COSA QUANDO DOVE - Kultur bz it
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DAS JÜNGSTE GERÜCHT<br />
DAS JÜNGSTE GERÜCHT<br />
Dort hinten<br />
nirgendwo<br />
Ein Zeichen von Alter ist auch, dass einem die Ze<strong>it</strong> zu schnell<br />
vergeht. Rasend geht’s schon wieder auf Weihnachten zu, wieder<br />
bin ich ein Jahr älter, und noch immer habe ich nichts für die<br />
Unsterblichke<strong>it</strong> getan. Solche Endze<strong>it</strong>panik überkommt mich,<br />
wenn in der Stadt die Christkindlmarkt-Beleuchtung angeht und<br />
ich Glühwein rieche. Ich werde dann rührselig, und es beginnen<br />
mich die drei ewigen Grundfragen der Menschhe<strong>it</strong> anzufechten:<br />
Woher komme ich? Wer bin ich? Wohin geh ich? Das dazugehörige<br />
Gedicht, angeblich von Angelus Silesius, endet m<strong>it</strong> der<br />
schönen Antwort: „Mich wundert, dass ich so fröhlich bin“.<br />
Von Fröhlich-Sein ist bei mir keine Rede. Ich weiß schon bei der<br />
ersten Frage – woher komme ich? – nicht we<strong>it</strong>er. Ja, woher? Es<br />
gilt allgemein als Ausdruck von Provinzialismus, wenn man sich<br />
selber und eben die eigene Provinz für den Nabel der Welt hält.<br />
Mir passiert das gelegentlich, und so weiß ich diesbezüglich ein<br />
Liedl zu singen. Es ist schon ein Weilchen her, ein schöner Mai<br />
war es, da nahm mich der hierzulande wohl bekannte Baron<br />
Kripp auf eine Geschäftsreise nach Ungarn m<strong>it</strong>. Er hat dort Ländereien<br />
und, was ihn noch beneidenswerter macht, einen gräflichen<br />
Schwiegervater. Wo genau wir hinfuhren, weiß ich nicht.<br />
Mein Gastgeber sagte, es sei bald hinter Wien. Mir Heimhocker<br />
war, als wäre es schon tief in der asiatischen Steppe.<br />
M<strong>it</strong> dem alten Grafen verstand ich mich vorzüglich. Beim Wein<br />
verklärten wir die vordemokratische Vergangenhe<strong>it</strong>, und es müssen<br />
schon einige Stunden vergangen gewesen und einige Flaschen<br />
geöffnet worden sein, dass ich ins Schwärmen geriet. Was es hier<br />
doch schön sei!, schwelgte ich, so als müsste ich den Grafen von<br />
seinem Glück erst überzeugen. Und kennerisch sein wollend<br />
fügte ich hinzu: „Schön, aber halt ein bissl abgelegen.“ Hätte ich<br />
nicht! Dem Graf versetzte es einen Ruck, für so daneben muss<br />
ihm meine Einschätzung der Örtlichke<strong>it</strong> vorgekommen sein,<br />
und fast feierlich sagte er: „Wir befinden uns hier, junger Herr,<br />
ziemlich genau in der M<strong>it</strong>te zwischen zwei der bedeutendsten<br />
<strong>Kultur</strong>städte Europas.“ Er meinte Wien und Budapest. Zu beiden<br />
Städten hin gebe es die gleich engen Verbindungen, in beiden<br />
sei man zuhause, er wisse nicht, wie man noch zentraler leben<br />
könne. „Stellen Sie sich vor“, fuhr der Weltmann fort, „stellen<br />
Sie sich vor, meine Tochter muss in Partschins leben. Das ist bei<br />
Meran“, half er mir zu verstehen.<br />
Se<strong>it</strong> jener Nacht am Schloss bin ich erschüttert in meiner ehemals<br />
festen Überzeugung, wir hier würden im Herzen Europas<br />
leben. Ich glaubte, Südtirol wäre zentral gelegen. Zentral in<br />
Europa. Ich wäre auf die Begebenhe<strong>it</strong> dort hinten in Ungarn nicht<br />
zu sprechen gekommen, wenn nicht grad in diesen Wochen die<br />
Frage nach unserer Erreichbarke<strong>it</strong> aufs pol<strong>it</strong>ische Tapet gebracht<br />
worden wäre. Südtirol sei schwer erreichbar, wenn nicht,<br />
jedenfalls zu zumutbaren Bedingungen, gar unerreichbar. Bisher<br />
schien es, als seien wir Trans<strong>it</strong>land, das Nadelöhr Europas, Ort<br />
der Begegnung und des Austausches der Völker. Soll alles nicht<br />
wahr sein. Der Graf von Ungarn hat recht: M<strong>it</strong>te ist, wo er ist.<br />
Partschins ist abgelegen. Unerreichbar dort hinten nirgendwo, wo<br />
„Weihnachten in Tirol“ spielt.<br />
Florian Kronbichler<br />
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