1963 Band XIII - Bayerische Numismatische Gesellschaft

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56 Jochen Bleicken Verhältnis zu einem bestimmten Organ des Staates". Deswegen heißt es in dem sacramentum, daß der Soldat seinem Feldherrn zu gehorchen habe, was dann einzeln erläutert wird: Er soll auf Befehl des Konsuls an der befohlenen Stelle sich einfinden, darf die Einheit nicht verlassen, nicht im Kampfe aus der Reihe scheren usw.". Auch dieser Eid ist mit dem Schimmer der Heiligkeit umgeben (Liv. 8, 34, 10), wie alle Eide; aber bei ihm steht nicht die religiöse Sanktion des Zuwiderhandelnden im Mittelpunkt: Der Eidbrecher gehört nicht den Göttern, er verfällt dem Beil des Feldherrn. Die coniuratio der Frühzeit konnte in Rom nur dann erneut zum Leben erweckt werden, wenn die staatliche Gewalt sich nicht mehr durchzusetzen vermochte bzw. gefährdet war; wo der Zwang der staatlichen Macht versagte, mußte der Schwur der Gemeinschaft, die Selbstverpflichtung der Masse zur Befolgung der soldatischen Pflichten unter der Leitung eines Führers, der die Initiative ergriff, an seine Stelle treten. Und hier können wir auf das zurückgreifen, was oben über das Verhältnis von tumultus und coniuratio gesagt wurde. Solange es möglich war, wurden zwar auch bei Erklärung des Staatsnotstandes die Soldaten in ordentlicher Aushebung rekrutiert, wie überhaupt bei jedem Notstand früher wie heute nicht automatisch die gesamte Verfassung suspendiert wird, sondern nur diejenigen Teile, die der dringenden Aktion zur Rettung des Staates im Wege stehen. Selbst dann noch, wenn wegen der Größe der Gefahr der tumultus ausgerufen werden mußte, war die Verpflichtung des Soldaten durch den ordentlichen Fahneneid (sacramentum) vor dem Magistrat vorgeschrieben und erst, wenn die Situation auch dies nicht gestattete, vor allem also, wenn der zur Eidabnahme kompetente Magistrat nicht zur Stelle war, trat die Massenverpflichtung der Soldaten untereinander an die Stelle des ordentlichen Fahneneides. Wie sich so die coniuratio als besonderer Ausdruck des militärischen Notstandes in das römische Kriegswesen einordnet, haben wir bislang nur anhand der antiquarischen Tradition dargelegt. Es gibt jedoch auch einige annalistische Berichte zur coniuratio, die derjenigen Periode der römischen Geschichte angehören, deren Überlieferung Glaubwürdigkeit verdient; durch sie erfahren wir von der praktischen Anwendung der coniuratio als einer irregulären Form der Aushebung. So hören wir von Livius, daß im Hannibalischen Krieg vor der Schlacht bei Cannae — zum ersten Male, wie Livius behauptet — Soldaten bei Militärtribunen einen Eid (ius iurandum) ex voluntario inter ipsos foedere leisteten, der an die Stelle des sacramentum, d. h. des Eides des einzelnen Bürgers gegenüber dem Beamten mit Imperium, trat". Diese Soldaten ,ver- 24 In verba alicuius iurare: Liv. 28, 29, 12; Caes. bel. civ. 2, 32, 9. 25 Liv. 8, 34, 9-10; Polyb. 6, 21, 2-3; Dion. 10, 18, 2; 11, 43, 2. 26 Liv. 22, 38, 1-5: dilectu perfecto consules paucos morati dies, dum ab sociis ac nomine Latino venirent milites. tum, quod numquam antea factum erat, iure

Coniuratio 57 schworen' sich freiwillig untereinander, sich zu einer Truppe zu formieren und den soldatischen Pflichten in der Schlacht genüge zu tun. Es ist klar, daß diese Form der Eidesleistung aus der Not der Stunde geboren war. Zu ähnlichen Maßnahmen griff man in der von Mißerfolgen reichen Zeit des Perseuskrieges: Wieder berichtet Livius, daß nach der Nachricht von der Schlacht bei Pydna der Senat die Entlassung von Soldaten verfügte, die in der Form der coniuratio ausgehoben worden waren 27. Die Liquidation des Krieges verlangte als erste Maßnahme die Auflösung derjenigen Formationen, die aus nur ,notverpflichteten` Soldaten bestanden. Die Erinnerung an die alte coniuratio ist in Rom gewiß durch die Italiker wachgeblieben, wo die losere Form der Staatlichkeit der ursprünglich gemeinitalischen Sitte mancherorts ein Weiterleben gestattete. Von den Samniten, Volskern und Aquern, ja sogar von den Etruskern und Ligurern weiß die Annalistik zu berichten, daß sie in besonderer, mit religiösen Riten verbundener Form (lex sacrata) Soldaten verpflichteten, die milites sacrati". Der Charakter des Eides als eine in religiöse Formen gekleidete Verpflichtung gegenüber den Häuptern der Geschlechter ist besonders bei den Samniten deutlich". Die eilige Zusammenraffung der italischen Verbände im Bundesgenossenkrieg dürfte auch weitgehend in den Formen der alten coniuratio vorgenommen worden sein. Wohl nicht nur der Mangel an ordentlichen, auf den Dingstätten der Italiker gewählten Beamten machte die Selbstverpflichtung der Soldaten auf Gehorsam gegenüber irgendeinem gerade zur Verfügung stehenden fähigen Mann notwendig: Das Fehlen jeder staatlichen Tradition ließ vielleicht überhaupt nur die coniuratio als einzig mögliche Form der Verpflichtung zu. Die Begeisterung der Massen hat das ihrige dazu getan. Ob es sich bei den Liv. ep. 71 unmittelbar vor der Ermordung des Livius Drusus erwähnten coniurationes" um militärische Eide und nicht vielmehr um einen allgemeinen Ausdruck des Annalisten für hochverräterische Aktionen handelt, ist nicht sicher auszumachen". iurando ab tribunos militum adacti milites; nam ad eam diem nihil praeter sacramentum fuerat, iussu consulum conventuros neque iniussu abituros, et •ubi ad decuriatum aut centuriatum convenissent, sua voluntate ipsi inter sese decuriati equites, centuriati pedites coniurabant sese fugae atque formidis ergo non abituros neque ex ordine recessuros nisi teli sumendi aut petendi et aut hostis feriendi aut civis servandi causa. id ex voluntario inter ipsos foedere ad tribunos ac legitimam iuris iurandi adactionem translatum. 27 45, 2, 1: senatus consultum factum est, ut consul quos praeter milites sociosque navales coniuratos haberet, dimitteret. 28 Liv. 4, 26, 3 (Äquer und Volsker); 9, 39, 5 (Etrusker); 9, 40, 9 (Samniten: sacrati more Samnitium milites); 36, 38, 1 (Ligurer). " Liv. 10, 38, 2 ff. Zu der Interpretation der Stelle vgl. Latte a. a. 0. S. 68 f. Eorum (sc. Italicorum) coetus coniurationesque et orationes in consiliis principum referuntur. 31 Bei Diodor 37, 11 (Exc. Vat.) Vog. ist ferner der Eid eines gemeinitalischen Ge-

