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Joachim Döbler, Bürgerschaftliches Engagement 4 sinkend. Das Statistische Bundesamt kommt in einer 1990/91 durchgeführten Erhebung für die Altersgruppe der 40-60Jährigen auf einen Beteiligungsgrad von 22% und für die Gruppe der 60-70Jährigen auf 21,8%. Einer Befragung des EMNID-Instituts zur nachberuflichen Tätigkeit älterer Menschen von 1992 zufolge liegt die Quote ehrenamtlich engagierter Personen im Alter zwischen 50 und 70 Jahren niedriger: bei 16%. Für die Gruppe der 50 bis 60Jährigen sinkt die Quote weiter ab: auf etwa 8%. Diese Werte bestätigt die EUROVOL-Studie, in der 1994 acht europäische Länder verglichen wurden, nur zum Teil. Danach leisten 18% der 55-64Jährigen und 13% der über 65Jährigen unbezahlte ehrenamtliche Arbeit. Gegenstand der EMNID-Untersuchungen war auch der Zeitpunkt der Übernahme eines Ehrenamts. Dabei wurde deutlich, daß die Ehrenamtlichkeitspotentiale von Frauen eng verbunden sind mit der Entlastung von typischen Familienaufgaben. Erst nach dem Abschluß der Familienphase, häufig auch erst nach dem Tod des Ehepartners werden zeitliche Ressourcen und psychische Energien freigesetzt, die in die Erkundung neuer Handlungsfelder einmünden. Für Männer hingegen ist das Ehrenamt häufig eine Fortsetzung früherer, während der Berufsphase aufgenommener Tätigkeiten. Insofern knüpft das Ehrenamt zwar an Kompetenzen an, die auch über den Berufsausstieg hinaus sinnvoll eingesetzt und oft auch weiterentwickelt werden können. Eine solche Kontinuität hängt aber stark von der beruflichen Stellung und dem Bildungsniveau der jeweiligen Person ab. Diese Einschätzung wird bestätigt, wenn wir das Bildungsniveau älterer Menschen im Ehrenamt vergleichen. Während der Beteiligungsgrad bei Volksschulabsolventen 13% beträgt, steigt dieser Anteil bei Personen mit Abitur und Hochschulabschluß auf 37%. Ehrenamtlichkeitspotentiale sind also sehr ungleichmäßig über soziale Gruppen verteilt: Die Bereitschaft zum Engagement ist laut EMNID bei Personen am größten, die relativ gut situiert sind, also eher weniger auf unbezahlte Hilfeleistungen angewiesen sind. Zu deutlich optimistischeren Ergebnissen kommt der "Sozio-ökonomische Panel" [SOEP]von 1994: Immerhin ein Drittel der westdeutschen Bevölkerung und ein Fünftel der ostdeutschen Bevölkerung engagiere sich in freiwilligen Tätigkeiten, Tendenz steigend. Die stammtischwirksame Behauptung, Jüngere würden sich weniger engagieren, werden durch die verfügbaren Daten widerlegt. Im Gegenteil: Die Beteiligungsquote ist bei allen Altersklassen gleich, außer bei Personen über 60. Hier registriert der SOEP ein auf 20% sinkendes Engagement. Vom alten zum "Neuen Ehrenamt" Bringt uns die Zukunft also ein wachsendes "soziales Kapital", das sich für ehrenamtliche Tätigkeiten mobilisieren läßt? Lassen sie mich die Frage zunächst im konventionellen Rahmen beantworten: Ja und Nein.

