Predigt über 2 - Evangelische Vereinigung für Bibel und Bekenntnis ...

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23.11.2013 Aufrufe

Predigt über 1. Petrus 2, 19ff und 3, 9ff am Sonntag, 9. Mai 2010 Thema: „Eine reife Persönlichkeit muss nicht ständig auf ihrem Recht beharren, sondern kann auch Ungerechtigkeiten aushalten.“ Teil 2 der Predigtreihe „Auf dem Weg zu einer reifen Persönlichkeit“ Evangelische Kirche Spielberg – Pfarrer Theo Breisacher Liebe Gemeinde, zum Thema der Predigt noch einmal eine Zeitungsmeldung. Dieses Mal vom 15. April – also vor drei Wochen. Überschrift: „Streit um den Zaun eskaliert.“ „Einen gewalttätigen Verlauf nahm ein Nachbarschaftsstreit am Dienstagabend in Bruchsal. Zwischen den beiden 45 und 79 Jahre alten Nachbarn kam es in der Vergangenheit wiederholt zu Streitigkeiten, die sich nun auf den neu errichteten Gartenzaun der einen Partei bezogen. Zunächst kam es nach Angaben der Polizei zum Austausch gegenseitiger Beleidigungen. In der Folge versuchte der Ältere den Jüngeren mit einem Tomatenstab zu schlagen, was der Angegriffene aber parieren konnte. Auch einem Schlag mit der Faust ins Gesicht konnte der 45-jährige noch ausweichen. Den traurigen Höhepunkt erreichte der Streit am Gartenzaun schließlich, als der 79-jährige ein Taschenmesser aus der Hose zog und den Geschädigten damit bedrohte. Erst als sich die Ehefrau des Älteren einmischte, beruhigte sich die Lage, teilt die Polizei mit.“ (BNN 15. April 2010) Liebe Gemeinde, erst Freiburg, dann Bruchsal. Der Freiburger Herr war 78 Jahre alt; der Bruchsaler 79. Da fragt man sich schon: Was ist nur mit unseren Rentnern los? Warum sind die in diesem Alter auf einmal so rabiat? Jemand hat mal gesagt: „Das Problem des Altwerdens ist, dass das Reifen mit dem Altern nicht Schritt hält.“ (Peter Schumacher) Da sind wir wieder beim Thema „reife Persönlichkeit“: Jeder wird alt, aber nicht alle werden dabei auch wirklich reif! Aber wir wollen uns jetzt nicht die ganze Zeit über alte Herren aufregen. Ich glaube, wir alle können es nur ganz schwer aushalten kann, wenn uns Unrecht geschieht. In uns allen steckt dieser Reflex, zurückzuschlagen. Wir alle neigen dazu, dass wir uns für erlittenes Unrecht rächen möchten und es den andern irgendwie zurückzahlen wollen. „Wie du mir, so ich dir“: Das ist schon im Kindergarten oder auf dem Schulhof das gängige Prinzip. Die Jungs schlagen sich, bis die Nase bluten. Die Mädchen verwenden in ihrem Zickenkrieg zwar andere Mittel. Doch harmloser sind ihre Waffen deshalb nicht: Sie verletzen auf einer ganz anderen Ebene. „Das muss ich mir nicht bieten lassen“: Heißt es bei den Erwachsenen, wenn sie sich etwa bei einer Erbschaft ungerecht behandelt fühlen. Wenn im Verein oder im Büro unwahre Dinge über sie erzählt werden oder wenn der Nachbar im Garten einen Baum zu nah an die Grenze pflanzt. Ob unser Zorn nun berechtigt ist oder nicht – ob der andere uns bewusst eins auswischen wollte oder ihm nur ein Missgeschick passiert ist: Das spielt oft gar keine große Rolle. Unsere erste Reaktion ist oft unwillkürlich: „Das muss ich mir nicht bieten lassen! Ich bin doch nicht blöd! Wo kämen wir denn hin, wenn man sich alles gefallen ließe?“ Zu diesem Thema hören wir heute auf einen Predigttext aus dem 1. Petrusbrief aus Kapitel 2 und 3: 1