56 Jochen Bleicken<br />

Verhältnis zu einem bestimmten Organ des Staates". Deswegen heißt es<br />

in dem sacramentum, daß der Soldat seinem Feldherrn zu gehorchen<br />

habe, was dann einzeln erläutert wird: Er soll auf Befehl des Konsuls<br />

an der befohlenen Stelle sich einfinden, darf die Einheit nicht verlassen,<br />

nicht im Kampfe aus der Reihe scheren usw.". Auch dieser Eid ist mit<br />

dem Schimmer der Heiligkeit umgeben (Liv. 8, 34, 10), wie alle Eide;<br />

aber bei ihm steht nicht die religiöse Sanktion des Zuwiderhandelnden<br />

im Mittelpunkt: Der Eidbrecher gehört nicht den Göttern, er verfällt<br />

dem Beil des Feldherrn.<br />

Die coniuratio der Frühzeit konnte in Rom nur dann erneut zum Leben<br />

erweckt werden, wenn die staatliche Gewalt sich nicht mehr durchzusetzen<br />

vermochte bzw. gefährdet war; wo der Zwang der staatlichen<br />

Macht versagte, mußte der Schwur der Gemeinschaft, die Selbstverpflichtung<br />

der Masse zur Befolgung der soldatischen Pflichten unter der<br />

Leitung eines Führers, der die Initiative ergriff, an seine Stelle treten.<br />

Und hier können wir auf das zurückgreifen, was oben über das Verhältnis<br />

von tumultus und coniuratio gesagt wurde. Solange es möglich<br />

war, wurden zwar auch bei Erklärung des Staatsnotstandes die Soldaten<br />

in ordentlicher Aushebung rekrutiert, wie überhaupt bei jedem Notstand<br />

früher wie heute nicht automatisch die gesamte Verfassung suspendiert<br />

wird, sondern nur diejenigen Teile, die der dringenden Aktion zur Rettung<br />

des Staates im Wege stehen. Selbst dann noch, wenn wegen der<br />

Größe der Gefahr der tumultus ausgerufen werden mußte, war die Verpflichtung<br />

des Soldaten durch den ordentlichen Fahneneid (sacramentum)<br />

vor dem Magistrat vorgeschrieben und erst, wenn die Situation<br />

auch dies nicht gestattete, vor allem also, wenn der zur Eidabnahme<br />

kompetente Magistrat nicht zur Stelle war, trat die Massenverpflichtung<br />

der Soldaten untereinander an die Stelle des ordentlichen Fahneneides.<br />

Wie sich so die coniuratio als besonderer Ausdruck des militärischen<br />

Notstandes in das römische Kriegswesen einordnet, haben wir bislang<br />

nur anhand der antiquarischen Tradition dargelegt. Es gibt jedoch auch<br />

einige annalistische Berichte zur coniuratio, die derjenigen Periode der<br />

römischen Geschichte angehören, deren Überlieferung Glaubwürdigkeit<br />

verdient; durch sie erfahren wir von der praktischen Anwendung der<br />

coniuratio als einer irregulären Form der Aushebung. So hören wir von<br />

Livius, daß im Hannibalischen Krieg vor der Schlacht bei Cannae —<br />

zum ersten Male, wie Livius behauptet — Soldaten bei Militärtribunen<br />

einen Eid (ius iurandum) ex voluntario inter ipsos foedere leisteten, der<br />

an die Stelle des sacramentum, d. h. des Eides des einzelnen Bürgers<br />

gegenüber dem Beamten mit Imperium, trat". Diese Soldaten ,ver-<br />

24 In verba alicuius iurare: Liv. 28, 29, 12; Caes. bel. civ. 2, 32, 9.<br />

25 Liv. 8, 34, 9-10; Polyb. 6, 21, 2-3; Dion. 10, 18, 2; 11, 43, 2.<br />

26 Liv. 22, 38, 1-5: dilectu perfecto consules paucos morati dies, dum ab sociis ac<br />

nomine Latino venirent milites. tum, quod numquam antea factum erat, iure

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