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Sommer 2012 - Stadtgemeinschaft Tilsit eV - Landsmannschaft ...

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LESERBRIEFE<br />

Unsere Flucht aus Ostpreußen<br />

Als im Dezember 1944 die Front immer näher rückte, habe ich mich mit meinen<br />

vier Kindern im Alter von 6, 5, 3 und 1 Jahr von meinem Wohnort<br />

Ortelsburg nach Allenstein zu meinem Elternhaus, Bärenbruch 3, begeben.<br />

Dort war es noch bis etwa Mitte Januar 1945 verhältnismäßig ruhig. Danach<br />

gab es einige Fliegerangriffe mit Bordwaffen, keine Bomben. Etwa am 20. Januar<br />

ging die dortige NS-Blockwartin von Haus zu Haus und erklärte den beunruhigten<br />

Menschen, dass sie ja nicht auf die Flucht gehen sollten, unsere<br />

Wehrmacht würde rechtzeitig zu unserem Schutz da sein. Sie selbst suchte<br />

aber noch vor uns das Weite. – In der Stadt herrschte auch wegen der vermehrten<br />

Fliegerangriffe eine große Beunruhigung. Man wagte auch nicht<br />

mehr, sich zur Nacht zu entkleiden.<br />

Am 21. Januar packten meine Mutter, meine Schwester und ich mit meinen<br />

Kindern die nötigsten Sachen zusammen und wollten, obwohl es schon anfing<br />

dunkel zu werden, zum etwa eineinhalb km entfernten Bahnhof gehen.<br />

Uns entgegenkommende Nachbarn rieten uns davon ab und erzählten, der<br />

Bahnhof sei vollkommen überfüllt. Uns blieb aber nichts anderes übrig, und<br />

wir ließen es darauf ankommen, denn wir wollten ja nicht den Russen zur<br />

Beute werden. Auf dem Bahnhof, der in der Dunkelheit sehr gespenstisch<br />

wirkte, waren wirklich viele Menschen, auch Züge fuhren, aber keiner hielt an<br />

den Bahnsteigen. Einen winzigen Lichtblick gab es: Zwei Soldaten gingen<br />

durch das Gedränge und verteilten an Kinder Schokolade.<br />

Unsere Abfahrt aus Allenstein war dann sehr dramatisch. Wir hatten uns zum<br />

letzten Bahnsteig begeben und hatten Glück. Während die Russen bereits in<br />

nächster Nähe waren und die Menschen bei einem Fliegeralarm in die Untertunnelung<br />

flüchteten, kam ein Güterzug an und hielt auch. Ich lief zum Lokomotivführer<br />

hin, der sich auf dem Bahnsteig selbst nach seiner Familie umsah<br />

und wohl auch nur deshalb angehalten hatte. Ich bat ihn, uns doch eine<br />

Waggontür aufzumachen, schon allein meiner vier Kinder wegen. Er tat das<br />

auch, und weil eine ganze Flut von Flüchtlingen die Treppen heraufströmten,<br />

öffnete er dann alle Waggontüren und die Menschen stürzten sich förmlich in<br />

die Viehwaggons hinein. Unser Waggon, der schon fast überfüllt war, war mit<br />

Stroh belegt. Während der Zug sich in Bewegung setzte, schossen die Russen<br />

hinein. Eine junge Mutter wurde getroffen. Ihr Baby blieb allein zurück.<br />

Ich möchte meinen, dass ich durch meine Initiative vielen Menschen vielleicht<br />

sogar das Leben gerettet habe, zumal ich später, als ich einen Allensteiner<br />

Bekannten in Elmshorn getroffen hatte, von ihm hörte, dass die Russen in die<br />

Bahnhofstunnel hineingeschossen haben, wo sich noch eine Menge der auf<br />

Züge Wartenden aufgehalten habe.<br />

Unsere Fahrt ins Ungewisse dauerte 3 Tage und Nächte. Wir kamen über<br />

Königsberg in tiefster Nacht auf dem Fliegerhorst in Seerappen an. Ich hörte<br />

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