<strong>Predigt</strong> <strong>über</strong> 1. Petrus 2, 19ff <strong>und</strong> 3, 9ff<br />

am Sonntag, 9. Mai 2010<br />

Thema: „Eine reife Persönlichkeit muss nicht ständig<br />

auf ihrem Recht beharren, sondern kann auch<br />

Ungerechtigkeiten aushalten.“<br />

Teil 2 der <strong>Predigt</strong>reihe „Auf dem Weg zu einer reifen Persönlichkeit“<br />

<strong>Evangelische</strong> Kirche Spielberg – Pfarrer Theo Breisacher<br />

Liebe Gemeinde, zum Thema der <strong>Predigt</strong> noch<br />

einmal eine Zeitungsmeldung. Dieses Mal<br />

vom 15. April – also vor drei Wochen. Überschrift:<br />

„Streit um den Zaun eskaliert.“<br />

„Einen gewalttätigen Verlauf nahm ein<br />

Nachbarschaftsstreit am Dienstagabend in<br />

Bruchsal. Zwischen den beiden 45 <strong>und</strong> 79<br />

Jahre alten Nachbarn kam es in der Vergangenheit<br />

wiederholt zu Streitigkeiten, die<br />

sich nun auf den neu errichteten Gartenzaun<br />

der einen Partei bezogen. Zunächst kam es<br />

nach Angaben der Polizei zum Austausch<br />

gegenseitiger Beleidigungen. In der Folge<br />

versuchte der Ältere den Jüngeren mit einem<br />

Tomatenstab zu schlagen, was der Angegriffene<br />

aber parieren konnte. Auch einem<br />

Schlag mit der Faust ins Gesicht konnte der<br />

45-jährige noch ausweichen. Den traurigen<br />

Höhepunkt erreichte der Streit am Gartenzaun<br />

schließlich, als der 79-jährige ein<br />

Taschenmesser aus der Hose zog <strong>und</strong> den<br />

Geschädigten damit bedrohte. Erst als sich<br />

die Ehefrau des Älteren einmischte,<br />

beruhigte sich die Lage, teilt die Polizei mit.“<br />

(BNN 15. April 2010)<br />

Liebe Gemeinde, erst Freiburg, dann Bruchsal.<br />

Der Freiburger Herr war 78 Jahre alt; der<br />

Bruchsaler 79. Da fragt man sich schon: Was<br />

ist nur mit unseren Rentnern los? Warum sind<br />

die in diesem Alter auf einmal so rabiat?<br />

Jemand hat mal gesagt: „Das Problem des Altwerdens<br />

ist, dass das Reifen mit dem Altern<br />

nicht Schritt hält.“ (Peter Schumacher) Da<br />

sind wir wieder beim Thema „reife Persönlichkeit“:<br />

Jeder wird alt, aber nicht alle werden<br />

dabei auch wirklich reif!<br />

