Essay - Theater in der Josefstadt
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Auf auf nach Mauthausen, schulklassenweis, gruppenbetroffen am Ste<strong>in</strong>bruch vorüber.<br />
Was, da isst e<strong>in</strong>e Schüler<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Käsesemmel im Angesicht des Krematoriums?<br />
Niemals vergessen, weil niemals er<strong>in</strong>nern! Gedenken! Das ist das große Wort im<br />
kle<strong>in</strong>eren Mund. Gedenken, das ist die Echolalie des Er<strong>in</strong>nerns. Gedenken, das ist das Ritual,<br />
das uns rührt, ohne zu berühren. Gedenken, das ist <strong>der</strong> Schrecklichschrecklich-Kanon. Wir<br />
treten auf, ich me<strong>in</strong>e, wir treten an, entblößen das Haupt, blicken zu Boden. Wir gedenken <strong>der</strong><br />
Opfer. Hernach Hut auf!<br />
6<br />
Da habe ich leicht reden. E<strong>in</strong> im vorletzten Kriegsjahr, am Höhepunkt <strong>der</strong> Schoa<br />
geborener Jude, versteckt <strong>in</strong> Wien, zieht sich jetzt seelenruhig die Robe <strong>der</strong><br />
Selbstgerechtigkeit an und urteilt über die Charakterschönheiten vergangener<br />
Schauspielergrößen. Was weiß denn ich, was das heißt, im Dritten Reich e<strong>in</strong> Schauspieler <strong>der</strong><br />
<strong>Josefstadt</strong> gewesen zu se<strong>in</strong>. Und dann gar bis <strong>in</strong> die Siebzigerjahre o<strong>der</strong> bis wann<br />
weitergespielt zu haben. Stets haben sie den stillen Vorwurf von me<strong>in</strong>esgleichen spüren<br />
müssen. Immer haben sie sich <strong>in</strong>nerlich rechtfertigen müssen, auch wenn sie äußerlich ke<strong>in</strong><br />
Wort verloren haben.<br />
Doch wer kann von wem verlangen, e<strong>in</strong> Held zu se<strong>in</strong>? Ich b<strong>in</strong> doch auch ke<strong>in</strong>er <strong>in</strong><br />
friedlichen Zeiten. Wie hätte ich mich verhalten als nichtjüdischer Schauspieler damals? Ich<br />
kann es nicht wissen.<br />
Und dennoch: Die Untaten waren so monströs, die Schoa so e<strong>in</strong>zigartig und geht doch<br />
<strong>in</strong> ke<strong>in</strong>en Schädel h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, ich muss, wir müssen also teilweise diese Robe <strong>der</strong><br />
Selbstgerechtigkeit anziehen; es muss er<strong>in</strong>nert und aufgeschrieben werden, das geht schwer<br />
ohne e<strong>in</strong>e gewisse Besserwisserei. Doch so besteht die Chance, nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en neuen an<strong>der</strong>en<br />
Zivilisationsbruch zu kippen mit aller gesammelten Anständigkeit. Gedenken wir nicht <strong>der</strong><br />
Opfer, er<strong>in</strong>nern wir uns an sie. Er<strong>in</strong>nern wir uns an die Täter und Mitläufer auch, ents<strong>in</strong>nen wir<br />
uns ihrer als Mitläufer mit Nachsicht, als Täter mit Vorsicht, denn sie könnten <strong>in</strong> an<strong>der</strong>er<br />
Gestalt, womöglich <strong>in</strong> <strong>der</strong> eigenen, wie<strong>der</strong> auf uns kommen.<br />
Ich empf<strong>in</strong>de es als bemerkenswert, dass das <strong>Theater</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Josefstadt</strong> nicht <strong>in</strong> die<br />
Echolalie des Gedenkens verfällt, son<strong>der</strong>n <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>es Symposiums „<strong>Theater</strong> für die Eliten“<br />
Er<strong>in</strong>nerungsarbeit zu leisten sich anhebt.<br />
Ich wünsche gutes Gel<strong>in</strong>gen.