Joachim Döbler, Bürgerschaftliches Engagement 5 Nein, wenn wir in traditionellen Strukturen denken. Die Bedeutung und Wertschätzung, die Formen und Funktionen ehrenamtlichen Engagements sind Veränderungen unterworfen. Ja, soziales Kapital scheint künftig um so eher mobilisierbar, je mehr wir es aus starren Hierarchien und langfristigen Verpflichtungen befreien und subjektive Ansprüche auf selbstbestimmte Tätigkeiten und Selbstentfaltung gelten lassen. Eine 1998 veröffentlichte Studie beziffert das Potential für diese sog. „Neue Ehrenamtlichkeit" gar auf 38% der erwachsenen Deutschen. Die Herausbildung neuer Strukturen ehrenamtlichen Engagements scheint zugleich mit einem Bedeutungsverlust des traditionellen Ehrenamtes verbunden. Hintergrund dieser Erosion sei, so die gängige Argumentation, ein Wertewandel. Dieser Wertewandel mache sich vor allem für Organisationen, die besonders stark auf die Bindung an identitätsstiftende Sozialmilieus und Zentralwerte angewiesen sind - für Kirchen, die großen Wohlfahrtsverbänden oder auch für die Gewerkschaften - in einem Mitgliederschwund bzw. einem Rückgang der Freiwilligenzahlen bemerkbar. Diese These vom Wertewandel geht davon aus, daß Begriffe wie "Pflicht, Opferbereitschaft, Verantwortung oder Dienst" ihre Deutungskraft verlieren und im Gegenzug subjektive Ansprüche auf frei gewählten Formen des Engagements an Bedeutung gewinnen. Wer sich heute auf die Suche nach "wertgebundenen" Engagierten sucht, muß sich schon an die Ränder unserer Gesellschaft begeben: auf Demonstrationen gegen Ausländerfeindlichkeit, zur "Love Parade" nach Berlin oder in die kurdischen Vereinslokale. Allerdings sind auch diese wertgebundenen Milieus biographisch gesehen nicht sehr stabil – mensch wechselt schon mal die Gesinnungsgemeinschaft. (Blandow) Wer also unter den Voraussetzungen der moderne Freiwillige gewinnen will, muß gleich drei „Passungsleistungen“ erbringen: Erstens im Verhältnis zwischen freiwilligen sozialen Helfern und Bedürftigen; zweitens im Zusammenspiel von ehrenamtlichen und hauptberuflichen Kompetenzen; und drittens im Verhältnis des freiwilligen sozialen Helfers zu sich selbst. Entscheidend ist nicht die Frage: "Wie können wir individuelle Fähigkeiten und Möglichkeiten so einsetzen, daß sie den Anforderungen der gestellten sozialen Aufgabe gerecht werden?" sondern: "Wie können wir Dienstund Selbstbezug integrieren und Menschen mit bestimmten Erfahrungen und Lebensstilen eine dazu passende Helferrückwirkung geben?" Wenn also vom "freiwillige Engagement" geredet wird, so stehen selbstbezogene Motive im Vordergrund. Hilfe für andere ist demnach immer auch ein Stück Selbsthilfe. Der Begriff des "bürgerschaftlichen Engagements" hingegen greift strukturell tiefer. Im Vordergrund steht ein Gemeinwesen, für das man sich verantwortlich fühlt und an dessen Gestaltung man sich aktiv beteiligen möchte. Der konkrete Platz für gemeinschaftsorientierte Motive ist das lokale Quartier, die Gemeinde, für deren Zustand ich Verantwortung übernehme. Bürgerschaftlich Engagierte versuchen, in selbstorganisierten Projekten Solidarität zu leben. Bürgerschaftlich Engagierte sind keine unqualifizierten Sozialassistenten, denen Experten das kleine Einmaleins des Sozialwesens beibringen. Sie bringen Kompetenz, Bildung, Erfahrung und vor allem Veränderungswillen in ihre Tätigkeit ein. ARBES, die AG Bürgerschaftliches Engagement/ Seniorengenossenschaften in Baden-Wüttemberg umschreibt dies wie folgt: "Bürge-

Joachim Döbler, <strong>Bürgerschaftliches</strong> Engagement 5<br />

Nein, wenn wir in traditionellen Strukturen <strong>de</strong>nken. Die Be<strong>de</strong>utung und Wertschätzung,<br />

die Formen und Funktionen ehrenamtlichen Engagements sind Verän<strong>de</strong>rungen<br />

unterworfen. Ja, soziales Kapital scheint künftig um so eher mobilisierbar, je<br />

mehr wir es aus starren Hierarchien und langfristigen Verpflichtungen befreien und<br />

subjektive Ansprüche auf selbstbestimmte Tätigkeiten und Selbstentfaltung gelten<br />

lassen. Eine 1998 veröffentlichte Studie beziffert das Potential für diese sog. „Neue<br />

Ehrenamtlichkeit" gar auf 38% <strong>de</strong>r erwachsenen Deutschen.<br />

Die Herausbildung neuer Strukturen ehrenamtlichen Engagements scheint zugleich<br />

mit einem Be<strong>de</strong>utungsverlust <strong>de</strong>s traditionellen Ehrenamtes verbun<strong>de</strong>n. Hintergrund<br />

dieser Erosion sei, so die gängige Argumentation, ein Wertewan<strong>de</strong>l. Dieser Wertewan<strong>de</strong>l<br />

mache sich vor allem für Organisationen, die beson<strong>de</strong>rs stark auf die Bindung<br />

an i<strong>de</strong>ntitätsstiften<strong>de</strong> Sozialmilieus und Zentralwerte angewiesen sind - für Kirchen,<br />

die großen Wohlfahrtsverbän<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r auch für die Gewerkschaften - in einem<br />

