Entstehung und Entwicklung kleinerer Städte

124 M. Pauly
Die zeitgenössische Bezeichnung eines Ortes als Stadt führt zumindest im
Spätmittelalter nicht sehr weit : In zwei Parallelurkunden des Trierer Erzbischofs
wird die Stadt Luxemburg 1225 einmal als burgus und das andere Mal
als opidum et castrum bezeichnet'. Vollends unsicher ist die Bedeutung des
Ausdrucks villa oder ville, vor allem im Kompositum ville neuve/villa nova .
Während schon öfters darauf hingewiesen wurde, daß es sich in letzterem Fall
keineswegs um Neugründungen, sondern häufiger um Neuprivilegierungen
bestehender Orte handelt', muß hier betont werden, daß der Ausdruck sowohl
für Dörfer als auch für Städte gebraucht wird, da villa bis ins 13.-14. Jahrhundert
sowohl das Einzelgehöft als auch das Dorf und - vielleicht als Rückübersetzung
aus dem Französischen - die Stadt bezeichnen kann'. A priori
wird man bei villes neuves mit Verhulst zuerst an Dörfer denken". Wenn am
24 . Juni 1273 Johann von Trazegnies, genannt der Ardenner, dem Ort Florenville
die »Loi de Beaumont« verleiht und ihn als nostre ville bezeichnet", mag
man annehmen, daß er ihn nach der Erbteilung mit seinen Geschwistern als
Zentrum seines Herrschaftsbereichs, in dem auch nostre maison stand, ausbauen
wollte` und ville somit schon die heutige Bedeutung haben sollte . Sein
gleichnamiger Enkel sprach allerdings am 11 . Oktober 1327 auch von nostre
ville de Martinwe, als er das benachbarte Dorf ebenfalls nach dem Recht von
Beaumont befreite, doch Martue war und blieb eindeutig ein Dorf' 3 . Die letzten
Zeilen der Tabellen im Anhang zeigen auch, wie unregelmäßig der Ausdruck
ville in den Feuerstättenverzeichnissen des späten 15 . Jahrhunderts gebraucht
wurde, also zu einer Zeit als der Begriff nur mehr für Städte üblich
war .
Während lange Zeit Stadtmauer, Stadtfreiheit und Bevölkerungszahl als definitorische
urbane Merkmale des Mittelalters angesehen wurden, sind sich
die Stadthistoriker heute einig, daß sich diese Frage nur mit Hilfe eines Kriterienbündels
einigermaßen befriedigend und nach Epochen differenzierend
beantworten läßt'4. Dabei fällt dem von den Geographen geprägten Zentralitätsbegriff,
d.h . der Häufung von zentralen Funktionen, die nicht nur den
Ortsbewohnern zur Verfügung standen und einen Ort zum Mittelpunkt einer
Landschaft machten l5, eine entscheidende Bedeutung zu" .
WAMPACH, UQB II, 173a, b ; vgl . PAULY, Schulwesen, S . 327 . EGGERT, Städtenetz, S. 111f.,
betont ebenfalls die zufällige Überlieferung von Quellenbegriffen, die keineswegs als rechtliche
Definitionen zu verstehen sind .
a JOSET, Villes, S . 111, Anm. 37 ; ENNEN, Franchises, S . 271, GIRARDOT, Villes neuves,
S.349 .
' Im Freiheitsbrief für Luxemburg, an dessen Stadtcharakter 1244 kein Zweifel mehr bestehen
kann, ist die Rede von burgenses und von villa . Vgl . allgemein für den francophonen Raum La
ville medievale, S. 181, 190 .
'° VERHULST, Les franchises rurales, S . 422f., Anm. 18 .
" PETIT, Documents, Nr . 34, S . 134 ; ders ., Florenville, S . 63ff.
`2 PETIT, Florenville, S . 46, zum Motiv vgl . ENNEN, Die sog . Minderstädte, S . 73 .
'3
de REMONT, Martue, S . 60ff .
`a Vgl . u.a . HAASE, Westfälische Städte, S . 6ff . ; ENNEN, Die Stadt zwischen Mittelalter und
Gegenwart, S . 198f . ; dies., Franchises, S . 269 ; ISENMANN, Die deutsche Stadt, S . 19-25 .
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Nichtsdestoweniger betonen andere Historiker die wirtschaftlichen Funktionen einer Stadt, die