong>ich</strong> ihr <strong>die</strong> Wahl lassen. Von jetzt an würde sie immer eine Wahl haben.<br />
„Ja, danke,“ murmelte sie und stieg ohne <strong>zu</strong> zögern ein.