Aber wir wollen uns jetzt nicht die ganze Zeit<br />

<strong>über</strong> alte Herren aufregen. Ich glaube, wir alle<br />

können es nur ganz schwer aushalten kann,<br />

wenn uns Unrecht geschieht. In uns allen<br />

steckt dieser Reflex, zurückzuschlagen. Wir<br />

alle neigen dazu, dass wir uns <strong>für</strong> erlittenes<br />

Unrecht rächen möchten <strong>und</strong> es den andern<br />

irgendwie zurückzahlen wollen.<br />

„Wie du mir, so ich dir“: Das ist schon im<br />

Kindergarten oder auf dem Schulhof das<br />

gängige Prinzip. Die Jungs schlagen sich, bis<br />

die Nase bluten. Die Mädchen verwenden in<br />

ihrem Zickenkrieg zwar andere Mittel. Doch<br />

harmloser sind ihre Waffen deshalb nicht: Sie<br />

verletzen auf einer ganz anderen Ebene.<br />

„Das muss ich mir nicht bieten lassen“:<br />

Heißt es bei den Erwachsenen, wenn sie sich<br />

etwa bei einer Erbschaft ungerecht behandelt<br />

fühlen. Wenn im Verein oder im Büro<br />

unwahre Dinge <strong>über</strong> sie erzählt werden oder<br />

wenn der Nachbar im Garten einen Baum zu<br />

nah an die Grenze pflanzt.<br />

Ob unser Zorn nun berechtigt ist oder nicht –<br />

ob der andere uns bewusst eins auswischen<br />

wollte oder ihm nur ein Missgeschick passiert<br />

ist: Das spielt oft gar keine große Rolle.<br />

Unsere erste Reaktion ist oft unwillkürlich:<br />

„Das muss ich mir nicht bieten lassen! Ich bin<br />

doch nicht blöd! Wo kämen wir denn hin,<br />

wenn man sich alles gefallen ließe?“<br />

Zu diesem Thema hören wir heute auf einen<br />

<strong>Predigt</strong>text aus dem 1. Petrusbrief aus Kapitel<br />

2 <strong>und</strong> 3:<br />

1


1. Petrus 2: 19 Denn das ist Gnade, wenn<br />

jemand vor Gott um des Gewissens willen das<br />

Übel erträgt <strong>und</strong> leidet das Unrecht. 20 Denn<br />

was ist das <strong>für</strong> ein Ruhm, wenn ihr um<br />

schlechter Taten willen geschlagen werdet<br />

<strong>und</strong> es geduldig ertragt? Aber wenn ihr um<br />

guter Taten willen leidet <strong>und</strong> es ertragt, das<br />

ist Gnade bei Gott.<br />

21 Denn dazu seid ihr berufen, da auch<br />

Christus gelitten hat <strong>für</strong> euch <strong>und</strong> euch ein<br />