Mitglie<strong>de</strong>rschwund bzw. einem Rückgang <strong>de</strong>r Freiwilligenzahlen bemerkbar. Diese<br />

These vom Wertewan<strong>de</strong>l geht davon aus, daß Begriffe wie "Pflicht, Opferbereitschaft,<br />

Verantwortung o<strong>de</strong>r Dienst" ihre Deutungskraft verlieren und im Gegenzug<br />

subjektive Ansprüche auf frei gewählten Formen <strong>de</strong>s Engagements an Be<strong>de</strong>utung<br />

gewinnen.<br />

Wer sich heute auf die Suche nach "wertgebun<strong>de</strong>nen" Engagierten<br />

sucht, muß sich schon an die Rän<strong>de</strong>r unserer Gesellschaft begeben:<br />

auf Demonstrationen gegen Auslän<strong>de</strong>rfeindlichkeit, zur "Love Para<strong>de</strong>"<br />

nach Berlin o<strong>de</strong>r in die kurdischen Vereinslokale. Allerdings sind<br />

auch diese wertgebun<strong>de</strong>nen Milieus biographisch gesehen nicht sehr<br />

stabil – mensch wechselt schon mal die Gesinnungsgemeinschaft.<br />

(Blandow)<br />

Wer also unter <strong>de</strong>n Voraussetzungen <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rne Freiwillige gewinnen will, muß<br />

gleich drei „Passungsleistungen“ erbringen: Erstens im Verhältnis zwischen freiwilligen<br />

sozialen Helfern und Bedürftigen; zweitens im Zusammenspiel von ehrenamtlichen<br />

und hauptberuflichen Kompetenzen; und drittens im Verhältnis <strong>de</strong>s freiwilligen<br />

sozialen Helfers zu sich selbst. Entschei<strong>de</strong>nd ist nicht die Frage: "Wie können wir<br />

individuelle Fähigkeiten und Möglichkeiten so einsetzen, daß sie <strong>de</strong>n Anfor<strong>de</strong>rungen<br />

<strong>de</strong>r gestellten sozialen Aufgabe gerecht wer<strong>de</strong>n?" son<strong>de</strong>rn: "Wie können wir Dienstund<br />

Selbstbezug integrieren und Menschen mit bestimmten Erfahrungen und Lebensstilen<br />

eine dazu passen<strong>de</strong> Helferrückwirkung geben?" Wenn also vom "freiwillige<br />

Engagement" gere<strong>de</strong>t wird, so stehen selbstbezogene Motive im Vor<strong>de</strong>rgrund.<br />

Hilfe für an<strong>de</strong>re ist <strong>de</strong>mnach immer auch ein Stück Selbsthilfe.<br />

Der Begriff <strong>de</strong>s "bürgerschaftlichen Engagements" hingegen greift strukturell tiefer.<br />

Im Vor<strong>de</strong>rgrund steht ein Gemeinwesen, für das man sich verantwortlich fühlt und an<br />

<strong>de</strong>ssen Gestaltung man sich aktiv beteiligen möchte. Der konkrete Platz für gemeinschaftsorientierte<br />

Motive ist das lokale Quartier, die Gemein<strong>de</strong>, für <strong>de</strong>ren Zustand ich<br />

Verantwortung übernehme. Bürgerschaftlich Engagierte versuchen, in selbstorganisierten<br />

Projekten Solidarität zu leben. Bürgerschaftlich Engagierte sind keine unqualifizierten<br />

Sozialassistenten, <strong>de</strong>nen Experten das kleine Einmaleins <strong>de</strong>s Sozialwesens<br />

beibringen. Sie bringen Kompetenz, Bildung, Erfahrung und vor allem Verän<strong>de</strong>rungswillen<br />

in ihre Tätigkeit ein. ARBES, die AG <strong>Bürgerschaftliches</strong> Engagement/<br />

Seniorengenossenschaften in Ba<strong>de</strong>n-Wüttemberg umschreibt dies wie folgt: "Bürge-

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