Entstehung und Entwicklung kleinerer Städte

Wege und Holzwege 303
allerdings noch im selben Jahr durch den Baseler Mediziner und Humanisten
Theodor Zwinger aufgegriffen und in seinem richtungweisenden »Methodus
apodemica« verarbeitet wurde 55 . Ais erste Apodemik gilt das Traktat »De peregrinatione«
des sachsischen Juristen Hieronymus Turler (ca. 1520-ca. 1602),
das vermutlich Ende der 1560er Jahre verfaBt und mangels Verleger erst 1574
publiziert wurde 56 . Die Theorie des Reisens, die selbstverstandlich die Moglichkeit
des Postierens berucksichtigte 57 lehrte die Kunst der richtigen Vorbereitung,
des Verhaltens und des Beobachtens auf Reisen, die systematische
Sammlung und Aufzeichnung von Eindrucken. Stagl hat darauf hingewiesen,
daB von der abstrakten Sammelsystemtik des Ramismus eine direkte Linie
zum Empirismus Francis Bacons fuhrte, der nicht umsonst als Verfasser einer
umfangreichen Apodemik (»Of travel«) auftrat 58 •
Ein deutliches Signal fur das Aufkommen eines geregelten Tourismus bilden
die seit den 1590er Jahren erscheinenden Reisehandbucher, die Itinerarien
mit der Beschreibung von Sehenswurdigkeiten verbinden, also der Urform
des Reisefuhrers. Ein gutes Beispiel fur die Entstehung dieser Textgattung
ist das »Theatrum urbium« des Marburger Schriftstellers Abraham
Saur 59 , der bei der funften Auflage seines SHidtebuches - einer Art billiger
Taschenbuchausgabe in der Nachfolge der Braun/Hogenbergschen »Civitates
orbis terrarum« - 1595 auf die Idee kam, die praktische ReiseHitigkeit durch
die Aufnahme eines Itinerars zu fordern. Die Autoren der fruheren SHidtebucher
hatten von Sebastian Munster bis Georg Braun immer wieder betont,
daB das SHidtebuch das Reisen ersetzten sollte 60 • Die Reiserevolution der
1560/70er Jahre ging jedoch an den SHidtebuchern nicht voruber und Georg
Braun trug dem in seiner Vorrede zum dritten Band der »Civitates« 1581 auch
Rechnung 61 • Saur kreierte aus dem SHidtebuch heraus den Reisefuhrer. Diese
richteten wie die Apodemiken ihr Hauptaugenmerk auf den Besuch von wichtigen
Stadten, die als Postorte im iibrigen oft per Post bereisbar waren 62 •
Diese direkte Kombination von SHidtebuch und Itinerar muB im Hintergrund
der SHidtebiicher des 17. Jahrhunderts immer mitgedacht werden, groB-
55 Theodor Zwinger: Methodus apodemica in eorum gratiam, qui cum fructu in quocumque tandem
vitae genere peregrinari cupiunt, Basel 1577.
56 Justin Stagl: Die Apodemiken. Eine disonierte Bibliographie der reisetheoretischen Literatur
des 16., 17. und 18. Jahrhunderts, Paderbornl u.a. 1983.
57 Justin Stagl: Der vie I unterwiesene Passagier. Reisekunst und Gesellschaftsbeschreibung vom
16. bis 18. Jahrhundert. In: B. I. Krasnobaevl u.a., [Hrsg.]: Reisen und Reisebeschreibung im
18. und 19. Jahrhundert als Quellen der Kulturbeziehungsforschung, Berlin 1980, S. 353-384;
Justin Stagl: Die Methodisierung des Reisens im 16. Jahrhundert. In: Brenner (1989),
S. 140-177, S. 154.
58 Justin Stagl: Die Apodemik oder »Reisekunst« als Methodik der Sozialforschung vom Humanismus
bis zur AufkHirung. In: Mohammed Rassem/Justin Stagl [Hrsg.], Statistik und
Staatsbeschreibung in der Neuzeit, Paderborn/u.a. 1980, S. 31-204
59 Abraham Saur: Parvum theatrum urbium [ ... ], FrankfurtiM. 1581 [Weitere Ausgaben: 1585,
1587, 1590, 1593, 1595, 1610, 1658; Stiche nach den Civitates orbis terrarum].
60 Georg Braun; Franz Hogenberg: Civitates orbis terrarum, K6ln 1574, Bd. 1, Vorrede.
61 Civitates, III, 1581, Vorrede.
62 VIi Kutter: Apodemiken und Reisehandbiicher. Anmerkungen und ein bibliographischer Versuch
zu einer vernachlassigten Literaturgattung. In: Das 18. Jahrhundert 4 (1980), S. 116-131.