Vorbild hinterlassen, dass ihr sollt nachfolgen<br />

seinen Fußtapfen; 22 er, der keine<br />

Sünde getan hat <strong>und</strong> in dessen M<strong>und</strong> sich<br />

kein Betrug fand; 23 der nicht widerschmähte,<br />

als er geschmäht wurde, nicht<br />

drohte, als er litt, er stellte es aber dem<br />

anheim, der gerecht richtet; 24 der unsre<br />

Sünde selbst hinaufgetragen hat an seinem<br />

Leibe auf das Holz, damit wir, der Sünde<br />

abgestorben, der Gerechtigkeit leben. Durch<br />

seine W<strong>und</strong>en seid ihr heil geworden.<br />

1. Petrus 3: 9 Vergeltet nicht Böses mit<br />

Bösem oder Scheltwort mit Scheltwort,<br />

sondern segnet vielmehr, weil ihr dazu<br />

berufen seid, dass ihr den Segen ererbt.<br />

14 Und wenn ihr auch leidet um der<br />

Gerechtigkeit willen, so seid ihr doch selig.<br />

Fürchtet euch nicht vor ihrem Drohen <strong>und</strong><br />

erschreckt nicht; 15 heiligt aber den Herrn<br />

Christus in euren Herzen. Seid allezeit bereit<br />

zur Verantwortung vor jedermann, der von<br />

euch Rechenschaft fordert <strong>über</strong> die<br />

Hoffnung, die in euch ist, 16 <strong>und</strong> das mit<br />

Sanftmut <strong>und</strong> Gottesfurcht, <strong>und</strong> habt ein<br />

gutes Gewissen, damit die, die euch<br />

verleumden, zuschanden werden, wenn sie<br />

euren guten Wandel in Christus schmähen.<br />

17 Denn es ist besser, wenn es Gottes Wille<br />

ist, dass ihr um guter Taten willen leidet als<br />

um böser Taten willen.<br />

„Eine reife Persönlichkeit muss nicht ständig<br />

auf ihrem Recht beharren, sondern kann auch<br />

Ungerechtigkeiten aushalten“: Liebe Gemeinde,<br />

zu diesem sicher nicht ganz einfachen<br />

Thema möchte ich Ihnen heute morgen drei<br />

Anstöße geben:<br />

2<br />

Der erste Anstoß:<br />

Wer einfach nur zurückschlägt, wer<br />

stets verbissen um sein Recht kämpft,<br />

der hat bereits verloren.<br />

Oft sagt man ja im Ärger: „Wo kämen wir<br />

denn hin, wenn man sich alles gefallen ließe?“<br />

Drehen wir diese Frage doch einmal um: Was<br />

erreicht man eigentlich, wenn man seinen<br />

Rachegedanken freien Lauf lässt? Was<br />

kommt wirklich dabei heraus, wenn sich diese<br />

Spirale des Bösen unkontrolliert zu drehen<br />

beginnt? Wenn aus Rede <strong>und</strong> Gegenrede<br />

plötzlich eine ganze Kettenreaktion von<br />

hässlichen Dingen wird?<br />

Jedenfalls nichts Gutes. Mit einem Benzinkanister<br />

kann man einen Brand bekanntlich<br />

nicht löschen. Wer Öl ins Feuer gießt, macht<br />

alles nur noch schlimmer.<br />

Ganz am Anfang der <strong>Bibel</strong> in der Geschichte<br />

von Kain <strong>und</strong> Abel sagt Gott zu Kain: „Die<br />

Sünde lauert vor der Tür <strong>und</strong> hat Verlangen<br />

nach dir; du aber sollst <strong>über</strong> sie herrschen!“<br />

(1. Mose 4, 7)<br />

Auch im Streit lauert die Sünde vor der Tür –<br />

<strong>und</strong> wenn wir uns in unseren Gedanken der<br />

Rache hingeben oder mit Worten zurückschlagen,<br />

haben wir bereits verloren: Wir<br />

haben uns <strong>für</strong> das Böse geöffnet <strong>und</strong> lassen<br />

uns von der Sünde bestimmen.<br />

Das finde ich einen interessanten Gedanken.<br />

Denn oft ist das ja gerade unsere Angst: Wir<br />

wollen nicht als Schwächling dastehen. Wir<br />

wollen im Wortgefecht nicht als Verlierer vom<br />

Platz gehen. Wir wollen Stärke beweisen – mit<br />

Worten oder mit angedrohten Racheakten oder<br />

mit was auch immer. Wir wollen demonstrieren,<br />

dass wir stark sind – <strong>und</strong> doch haben<br />

wir dann bereits verloren. Warum? Weil uns<br />

das Böse im Griff hat!<br />

„Du aber sollst <strong>über</strong> sie herrschen“, sagt<br />

Gott. Wir sollen die Sünde beherrschen <strong>und</strong><br />

nicht umgekehrt zur Sklaven unserer<br />

Aggression oder unserer Rechthaberei werden.<br />

Der Apostel Paulus hat diesen Gedanken in<br />

einem bekannten Vers einmal so formuliert:


