"Neuen Sozialstaats": Bürgerschaftliches ... - Doebler-online.de

Joachim Döbler, Bürgerschaftliches Engagement 12
amt vor allem erwerbstätige, qualifizierte und gut situierte Bürger engagieren. Es
muß bezweifelt werden, ob gerade die durch den Mangel an Ressourcen geprägten
Problemgruppen zu gewinnen sind, zumal deren sozialer Status in den letzten Jahren
durch verschärfte Arbeitsverpflichtungen und Zumutbarkeitsregelungen eine
deutliche Abwertung erfahren hat. Stütze in "Bürgergeld" und Arbeitszwang (Hoppensack/Wenzel)
in "Bürgerarbeit" umzuetikettieren, dürfte bei Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern
allenfalls höhnisches Gelächter auslösen. Insofern weist dieses Modell
nicht in die Bürgergesellschaft des nächsten Milleniums, sondern in die Armenfürsorge
des 19.Jahrhunderts.
Vage bleibt in dem von der Zukunftskommission vorgelegten Entwurf auch die Spannung
zwischen Komplementarität und Substitution. Ist Bürgerarbeit freiwillige Arbeit,
so kann sie eine dauerhafte, sozialrechtlich garantierte und professionell erbrachte
Leistung nur ergänzen. Weil sie auf persönlichen Entscheidungen beruht und jederzeit
aufgekündigt werden kann, werfen sich zwei grundsätzliche Fragen auf:
• Wie lassen sich mehr oder weniger spontane Austauschbeziehungen in kalkulierbare,
d.h. verläßliche und stabile Bedarfsausgleichssysteme überführen, die auch
Versorgungssicherheit - etwa bei der Betreuung pflegebedürftiger Personen - ermöglichen?
• Wie läßt sich das Interesse an freiwilligen Tätigkeiten für öffentliche Aufgaben
wecken und sozialpolitisch stabilisieren, ohne es durch die kurzfristige Indienstnahme
für Staatszwecke - nützliche Arbeit zum Nulltarif - zu gefährden?
Je mehr Bürgerarbeit verpflichtungsethisch aufgeladen wird, flankiert durch verschärfte
Zumutbarkeitsanforderungen im Rahmen von Sozial- und Arbeitslosenhilfe
und eingebunden in eine Niedriglohnstrategie zur Verbilligung von personen- und
haushaltsbezogenen Diensten, desto eher werden Arbeitsplätze im sozialen Dienstleistungssektor
vernichtet, vor allem Frauen in Niedriglohnbereiche abgedrängt und
die Leistungen selbst dequalifiziert. Das Konzept der Bürgerarbeit hätte dann eine
doppelte Funktion: "den Rückzug des Staates aus seinen Verpflichtungen nicht nur
zu verschleiern, sondern moralisch auch noch zu rechtfertigen" (Klammer/Bäcker,
367); und den Weg in eine re-feudalisierte Gesellschaft zu weisen, "in der der Lebensstil
und –standard der Wohlhabenden durch eine moderne Dienstbotenklasse
abgesichert wird." (363)
Szenarien
Nach diesem längeren Exkurs zur Bürgerarbeit möchte ich Sie abschließend - und
um den Spannungsbogen noch einmal aufzunehmen - mit einer Gruppe junger,
kurzhaariger und sehr kräftig gebauter junger Männer bekannt machen, die sich zu
dem Bürgerverein "Wehrhafte Demokratie" zusammengeschlossen haben, um kurdische
Drogen-Dealer aus ihrem Wohnviertel zu vertreiben. Ihnen gegenüber steht
eine zweite Gruppe etwas längerhaariger und eher jung gebliebener Bürger, die eine
Öko-Ini "Blumen für Lohr" gegründet haben, um dieses Städtchen zu begrünen.
Würden Sie beide Initiativen bürgerschaftlichem Engagement zuordnen? Ich jedenfalls
nicht. Eher schon die Gleichgesinnten der "Amadeu-Antonio-Stiftung" im bran-