Entstehung und Entwicklung kleinerer Städte

Die Griindung und Entwicklung der mittelalterlichen SHidte im Waldviertel 207
einen neuen Weg zur Erforschung von Siedlungen und deren Entwicklung,
den ich als »siedlungsgeographische Methode« bezeichnen mochte. Nach dieser
Methode stehen nicht schriftliche Quellen wie Urkunden oder Urbare,
sondern die Plane von Siedlungen im Vordergrund der Untersuchung. Bei
stadtischen Siedlungen liefert uns die Form des Stadtplatzes das wichtigste
Kriterium fur eine zeitliche Zuordnung der Stadttype und nicht der Baublock,
die Hausparzelle und das StraBennetz als Kriterium fur eine Gliederung der
landlichen Siedlungen. Beides - Stadte und Dorfer - haben doch etwas Gemeinsames,
beide sind Entwicklungsformen.
Bei den planmaBig angelegten stadtischen Siedlungen entwickelt sich der
Platz als zentrales und bestimmendes Siedlungselement in mehreren Etappen
weiter:
1. Stadium: Die altesten Stadte des Waldviertels verfugen uber einen langsdreieckformigen
Platz in der Form eines gleichschenkeligen Dreieckes mit
einer relativ schmalen Basisseite. Das Seitenverhaltnis liegt zwischen 1:4 bei
Horn, 1:5 bei Zwettl und 1:6 bei Drosendorf.
2. Stadium: Etappenweise vollzieht sich ein Ubergang der Platz form zu einem
eher gleichseitigen Dreiecksplatz. Die Seitenverhaltnisse liegen bei etwa 1:2
wie die Beispiele Waidhofen/Thaya, Raabs und Weitra zeigen.
3. Stadium: Allmahliche Abwendung von der Dreiecksform und Hinwendung
zu langsrechteckigen StraBenplatzen. Die Type des StraBenplatzes ist erreicht,
es ist jedoch die Dreiecksform noch erkennbar. Das Seitenverhaltnis liegt in
Litschau bei 1:9 und in Gmund bei 1 :10. Klaar bezeichnet die Form als Grundungsanlage
mit einem StraBenplatz 44 •
4. Stadium: Die mittelalterliche Grundungsstadt hat die Rechteckform erlangt.
Einer groBen rechteckigen Umwehrung (270 x 370 m) entspricht ein
ebensolcher Stadtplatz. Das Seitenverhaltnis liegt bei 1:2 wie wir dies bei Retz
sehen konnen. Diese Stadt kann als die formvollendetste Anlage einer Grundungs
stadt mit einem Rechteckplatz (70 m x 170 m) betrachtet werden 45 •
Fur das Erforschen der ursprunglichen Zahl der Hauser einer stadtischen
Siedlung wird versucht, die ursprungliche Breite einer Parzelle zu finden. Das
heutige Parzellengefuge hat sich seit der Grundung in allen Stadt en verandert,
aber bei allen Stadten blieb noch etwa ein Viertel der Parzellen in ihrer Ursprungsform
erhalten. Diese noch erhaltenen ursprunglichen Parzellenformen
werden auf die Baub16cke ubertragen. Dadurch konnen wir die Ursprungszahl
der Hauser im Baublock und somit in der ganzen Stadt rekonstruieren.
Nach dieser Methode konnte ich fur die Stadte die vermutliche
ursprungliche Zahl der Hauser feststellen. Nur fur Eggenburg gelang mir das
nicht, da der Plan der U rsprungsanlage dieser Stadt nicht klar ersichtlich ist.
Auffallend ist, daB aIle Stadte nur eine sehr bescheidene GroBe aufweisen,
wobei Raabs und Allentsteig mit 24 und 26 Hausern die kleinsten waren und
44 wie Anmerkung 41, S. 88.
45 wie Anmerkung 11, S. 70.