„Lass dich nicht vom Bösen <strong>über</strong>winden,<br />

sondern <strong>über</strong>winde das Böse mit Gutem.“<br />

(Rm 12, 21)<br />

Das ist der erste Anstoß: Wer einfach nur<br />

zurückschlägt, wer stets verbissen um sein<br />

Recht kämpft, der hat bereits verloren.<br />

Ein zweiter Anstoß:<br />

Je größer unsere Bindung an Gott ist,<br />

umso entspannter können wir solche<br />

Ungerechtigkeiten ertragen.<br />

Ein Pfarrer erzählt folgende Geschichte:<br />

„In relativ jungen Jahren hatte ein Mann ein<br />

Testament gemacht, indem er seine Besitztümer<br />

gerecht auf alle seiner Kinder verteilt<br />

hatte. Nachdem er gestorben war, war seine<br />

Frau <strong>für</strong> alles verantwortlich. Sie hatte<br />

immer alles Formelle ihrem Mann <strong>über</strong>lassen.<br />

Im Alter hat sie es nicht mehr richtig<br />

registriert, dass ziemlich viel Ackerland zu<br />

Bauland geworden war <strong>und</strong> damit eine<br />

rasante Wertsteigerung erlebt hatte. Damit<br />

stimmte jetzt natürlich der Verteilerschlüssel<br />

unter den Kindern nicht mehr. Die Tochter<br />

fühlte sich zu Recht benachteiligt <strong>und</strong><br />

forderte vom Bruder einen Ausgleich. Der<br />

weigerte sich jedoch. Die Fronten verhärteten<br />

sich immer mehr. Der Kontakt brach ab.<br />

Man redete nur noch <strong>über</strong> den Rechtsanwalt<br />

miteinander. Die ganze Sache wurde nur<br />

noch auf Gerichtsebene verhandelt. Die<br />

Kosten des Verfahrens waren enorm. Wie<br />

befreiend wäre es gewesen, wenn eine der<br />

Parteien nachgegeben hätte? Wie viel Stress<br />

hätte man sich damit sparen können?“ (ZuS<br />

2008, 4, 25f) –<br />

Liebe Gemeinde, ich bin nicht der Meinung,<br />

dass wir uns alles gefallen lassen sollen. Auch<br />

als Christen nicht. Wir müssen uns nicht zum<br />

Dackel der Nation machen lassen. Wir<br />

brauchen uns in der Familie nicht als<br />

Fußabtreter missbrauchen lassen.<br />

Eine reife Persönlichkeit hat aber so viel<br />

Distanz zu Geld <strong>und</strong> Besitz, dass sie in einem<br />

Konflikt zumindest abwägen kann: Lohnt es<br />

sich wegen 40.000 Euro, sich ein Leben lang<br />

3<br />

aus dem Weg zu gehen? Lohnt es sich, wegen<br />

des Streits um einen Bauplatz drei Jahre lang<br />

jede Nacht schlecht zu schlafen? Lohnt es sich<br />

wegen einer ungerechten Erbschaft, dass in<br />

Zukunft bei jedem Geburtstag in der Verwandtschaft<br />

dicke Luft herrscht, weil immer<br />

ein paar fehlen oder die andern schlecht <strong>über</strong><br />

die reden, die nicht dabei sind? Eine reife<br />

Persönlichkeit kann abwägen. Und sie kann<br />

dann auch ganz ruhig <strong>und</strong> souverän<br />

nachgeben.<br />

Bei einem Christen kommt aber noch etwas<br />

anderes dazu: Als Christen sehen wir<br />

materielle Dinge ja ohnehin mit einem anderen<br />

Blick. Denn das Glück unseres Lebens hängt<br />

weder vom Geld, noch von einem Bauplatz<br />

noch von einem geerbten Haus ab. Wer sich<br />

daran erinnert, kann leichter nachgeben.<br />

Vor allem dürfen wir als Christen eines<br />

wissen: Gott steht hinter uns – egal wie<br />

schäbig die Menschen uns behandeln. Gott ist<br />

auf unserer Seite, auch wenn Nachbarn,<br />

Cousinen oder Arbeitskollegen uns vielleicht<br />

sogar austricksen wollen.<br />

Je mehr wir das erfahren, liebe Gemeinde,<br />

umso weniger sind wir von der Bestätigung<br />

durch andere Menschen abhängig. Weil Gott<br />

uns stark macht, müssen wir unsere innere<br />

Stärke nicht durch Rechthaberei unter Beweis<br />

stellen. Und wenn wir im Streit dann nachgeben,<br />

ist das gerade kein Zeichen von<br />

Schwäche, sondern umgekehrt ein Zeichen<br />

von einer großen inneren Weite. Von einer<br />

ganz großen inneren Freiheit.<br />

Und selbst wenn wir in den Augen der anderen<br />

am Ende als Verlierer dastehen, kann’s uns<br />

eigentlich egal sein. Denn aus Gottes<br />

Perspektive sieht die Sache völlig anders aus:<br />

Dann tut einem der andere vielleicht sogar<br />

plötzlich leid, dass der arme Kerl so verbissen<br />

um das bisschen Geld kämpfen muss.<br />

Dann brauchen wir nicht ständig auf unser<br />

Recht pochen oder unsere Ansprüche auf<br />

Teufel komm raus bis zur letzten Instanz<br />

durchfechten. Deshalb der zweite Anstoß<br />

heute Morgen: Je größer unsere Bindung an<br />

Gott ist, umso entspannter können wir solche<br />

Ungerechtigkeiten ertragen. –


Und noch ein dritter <strong>und</strong> letzter Anstoß:<br />

Unrecht oder Ungerechtigkeiten<br />

bewusst auszuhalten, hat manchmal<br />

völlig <strong>über</strong>raschende Auswirkungen.<br />

„Der Klügere gibt nach“ – heißt ein altes<br />

Sprichwort. Doch das ist nicht so einfach,<br />

denn die anderen könnten dieses Nachgeben ja<br />

zu ihrem eigenen Vorteil ausnutzen. Deshalb<br />

wurde dieser Spruch ergänzt: „Der Klügere<br />

gibt nach – <strong>und</strong> wird von den Dummen<br />

beherrscht.“ Und manchmal stimmt das sogar!<br />

Es gibt dazu eine eindrückliche Geschichte:<br />

Unter einer mächtigen Eiche wuchs eine<br />

kleine Efeupflanze <strong>und</strong> klagte: „Alles kann<br />

wachsen <strong>und</strong> groß werden. Aber ich bin dazu<br />

zu schwach. Wenn ich nur jemand fände, der<br />

mich stützen könnte.“ Voller Güte gab die<br />

alte Eiche zur Antwort: „Wenn du magst,<br />

dann halte dich ein wenig an mir fest.“ Ganz<br />

glücklich rückte die Efeupflanze etwas näher<br />

<strong>und</strong> krallte sich in die dicke Rinde.<br />

Nach einem Jahr erinnerte sich die alte<br />

Eiche an das kleine Pflänzchen: „Oh“, sagte<br />

sie: „Du bist aber schon groß geworden.<br />

Mach mal etwas langsam, sonst krieg ich es<br />

noch mit der Angst zu tun!“<br />

Nach einem weiteren Jahr dachte die Eiche<br />

eines Morgens, sie sei krank. Ein unangenehmes<br />

Jucken in der Rinde hatte sie<br />

befallen. Dazu fühlte sie sich ein wenig<br />

fiebrig. „Bist du das, der mich so juckt?“<br />

fragte sie ihren Gast. Doch das Efeu, das<br />

inzwischen riesengroß gewuchert war, gab<br />

keine Antwort.<br />

Nach einem weiteren Jahr war das Efeu bis<br />

an die Krone gewachsen. Die Eiche ächzte<br />

<strong>und</strong> stöhnte. Sie flehte: „Lass mir doch noch<br />

etwas Luft. Erinnere dich doch, dass ich dir<br />

als kleine Pflanze geholfen habe. Weißt du<br />

das denn nicht mehr?“<br />

Das Efeu aber schwieg erneut <strong>und</strong> krallte<br />

sich noch viel tiefer in das Holz der alten<br />

Eiche. Tot <strong>und</strong> knorrig stand diese eines<br />

Tages da, gehalten von den tausend Armen<br />

der Schlingpflanze.“ –<br />

„Der Klügere gibt nach – <strong>und</strong> wird von den<br />

Dummen beherrscht“: Liebe Gemeinde, diese<br />

Gefahr ist <strong>über</strong>haupt nicht von der Hand zu<br />

weisen. Nicht nur bei dieser mächtigen alten<br />

Eiche wurde ihre Güte <strong>und</strong> ihre Hilfsbereitschaft<br />

ausgenutzt. Sollen wir dieses Risiko<br />

dennoch eingehen?<br />

Noch einmal: Jesus verlangt nicht von uns,<br />

dass wir uns permanent ausnutzen lassen.<br />

Gerechtigkeit heißt, dass wir auch unser<br />

eigenes Recht einfordern dürfen. Die Frage ist<br />

vielmehr: Um welchen Preis? Und wie lange?<br />

Wo dürfen wir um uns Recht kämpfen <strong>und</strong> wo<br />

sollen wir Unrecht ertragen? Und wo verläuft<br />

die Grenze zwischen beiden?<br />

Wahrscheinlich muss jeder von uns selber<br />

herausfinden, wo genau diese Grenze ist. Aber<br />

eines scheint mir deutlich: Jesus hat diese<br />

Grenze an einem ganz anderen Punkt gesehen<br />

als wir. Wir sagen wahrscheinlich: „Im<br />

Zweifelsfall werde ich um mein Recht<br />

kämpfen.“ Jesus dagegen hätte wahrscheinlich<br />

gesagt: „Im Zweifelsfall kann ich auch<br />

Ungerechtigkeiten ertragen.“<br />

Der Apostel Petrus, der Jesus ja drei Jahre lang<br />

beobachtet <strong>und</strong> begleitet hatte, formuliert es in<br />

unserem Text so: „... der nicht widerschmähte,<br />

als er geschmäht wurde, nicht<br />

drohte, als er litt, er stellte es aber dem<br />

anheim, der gerecht richtet“. (2, 23)<br />

Und wenige Verse fordert er auch die Christen<br />

auf: „Vergeltet nicht Böses mit Bösem oder<br />

Scheltwort mit Scheltwort, sondern segnet<br />

vielmehr, weil ihr dazu berufen seid, dass ihr<br />

einmal den Segen erbt.“ (3, 9)<br />

Ich glaube, das ist der entscheidende Vers: Es<br />

geht nicht darum, dass wir einfach nur<br />

erdulden, ohne aufzumucken. Vielmehr hat es<br />

immer auch eine missionarische Komponente,<br />

wenn wir auf Rache verzichten oder wenn wir<br />

nachgeben <strong>und</strong> nicht mit allen Mitteln unser<br />

Recht durchsetzen wollen: So wie Jesus sogar<br />

am Kreuz noch <strong>für</strong> seine Feinde gebetet hat, so<br />

sind auch wir dazu berufen, um zu segnen.<br />

Wir sollen nicht schimpfen, sondern <strong>für</strong><br />

diejenigen beten, die uns <strong>über</strong> den Tisch<br />

ziehen wollen. Wir dürfen sie auch in ihrem<br />

4


falschen Tun unserem Vater im Himmel<br />

immer wieder ans Herz legen.<br />

Eine solche Haltung hat manchmal ganz<br />

unerwartete Folgen. Dazu gäbe es jetzt viele<br />

Beispiele: Immer wieder haben Christen die<br />

Erfahrung gemacht, dass auch rechthaberische<br />

Kämpfertypen gerade durch eine versöhnliche<br />

Haltung ins Nachdenken gekommen sind.<br />

Auch wenn es uns zunächst so gehen mag wie<br />

jener alten Eiche in der Geschichte, deren<br />

Hilfsbereitschaft schäbig ausgenutzt wurde: Es<br />

steht unter dem Segen, wenn wir <strong>für</strong> unsere<br />

„Feinde“ beten, als uns blindwütig zur Wehr<br />

zu setzen! –<br />

Ich möchte schließen mit Worten von Rudolf<br />

A. Schröder, die unter dem Eindruck der Nazi-<br />

Diktatur entstanden (EG 378):<br />

2. Es mag sein, dass Trug <strong>und</strong> List<br />

eine Weile Meister ist;<br />

wie Gott will, sind Gottes Gaben.<br />

Rechte nicht um Mein <strong>und</strong> Dein;<br />

manches Glück ist auf den Schein,<br />

lass es Weile haben.<br />

3. Es mag sein, dass Frevel siegt,<br />

wo der Fromme niederliegt;<br />

doch nach jedem Unterliegen<br />

wirst du den Gerechten sehn<br />

lebend aus dem Feuer gehn,<br />

neue Kräfte kriegen.<br />

5. Es mag sein, so soll es sein!<br />

Fass ein Herz <strong>und</strong> gib dich drein;<br />

Angst <strong>und</strong> Sorge wird’s nicht wenden.<br />

Streite, du gewinnst den Streit! *)<br />

Deine Zeit <strong>und</strong> alle Zeit<br />

stehn in Gottes Händen.<br />

Amen.<br />

*) Mit „Streit“ ist hier das Kämpfen <strong>für</strong> eine gute<br />

Sache gemeint <strong>und</strong> gerade nicht das unter<br />

Menschen oft so übliche „streiten“.<br />

5

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